Der Humanist:     Religion:      Sind Christen die besseren Menschen?


Von mxx am Dienstag, den 3. August, 1999 - 16:05:

"Nochmal ganz allgemein: Es steht Dir nicht zu Gott zu verurteilen oder über sein Handeln irgendeine moralische Wertung abzugeben."

Warum nicht, Ulrich?
Wenn ihr nun sagt, Gott sei gnädig, gebt ihr dann nicht selber eine moralische Wertung ab?


 

Von Ulrich am Donnerstag, den 5. August, 1999 - 12:07:

"gnädig" ist keine moralische Wertung sondern eine messbare Grösse.


 

Von Frank Welker am Donnerstag, den 5. August, 1999 - 13:08:

Und wie wird die Gnade dann gemessen? In Centimeter, Meter, Kilogramm etc.?


 

Von Ulrich am Donnerstag, den 5. August, 1999 - 15:34:

Wie wird Wohlstand und Lebensqualität gemessen? In Centimeter, Meter, Kilogramm etc.? Und trotzdem kann man sagen, dass Deutschland sehr wohlhabend ist und eine hohe Lebensqualität erreicht werden kann. Genau so kann man absolut sagen, dass Gott gnädig ist.


 

Von Heike J. am Donnerstag, den 5. August, 1999 - 16:52:

Die UNO gibt genaue Daten für Wohlstand und Lebensqualität heraus. Wer gibt Daten für Gnade heraus?


 

Von Frank Welker am Donnerstag, den 5. August, 1999 - 17:11:

Und womit haben wir es verdient, dass Gott so gnädig mit uns ist, währendwesentlich "gläubigere Länder" in der dritten Welt im Elend versinken. Dein Gott scheint ein ziemlicher Rassist zu sein, wenn er nur gegenüber Europa und Nordamerika gnädig ist.


 

Von mxx am Donnerstag, den 5. August, 1999 - 21:25:

Gnade ist natürlich eine moralische Wertung.
Anscheinend darf man nur bei den Sachen nicht nachfragen, die am Image des gnädigen Jahwe kratzen könnten...


 

Von Christ am Donnerstag, den 5. August, 1999 - 22:17:

Far a mentsch mus men sich gicher farentferrn wi farn ribojne schel ojlom


 

Von Herbert am Samstag, den 7. August, 1999 - 15:18:

Ulrich:
Genau so kann man absolut sagen, dass Gott gnädig ist.

Was leider noch zu beweisen wäre!


 

Von Hanns am Samstag, den 7. August, 1999 - 16:41:

Lieber Herr Schmidt-Salomon,
herzlichen Dank für Ihre Antwort. Ich konstruiere eine Reihenfolge der Gegenargumente:
1. Sie behaupten, der Mensch sei in seinem Handeln einer zwingenden Kausalität unterworfen. Damit ist er immer nur der passiv Ausführende einer Kausalkraft, die sich aus dem Parallelogramm der Kräfte ergibt, und insofern ein roboterähnliches Ding. So wie der Donner auf den Blitz folgt, so ergibt sich die Handlung als Folge einer intersubjektiven oder intrasubjektiven
Kausaleinwirkung. Handlungen werden auf die Ebene von Billardkugeln reduziert. Als Beispiel zeigen Sie einen Jüngling, der seinem Nachbarn die Haare bearbeitet. Ich fürchte jedoch, dass Sie hier die Unterscheidung von Ursachen, Gründen, Haben von Gründen und Motiven vernachlässigen. Wenn ich eine mathematische Aufgabe mit Hilfe eines Dreisatzes löse, habe ich Gründe. Der Dreisatz ist keine Ursache, noch ist die Überlegung Ursache. Andernfalls hätten Sie einen Ursachenbegriff, der auch Nicht-Materielles umfasst und landeten im Spiritualismus. Zumal Sie aus der Beschäftigung mit Kant wissen sollten, dass die Kategorie der Kausalität eine Konstruktion des Gehirns ist. Auch wenn wir uns keine Welt als nicht-kausal denken können, ist damit noch nicht ausgemacht, dass diese Verknüpfungskategorie ein fundamentum in re hat. Sie stellen automatisch die causa cognoscendi mit der causa essendi auf eine Stufe. Gerade die neue Physik zeigt uns, dass die A-Kausalität nicht nur ein Mangel unseres Erkenntnisvermögens ist, sondern dass die Welt in ihrem Zentrum über eine Zufälligkeit verfügt, die als ontologisch einzustufen ist.
Um der spiritualistischen Falle zu entgehen, könnten Sie neurobiologisch argumentieren. Sie könnten behaupten, geistige Vorgänge seien nichts anderes als chemische Reaktionen (Churchland, Blackmore etc.). Sie würden dann auf die Identitätstheorie zurückgreifen und behaupten, im Kopfe von Cornelissen feuern die Neuronen b1b2 des Nucleus y zur Zeit t1t2 in der Weise x... und nichts anderes gäbe es zu bemerken. Sie würden behaupten, dass jeder Gedanke nichts anderes sei
als die Widerspiegelung einer chemisch-neuronalen Reaktion. Dann aber wären Sie in Absurdistan angekommen. Sie wären dem "Dilemma des Determinismus" aufgesessen (Popper, Watzlawick). Unter diesen Voraussetzungen nämlich haben Sie alle Gründe verloren, diese Behauptung als wahr zu bezeichnen. Sie sind Naturergebnisse wie Hundekot und Nirensteine. Dann freilich sind alle neuronalen Vorgänge in der Wahrheitsfrage gleichberechtigt, die Ergebnisse noch der verrücktesten Überlegungen wären aus chemo-kausaler Notwendigkeit ausgespuckt worden. Unsere Auseinandersetzung müßte in Zukunft mit Hilfe von Injektionsgeräten stattfinden. Um mich auf Ihre Seite zu bringen, bliebe Ihnen nichts anderes übrig, als meine Gehirn-Chemie zu verändern. Nebenbei: Die Identitätsheorie wäre für jeden Religiösen die allerbeste Theorie, denn dann handelte in allem letztendlich das Ganze (Gott).
Wenn Sie jedoch auf andere neurobiologische Modelle zurückgreifen, etwa auf den emergentistischen Mentalismus (Sperry etc.), sind Sie wieder an der Ausgangsfrage angekommen. Denn dort wird die mentale Freiheit ausdrücklich vorausgesetzt.
Auch wenn Sie den Umweg über die Neurobiologie
nicht nehmen, widerspricht sich Ihr Ansatz aus dem gleichen Grund. Wenn Handeln und Denken determiniert sind, sind sie determinierter Auswurf Ihrer Persönlichkeit und Sie haben keinen Grund Auswürfe anderer Überlebensroboter mit dem Prädikat falsch oder richtig zu versehen. Auf der Ebene dieses Denkens gibt es die Prädikate überhaupt nicht, jedenfalls nicht im philosophischen Sinne.
2. Wie aus der prinzipiellen Determiniertheit auf der subj. Ebene eine Freiheit im politischen Bereich auftauchen soll, ist nicht nachvollziehbar.Zitat: "Von bestimmten Zwängen können wir uns auch emanzipieren, wir können uns von ihnen befreien, allerdings nur, wenn wir diese Befreiung auch wirklich wollen, damit also anderen Zwängen unterliegen, die die Befreiung von jenen bestimmten Zwängen einfordern. Das heißt: Wenn wir es wollen, so können wir auch Teilaspekte unseres Willens ändern. Damit haben wir jedoch weiterhin keinen freien Willen, sondern einen von bestimmten Zwängen befreiten Willen, der selbstverständlich wiederum anderen Zwängen unterliegt." Dadurch, dass "bestimmte" Zwänge nicht länger herrschen, wohl aber "andere" Zwänge, werde ich fähig, Teilaspekte meines Willens zu ändern, obwohl ich prinzipiell dazu nicht fähig bin, weil ich ja in allem Handeln determiniert bin. Ich bin also frei, weil ich determiniert bin. Weil sich die Kausalreihe einer anderen Richtung befleißigt, bin ich plötzlich im Zustand der Freiheit, obwohl im Vorsatz das Gegenteil behauptet wird. Ich bin also frei, weil und obwohl ich nicht frei sein kann. Der Term "frei" wird vom Term "determiniert" nicht mehr unterschieden. Damit wird alles wahr, auch das Gegenteil. Wow!
Ich kann nicht einsehen, wie dieser Gedankengoulasch aufgelöst werden kann, indem man Begriffe wie konkrete Freiheit und abstrakte Freiheit einführt.
3. Was die Zuhilfenahme der Quantenphysik angeht, so ist Ihre Argumentation nur möglich, wenn Sie tatsächlich keinen Unterschied zwischen einem Briefkasten, einem Pantoffeltierchen und einem Menschen machen. Auch der Briefkasten ist quantenphysikalisch indeterminiert und unterliegt der Beschreibung durch die Kopenhagener Deutung. Im Gehirn des Menschen haben wir es freilich mit einer anderen Komplexitätsstufe der Materie zu tun, so daß sich Indeterminiertheit hier anders ausdrückt als beim Badestuhl. Die meisten Biologen sind da klüger. Sie begreifen den Geist als emergente Systemeigenschaft des Gehirns. Sobals der Emergenzbegriff oder der Fulgurationsbegriff eingeführt wird (Prigogine, Eigen, Lorenz usw.)fallen Ihre Einwände weg. Denn damit wird eine Seinsebene beschrieben, die nicht identisch ist mit den physikalischen Eigenschaften des Gehirns, ihnen aber auch nicht widerspricht (ähnlich bei der Definition des Lebens).So wie beim Fernsehen: Ich drücke auf einen Knopf, die Physik des Apparates arbeitet, und heraus kommen Nachrichten, die einer anderen Ebene angehören als die Transistoren im Apparat.
4. Ihre Absicht ist offensichtlich die, das spezifisch Humane zu beseitigen, um den Menschen zu einem passiven Ding zu machen, damit er sich stoischer Gemütsruhe erfreuen kann oder hunduistischen Fatalismus. Warum soll einer sich nicht mehr über seine Leistung freuen können? Sie schreiben:"..die positive (stolzgeschwängerte) Bilanzierung eigener Leistung hemmt die anzustrebende Veränderung des Individuums hin zu größerer Humanität...) Ich habe nicht gewußt, dass eine solch lust-und körperfeindliche Gnosis sich aus der Spätantike in unsere Zeit retten konnte. Überhaupt erinnert mich Ihr Ansatz an die Auseinandersetzung zwischen Luther und Erasmus, wobei Sie eindeutig auf der Seite Luthers stehen, der genauso wie Sie den freien Willen leugnete, dazu nur eine andere Terminologie benutzte.
Aber hilft es dem modernen Menschen in der heutigen Warenwelt, wenn man ihn so verdinglicht, indem man ihm das eigentlich Menschliche, das Spontane, die Kreativität, die Selbstbestimmung
miesmachen will? Ich denke an das Gespräch zwischen dem Mittelalter und der Renaissance (Joh. von Tepl, Der Bauer und der Ackermann) wo Sie Ihre Argumente nachlesen können. Das Mittelalter (Schmidt-Salomon) besteht darauf, die Freude, die Lust als "fremd Ding, von außen gesteuert" zu bgreifen, während der neue Mensch sich seiner Freiheit und Spontaneität erfreut und mit Recht die Miesmacher abwehrt.
5. Stellen Sie sich vor, ein Computer könne Sie als Algorithmus durchrechnen und alle Kausalkräfte in die Rechnung einbeziehen. Kann er voraussagen,ob Sie einen Kopfstand machen wollen? Kann er nicht, denn spätestens nachdem er das Ergebnis auf dem Monitor zeigt, können Sie genau das Gegenteil tun.
5.Der Poppersche Einwand gegen Ihre Position lautet: Will jemand einen Satz gebrauchen wie "Die Welt ist von strengen Kausalgesetzen beherrscht", dann spricht er darüber nicht mehr als falsifizierbare Behauptung, also nicht wissenschaftlich.
6. Soll in Ihrem Denken ein Mensch anders (humaner) handeln, hängt er von äußeren Causae ab, über die er nicht verfügen kann. Man kann sagen: Er hätte anders gehandelt, wenn die Welt eine andere wäre oder er selbst ein anderer. Mit Weltverbessern ist also nichts, man muß die Welt schon jedesmal neu erfinden.
7. Der Begriff Schuld ist bei Ihnen ein Mythos. In Zukunft steht nicht der Angeklagte auf, wenn das Gericht eintritt, sondern das Gericht, wenn der Angeklagte eintritt.
8. Wie kommen Sie eigentlich zu dem humanistischen Glaubenssatz? Er ist eine freie Erfindung des Subjekts Schm-Sal. Jeses andere Subjekt hätte das gleiche Recht, einen völlig anderen Satz aufzustellen. Sie benutzen den Begriff "gut" etc. ohne Angabe,was Sie damit meinen, bzw. setzen eine Bedeutung voraus, die sich erst im Diskurs vor der Vernunft als rechtmäßig erweisen muß. So aber entscheiden Sie fröhlich aus dem Bauch und unterschlagen die Rechtfertigung. Würden Sie in diese allerdings einsteigen, könnten Sie sich nicht mehr auf persönliche Empfindungen im Bauchbereich berufen. Die Behauptung,es gehe darum, "ob die Entwicklung...dieser oder jener Hypothese uns verhelfen kann, die Verhältnisse menschlicher zu machen" nicht aber darum"ob diese oder jene Hypothese an sich stimmt" erinnnert mich fatal an den Mief des DDR Beglückungssystems, das auf seinem parteiischen Standpunkt genau wußte, was der Menschheit nützt.
M.a.W. Ihre Position ist doktrinär und dogmatisch zugleich, sie feiert die Auferstehung eines gewissen Trierer Denkers mit anderen Worten. Mit dem gleichen Recht könnte ein Neo-nazi seine persönliche Bauchbeziehung zur Grundlage seines deutschen Glaubenssatzes machen. Ich halte das nicht für Vernunft.
9. Wenn Sie wissen wollen, wie eine christliche Antwort und damit eine vernünftigere auf die angesprochenen Fragen aussieht inklusive einer auf dem neuestem wissenschaftlichen Stand formulierte aussagenlogische Gottesformel, dann empfehle ich Ihnen mein neuestes Buch "Der Faktor Gott" Verlag Herder, 1999 1. und 2. Auflage.
Mit freundlichem Gruß
Hanns Cornelissen


 

Von MXX am Sonntag, den 8. August, 1999 - 15:15:

Der Freie Wille ist doch längst widerlegt durch Schopenhauer:

"Fragt man, ob er, im gegebenen Fall, sowohl eine Sache als ihr Gegenteil wollen könne, so wird er zwar im ersten Eifer es bejahen, sobald er aber denn Sinn der Frage zu begreifen anfängt, wird er auch anfangen, bedenklich zu werden, endlich in Unsicherheit und Verwirrung geraten.[...]. Die berichtigte Antwort würde lauten: Du kannst tun, was Du willst, aber du kannst in jedem Augenblick deines Lebens nur ein bestimmtes wollen und schlechterdings nichts anderes als dieses eine"
Der Mensch kann, was er zu können wähnt, nicht anders als unter derselben Bedingung. "Denn sein >ich kann dies wollenwenn ich nicht lieber jenes anderes wollte<. Der hebt aber jedes Wollenkönnen auf! Ich kann tun, was ich will: ich kann, wenn ich will, alles, was ich habe, den Armen zu geben und dadurch selbst zu einem werden - wenn ich will! Aber ich vermag nicht, es zu wollen, weil die entgegengesetzten Motive zuviel Gewalt über mich haben. Oder anders gesagt: Wollen lässt sich nicht lernen.
Die Freiheit des Willens ist also nicht da, da ich ja immer nur so Entscheide, wie die Motive und Begebenheiten sind. Der Wille unterliegt also der Notwendigkeit und damit ist er nicht mehr frei zu nennen.


 

Von Christ am Sonntag, den 8. August, 1999 - 18:55:

Herbert:

Ich warte immernoch auf eine Antwort auf mein Posting vom 27.7.99 und auf die gemailte Texte von Rahner. Fall es Dir an Antworten fehlt, kannst Du mir ja mailen.

MMX:

Wenn Du Dich an anderer Stelle darüber aufregst, daß ich Dich als A. eingestuft habe, so liegt dies an Deinen Postings, die mir keinen anderen Schluß zuließen.

Durch einen Philosophen den freien Willen zu widerlegen, ist paradox, denn er widerlegt dies ja durch seine Aussage selbst, denn nichts als der freie Wille hat ihm die Möglichkeit zu einer solchen Aussage gegeben.

Gnade ist weder eine moralische Wertung, noch eine eine meßbare Größe. (Hier muß ich leider Ullrich widersprechen). Gnade erfährt jeder Mensch anders und bewertete sie auch anders, damit will ich sagen, viele merken ja garnicht welche Gnade ihnen zuteil wird. Aber so ist es nun mal, der Hl. Geist weht wo er will und das gibt immerwieder Hoffnung.

Mein Eintrag vom 5.8. ist übrigens jiddisch und will nicht anderes sagen, als:
Die Menschen hinterfragen viel, Gott nicht!


 

Von Ulrich am Sonntag, den 8. August, 1999 - 20:15:

Nagut, Christ. Deine Auffassung von Gnade ist schon auch ganz korrekt.

Die Hauptsache ist doch, dass man nicht undankbar gegenüber Gott ist. Undankbare Menschen sind so ziemlich widerlich.

MXX: Schopenhauers Überlegungen zum freien Willen: gedankliche Spielereien und Spitzfindigkeiten ohne jeden realen Bezug und ohne jeden reellen Wert.


 

Von Heike J. am Sonntag, den 8. August, 1999 - 21:22:

Einen reelen Wert hätte es, wenn wir uns vom Gedanken der Willensfreiheit verabschieden könnten (ob nun wissenschaftlich begründet oder nicht, bleibt hier mal außen vor.) Wenn wir den anderen nicht für alle Fehler voll verantwortlich machen könnten, da er ja nicht aus freiem Willen handelt, könnten wir toleranter und verständnisvoller miteinander umgehen. Wir würden bei Vergehen vielleicht nicht nur nach Strafe und Vergeltung schreien, sondern stärker nach dem Warum fragen. Und vielleicht Lösungen finden.


 

Von Ulrich am Sonntag, den 8. August, 1999 - 22:26:

Jeder hat einen freien Willen und jeder trägt die Verantwortung für alles, was er tut. Ich weiss, Ihr alle mögt den Begriff Schuld gar nicht, weil Ihr damit beladen seid. Ihr alle mögt Vergebung nicht, weil Ihr sie eigentlich bitter nötig habt. Das könnt Ihr natürlich unmöglich zugeben, sonst würdet Ihr ja zugeben, dass Ihr Jesus braucht.
Und für bestimmte Sachen kann und will ich kein Verständnis aufbringen. Ich habe beispielsweise kein besonderes Interesse am Wohl von Gewaltverbrechern, sondern ausschliesslich am Schutz aller Personen, die ich mag. Ich habe auch kein Interesse daran, dass es ihnen schlecht geht. Ich will jedoch maximalen Schutz für meine Freunde. Ich habe auch kein Interesse daran, dass Huren ihrem Geschäft nachgehen dürfen. Ich will nur, dass keine von den Mädchen, die ich kenne oder die mit mir verwandt sind, ihren Körper verkaufen. Ich will weder Verständnis noch Toleranz für Leute aufbringen, die den Leib und das Leben der Menschen gefährden, die ich mag. Das kann niemand von mir verlangen. Mit der Gefahr für meine Person kann ich leben, sie ist relativ gering. Es gibt aber auch Schutzlose unter meinen Freunden. Ich toleriere beispielsweise keine Menschen, die diese erwiesenermassen durch bereits gezeigte Gewaltbereitschaft gefährden. Solche müssen aus der Gesellschaft entfernt werden und verdienen kein Verständnis.

 

 

Von Heike am Montag, den 9. August, 1999 - 08:11:

"Den ich mag"...Das zeugt von wahrer Nächsten-, aber nicht von Feindesliebe. War das nicht ursprünglich der Sinn des Christentums?


 

Von Tobias am Montag, den 9. August, 1999 - 08:26:

An Ulrich:

"Ich habe auch kein Interesse daran, dass Huren ihrem Geschäft nachgehen dürfen. Ich will nur, dass keine von den Mädchen, die ich kenne oder die mit mir verwandt sind, ihren Körper verkaufen."

Eine Aussage, die unverschämt ist. Niemand verbietet Dir Dein Leben christlich zu leben und Du würdest Dir das auch von niemandem verbieten lassen. Aber Du als Christ erhebst für Dich den Anspruch, anderen vorzuschreiben, wie sie ihr Leben zu leben haben. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis.

Hast Du Dir schon mal überlegt, was passiert, wenn wir hier Prostitution generell verbieten?

Wie willst Du die ganzen tickenden biologischen Zeitbomben kontrollieren, die bis jetzt ihren Druck brav bei den Freudenmädchen abgelassen haben?

Warum willst Du eine Frau, die sich freiwillig dafür entscheidet, ihren Körper zu vermieten, mit Gewalt daran hindern? Weil Du den Freiern diesen Körper nicht gönnst? Weil Du selbst zu feige dafür bist, inīs Puff zu rennen?

Die Prostitution ist so alt wie die Menschheit selbst und es hat schon immer Versuche gegeben, sie zu unterbinden. In Zeiten, in denen sie verboten war, fand sie illegal statt und die Zahl der Vergewaltigungen und Sexualmorde, begangen durch Personen, die sich nicht zu den illegalen Frauen trauten, aber ihre Triebe befreidigen mußten stieg drastisch an. Dann liberalisierte man wieder und senkte damit diese Zahlen wieder rapide.

Sobald aber eine gewisse Zeit vergangen war, und man sich nicht mehr an die Folgen des vorigen Verbotes erinnerte, verbot man die Sache wieder, nur um später unter dem Druck dessen, was man vermeiden wollte, aber statt dessen verursacht hatte wieder zu liberalisieren.

Erde an Ulrich: Das ist die Realität des Lebens

Du kannst heute einen Moralstaat aufbauen, der alles verbietet, was Dir nicht gefällt. Deine Nachfahren werden den altzustand wieder herstellen, so wie sie es immer getan haben und auch in Zukunft immer tun werden.

Liberalen Zeiten folgen konservative Zeiten und konservativen Zeiten folgen dann wieder Zeiten der totalen Liberalität. Du kannst einen bibelorientierten Horrorstaat aufbauen, der jegliche Prostitution unter Höchststrafe stellt, aber Du wirst sie nicht verhindern können. So wie sie die Christen in fast 2.000 Jahren nicht verhindern konnten und es auch in 2.000 weiteren Jahren nicht verhindern werden können.

Gruß Tobias


 

Von Tobias am Montag, den 9. August, 1999 - 08:40:

Nochmals an Ulrich:

wie vereinbarst Du folgende von Dir in ein und demselben Posting gemachte Aussagen:

"Jeder hat einen freien Willen und jeder trägt die Verantwortung für alles, was er tut"

"Ich habe auch kein Interesse daran, dass Huren ihrem Geschäft nachgehen dürfen."

Auf der einen Seite: Freier Wille, Eigenverantwortung - auf der anderen Seite: Ulrich will nicht, daß diese Frauen ihren freien Willen haben und verlangt Verbot.

Im anderen Forum ( Bibel und Sexualmoral ) besagst Du es deutlicher:

"Ich scheisse auf Deine Art von Toleranz."

Zugegeben, dieses Zitat ist aus einem etwas anderen Sinn herausgerissen, aber es ist wenn man Deine Postings liest fast beliebig und im Sinn passend einsetzbar. Vor allem bezeigt es mehr als deutlich Deine fundamentalische Einstellung.

Was der liebe Ulrich, der brav nach der Bibel lebt? macht, das darf die Welt tolerieren, denn er hat ja ein Recht darauf, so leben. Aber umgekehrt sch... er auf Toleranzen, denn nur er und seine Gesinnungsgenossen wissen, was gut ist für die anderen und was sie tolerieren können.

Kopfschüttel

Tobias


 

Von Hanns am Montag, den 9. August, 1999 - 09:51:

Hallo MMX,
Du nimmst anscheinend keine Notiz von der Diskussion auf grundsätzlichem dh. philosophischem Niveau, die ich mit Schmidt-Salomon führe. Daraus wäre zu schließen, dass du ideologisch verbohrt bist und einer kritischen Nachfrage ausweichst, indem Du Dich hinter einer Figur des 18. Jahrhunderts versteckst. Oder aber Du hast Argumente, die meine kritische Argumentation widerlegen können. Dann her damit. Ansonsten müßte man den Eindruck sich verfestigen lassen, dass es Dir eigentlich nur um Luftdübeleien geht.
MfG Hanns


 

Von Ulrich am Montag, den 9. August, 1999 - 12:23:

Es würde mir persönlich schon ausreichen, wenn man das Mindestalter für die Ausübung der "Tätigkeit" als Hure auf vielleicht fünfundzwanzig Jahre festsetzen würde. Vielleicht reicht ja auch einundzwanzig. Wenn eine Frau in diesem Alter sich tatsächlich dafür entscheidet, als Prostituierte zu "arbeiten", dann kann und will auch ich sie nicht daran hindern und dann will ich auch ihre Kunden nicht für die Inanspruchnahme ihrer "Dienste" vor Gericht stellen. Soweit bin ich schon Realist. Zumal ich Tobias an einigen Stellen, was z.B. den Abbau von Gewaltbereitschaft angeht, Recht geben muss.


 

Von MXX am Montag, den 9. August, 1999 - 20:48:

Lieber Hanns,

vielleicht solltest Du meinen Eintrag etwas genauer Lesen.

Der Wille ist doch das Resultat von Ursache und Wirkung, er unterliegt der Notwendigkeit. Freier Wille würde doch auch bedeuten, dass ich das machen kann, was ich eigentlich NICHT will. Dies würde aber niemand tun. Warum nicht? Weil dies gegen seinen Willen wäre, der ein blinder Trieb ist und das Prinzip des Individuums schützen will. Der Mensch wird sich immer so entscheiden, wie es ihm am besten Nützt. Folglich können wir den Willen nicht mehr frei nennen. Egoismus bestimmt unseren Willen. Wenn ich nun ein Bettler Geld haben - es ist der pure Egoismus, denn indem ich Geld geben, will ich mein Gewissen beruhigen. Natürlich könnte ich auch kein Geld geben - in diesem Fall sagt der Wille, das mein Geld wichtiger ist als mein Gewissen, vielleicht brauchte ich zu diesem Zeitpunkt keine Gewissensberuhigung? Das Motiv des Gewissens war also nicht stark genug, um den Willen in diese Richtung zu lenken. Der Wille braucht also ein Motiv - und dann erscheidet aufgrund der Notwendigkeit. Damit ist er nicht frei.
Ein anderes Beispiel ist sicherlich der Sexualtrieb. Wenn ich nun ein wunderschönes 20 jähriges Mädchen sehe und sich der Trieb regt, ist der Wille ausschließlich auf ein Ziel fixiert - zu ficken. Alles andere rückt in den Hintergrund und wird für diesen Moment bedeutungslos. Also folge ich dem Trieb und dem Willen, obwohl ich mir vielleicht vorher geschworen habe, Enthaltsam zu sein. Aber das Motiv war nicht stark genug, das Motiv der Fortpflanzung, indem sich der Wille bejahrt,war stärker.

Ich kann doch nichts dafür, dass der Wille nicht frei ist, ich hab nichts getan. Mir wäre es anders auch lieber. Ich kann auch nichts dafür, dass ich auf dieser Welt leben muss - ich konnte mich NICHT FREI ENTSCHEIDEN!
Ich kann von euer
Diskussion nur das Lesen, was ihr da Herausgerissen habt. Wie ich sehe, hast Du ein Buch geschrieben. Kannst mir ja mal ein Exemplar zusenden (natürlich kostenlos...), vielleicht ändere ich dann meine Meinung?
Wieso ist es plötzlich verboten, sich auf Schopenhauer zu berufen? Er ist nicht widerlegt und das Alter spielt doch keine Rolle. Sonst dürfest Du ja auch nicht an Jesu glauben.


 

Von Herbert am Montag, den 9. August, 1999 - 22:09:

Christ:

Ich warte immernoch auf eine Antwort auf mein Posting vom 27.7.99 und auf die gemailte Texte von Rahner...

Sorry. Deine eMail ging irgendwie unter. Habe sie rausgekramt - Drucker laeuft gerade (23 Seiten).


 

Von MSS am Mittwoch, den 11. August, 1999 - 17:12:

Lieber Herr Cornelissen,

vielen Dank für Ihre Antwort. Ich konnte leider nicht früher reagieren, da
ich einige Tage mit FreundInnen/Kindern in Zeeland verbrachte.
Nun zu Ihrer Kritik:

Punkt 1
a) Sie haben richtig erkannt, daß ich davon ausgehe, dass der Mensch in
seinem Handeln einer zwingenden Kausalität unterworfen ist. Das bedeutet
allerdings nicht, dass ich „Handlungen auf die Ebene von Billardkugeln
reduziere", denn im Gegensatz zur Billiardkugel ist der Mensch ein
hochgradig komplexes, selbstorganisierendes System.
b) Desweiteren schreiben Sie: „Wenn ich eine mathematische Aufgabe mit
Hilfe eines Dreisatzes löse, habe ich Gründe. Der Dreisatz ist keine
Ursache, noch ist die Überlegung Ursache." Losgelöst von der Unterscheidung
von Motiven, Gründen und Bedürfnissen - würde ich das aus der
soziokulturellen Evolution hervorgegangene Wissen um den Dreisatz als eine
wichtige Determinante Ihrer mathematischen Problemlösungsversuche ansehen.
c) Es ist meines Erachtens kein Problem, „Nicht-Materielles" als Ursache
für Folgen anzusehen. Deshalb habe ich nicht unbedingt einen
„Ursachenbegriff, der im Spiritualismus landet." Ich denke, dass der alte
Materialismus/Idealismusstreit überholt ist, dass es vielmehr sinnvoll ist,
mit alte Spinoza davon auszugehen, dass Geist und Materie Aspekte ein und
desselben Prozesses sind.
d) Richtig ist Ihr Hinweis, „dass die Kategorie der Kausalität eine
Konstruktion des Gehirns ist": „Auch wenn wir uns keine Welt als
nicht-kausal denken können, ist damit noch nicht ausgemacht, dass diese
Verknüpfungskategorie ein fundamentum in re hat."
Eben deshalb habe ich ja neben dem logischen Argument gegen die
Willensfreiheit auch das pragmatische, lebenstechnische eingeführt. Meines
Erachtens ist die Theorie der Willensfreiheit eben nicht nur undenkbar,
sondern auch untauglich, wenn es darum geht, die Utopie des gemeinsamen
guten Lebens zu verwirklichen.

Punkt 2.
Sie schreiben, Sie können den Sinn der Einführung der Begriffe „konkrete
Freiheit" und „abstrakte Freiheit" nicht verstehen. Nun, abstrakte Freiheit
ist in der Tat ein Unbegriff, da sich eine abstrakte Freiheit, das heißt
eine „allgemeine Freiheit von Zwängen" nicht denken läßt. Lieber Herr
Cornelissen, was Sie hier nicht verstehen können, ist in der Tat
unverständlich: nämlich das gedankliche Fundament der von ihnen bemühten
„Willensfreiheit".
Deshalb plädiere ich für die ausschließliche Verwendung des Begriffs
„Freiheit" im Sinne einer konkreten Freiheit, einer „Freiheit von
bestimmten Zwängen" (z.B. der Freiheit von dem konkreten inneren Zwang, ein
Asylantenheim anzuzünden) Und hier gilt: WENN WIR NICHT GEZWUNGEN SIND, DAS
ASYLANTENHEIM ANZUZÜNDEN, DANN SIND WIR GEZWUNGEN, DAS ASYLANTENHEIM NICHT
ANZUZÜNDEN. Eigentlich ganz einfach.
Was Ihnen die Sache schwermachen wird, ist sicherlich nicht die logische
Struktur dieser Aussage, sondern ihre moralische und - wenn Sie wollen -
theologische Konsequenz: den Verlust des Fundaments der (christlichen)
Moral oder genauer: des christlichen Schuld- Sühneprinzips.


Punkt 3
Ich stimme ihnen völlig zu, wenn Sie schreiben, daß wir bei der
Beschreibung der Leistungen des menschlichen Geistes auf den
Emergenzbegriff oder Fulgurationsbegriff zurückgreifen sollten. (Prigogine,
Eigen,
Lorenz usw.). Auch habe ich keine Probleme damit, hiermit eine Seinsebene
zu beschreiben, die nicht identisch ist mit den physikalischen
Eigenschaften des Gehirns, ihnen aber auch nicht widerspricht.
Sie scheinen zu glauben, ich sei ein Vertreter eines dogmatischen
Materialismus. In Wirklichkeit zeichnet sich mein Ansatz durch eine
Position jenseits von Materialismus und Idealismus aus. (siehe: Erkenntnis
aus Engagement)

Punkt 4.
Nein, meine Absicht ist nicht, das spezifisch Humane zu beseitigen, um den
Menschen zu einem passiven Ding zu machen. All meine Ausführungen zielen
auf einen humanistisch autonomen, aktiven Menschen, der seine Geschichte
macht - wenn auch nicht aus freien Stücken (Marx). Richtig liegen Sie
vielleicht ein wenig mit der „stoischen Gemütsruhe" (man könnte sie auch
„epikureisch" nennen) . Ich bin davon überzeugt, dass Menschen sich in der
Tat ruhig, erleichtert, „mittig" fühlen, wenn sie sich vom
Willensfreiheitsprinzip und dem damit verbundenen Schuld- und Sühneprinzip
befreit haben. Dies hat durchaus nichts mit Lust- und Körperfeindlichkeit
zu tun. Im Gegenteil! Mit der Leugnung der Willensfreiheit fällt das
Fundament der idealistischen Körperverleugnung: die Mär vom edlen freien
Geist und seiner Knechtschaft im mechanisch triebhaften Animalkörper wird
sinnlos.

Punkt 5a.
Sie schreiben: „Stellen Sie sich vor, ein Computer könne Sie als
Algorithmus durchrechnen und
alle Kausalkräfte in die Rechnung einbeziehen. Kann er voraussagen, ob Sie
einen Kopfstand machen wollen? Kann er nicht, denn spätestens nachdem er
das Ergebnis auf dem Monitor zeigt, können Sie genau das Gegenteil tun."
Meine Antwort:
1. Selbstorganisierende Systeme sind von außen nicht zu berechnen.
2. Nehmen wir spaßeshalber an, 1 träfe nicht zu, dann wäre die
Monitoranzeige sicherlich die entscheidende Determinante, die das von der
Vorhersage abweichende Verhalten verursachen würde. (Wobei sie sich
sicherlich anders verhalten würden als ich: Wie die Dinge stehen, müßten
Sie die Vorhersage des Computers durch das Verhalten widerlegen wollen, ich
hingegen bestätigen... ;-))


Punkt 5b.
Sie schreiben: „Der Poppersche Einwand gegen Ihre Position lautet: Will
jemand einen Satz
gebrauchen wie " Die Welt ist von strengen Kausalgesetzen beherrscht ",
dann
spricht er darüber nicht mehr als falsifizierbare Behauptung, also nicht
wissenschaftlich."
Meine Erwiderung:
1. Der Satz „Die Welt ist von strengen Kausalgesetzen beherrscht" ist in
meinem Aufsatz nicht zu finden.
2. Falsifizierbar sind ein Großteil meiner zentralen Aussagen, z.B.: „Die
Aufhebung des Willensfreiheits-Schuldprinzips führt a) zu besserer
subjektiver Befindlichkeit, b) zu besserer intersubjektiver Kommunikation,
c) zur Aufhebung der Gewaltspirale." oder: „Die Aufhebung des Prinzips der
subjektiven Verantwortlichkeitsprinzips bei gleichzeitigem Eintreten für
objektive Verantwortlichkeit führt zu verstärktem Auftreten objektiv
verantwortlichen Handelns."

Punkt 6.
Sie führen korrekt an, daß ein Mensch m.E. nur dann anders handeln kann,
wenn die Welt eine andere wäre oder er selbst ein anderer. Doch wo ist das
Problem? Die Welt ist nicht statisch. Und auch wir verändern uns Tag für
Tag. Sie, lieber Herr Cornelissen, sind nicht mal zwei Millisekunden lang
derselbe.

Punkt 7.
Dieser Punkt ist sicherlich Ihr größtes Problem: In der Tat ist der
Begriff „Schuld" aus meiner Philosophie verbannt. „Schuld" erscheint mir
als menschenfresserischer Mythos, der die einen überhöht und die anderen
erniedrigt. Ich plädiere für eine Gesellschaft, in der Verbrechen nüchtern
allein deshalb bestraft werden, weil man dadurch ihre
Auftretenswahrscheinlichkeit reduziert. Das Schuld- und Sühneprinzip
degradiert nicht nur den Verurteilten, sondern führt auch zu einem
verstärkten Auftreten von Verbrechen. Nebenbei: Mit kaum einer juristischen
Maßnahme läßt sich die Mordrate besser in die Höhe schrauben, als mit der
Einführung der Todesstrafe.

Punkt 8
Sie fragen, wie ich zu dem humanistischen Glaubenssatz komme. Dabei
erkennen Sie sehr richtig, dass dieser zentrale Satz völlig unbegründet ist
und erheben daraus einen recht scharf formulierten Vorwurf.
Das Problem, das Sie zu übersehen scheinen, ist aber, dass alles Denken auf
Unbegründbarem beruht. (nennen Sie ein Gegenbeispiel!) Am Anfang aller
Wissenschaft (egal ob Philosophie oder Empirie) steht die willkürliche
Setzung von Axiomen, die Wahrheit als relationalen (auf das Axiom
bezogenen) Wert erst entstehen lassen. In meinem Buch habe ich dies sehr
ausführlich belegt.

Punkt 9.
Sie empfehlen mir als Antwort auf die angesprochenen Fragen Ihr Buch "Der
Faktor Gott" Verlag Herder, 1999
Ich schlage vor: Schicken Sie mir ein Rezensionsexemplar zu. Ich werde eine
Rezension schreiben, die in der Zeitschrift MIZ erscheinen wird. Im
Gegenzug rezensieren Sie doch bitte mein Buch in einer Ihrer Meinung nach
geeigneten Zeitschrift. Ein Rezensionsexemplar sende ich Ihnen gerne zu...


Mit freundlichen Grüßen

MSS

--
*** *** *** ***
Michael Schmidt-Salomon, Dr. phil., Dipl. Päd.
Monter Wiese 27,D-54309 Butzweiler
Tel:06505/99053, Fax: 06505/99054
eMail: M.S.Salomon@t-online.de
Internet: http://Salomon.home.pages.de/
*** *** *** ***
"Erkenntnis aus Engagement" jetzt im Buchhandel! 486 Seiten neue
Philosophie und Pädagogik, radikal-humanistische Wissenschafts-,
Wirtschafts- und Religionskritik für nur 39 DM... Veröffentlicht bei
Alibri (Forum für Utopie und Skepsis)
*** *** *** ***

 

 

Von Hanns am Mittwoch, den 11. August, 1999 - 20:13:

Lieber MMX,
1.Fichte hat einmal gesagt: Was für eine Philosopohie man vertritt, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist. Wenn ich eine Philosophie des Willensdeterminismus wähle, dann muß ich meine psychologischen Gründe haben. Siehe Auch K. Jaspers: Die Psychologie der Weltanschauung. Ein kreativer Mensch, der sich über seine Leistungen freut und sein Leben aktiv und selbstbestimmt angeht, sucht sich nicht eine solche Verlierer-Weltanschauung, in der sich die Versager beruhigen können, weil sie ja an allem nicht schuld sind. Ein Loser sucht sich Schopenhauer, weil der auch ein Loser war. Kein Geld, lebte vom Ererbten, keine Kommunikation, schwätzte nur mit seinem Pudel, war gegenüber Hegel immer der Verlierer, sein Buch las niemand usw. Dass sich so ein Miesmacher und Misanthrop eine solche Philosophie bastelt, ist doch ganz klar.
2. Wenn ich von dem umfassenden Kausalnexus ausgehe, der auch der Mensch unterliegt, dann sind alle Ursachen bis hin zum Urknall an meinem Zustand mitbeteiligt. Hätte auch nur ein Körnchen Sand vor Millionen von Jahren am Strand von Yellowtown anders gelegen, würdest Du heute vielleicht ein ganz anderer sein und anders denken.(Fichte hat sich darüber lustig gemacht.)
Wenn Du und Dein Denken aber nur das Ergebnis von Dir fremden Ursachen bist, dann hat jeder, der anders denkt, diesselbe Ausrede und genauso recht wie Du. Dann hat aber Dein Diskutieren keinen Sinn.
3. Wenn Du recht hättest, müßte jede Handlung und jeder Gedanke eines Menschen vorhersagbar sein, zumindest für den Laplaceschen Geist. Die moderne Physik hat diese Vorstellung widerlegt. Sie geht von einem ganz anderen indeterministischen Weltbild aus. Ich kann Dir gerne entsprechen Literatur nennen. In der heutigen Physik ist Deine Anschauung nirgendwo vertreten.
4. Vielleicht hilft Dir Max Planck weiter. Er macht einen vernünftigen Lösungsvorschlag. Immer dann, wenn der Mensch seine vergangenen toten Handlungen rückwärts gewandt betrachtet, legt er darüber die Kategoie der Kausalität. Das gilt aber nur, wenn alles schon gelaufen ist. Die Handlung selbst im Augenblick des Handelns, also in der Gegenwart, ist immer offen nach vorne und deshalb frei. Fragen der Willensfreiheit sind also Fragen der zeitl. Perspektive. Was hältst Du davon? Schopenhauer kannte nur die alte deterministische Physik.
5. Da nach Kant und Schopenhauer die Kategorie der Kausalität immer nur die Erscheimungswelt erklärt, also die relative Wirklichkeit, bleibt davon das Ding-an-sich, also die absolute Wirklichkeit völlig unberührt. Das ist die wesentliche Kritik an Schopenhauer, die sich auch in der Literatur eingebürgert hat. In diesem Punkt wird er von niemandem mehr ernst genommen, weil man auf dem Boden der kantischen Philosophie- Schopenhauer ist Kantianer- so nicht denken kann ohne Selbstwiderspruch.
Mein Rat. Denk nicht so viel, werde ein aktiver Mensch mit Freude am Leben an an seiner Leistung.
6. Wer den Menschen zu einer Maschine macht, wer ihm die Freude an der eigenen Leistung vermiest,
zerstört die Würde des Menschen und macht ihn zu einem befehlsausführenden Ding.
MfG Hanns


 

Von Hanns am Mittwoch, den 11. August, 1999 - 20:25:

Lieber Herr Schmidt-Salomon,
ich nehme Ihr Angebot gerne an und schicke Ihnen ein Rezensionsexemplar. Meine Adresse maile ich Ihnen noch zu. Ich möchte aber die Diskussion hier nicht abbrechen. Leider habe ich nicht die Zeit, so schnell wie gewünscht zu antworten. Aber vielleicht schauen Sie mal in die Kritik an MMX(11.7.) Punkt 1, 4 und 5. Auf dem Boden von Schopenhauers Axiomen ist diese Philosophie gar nicht möglich.
Mein Buch "Der Faktor Gott, Ernstfall oder Unfall des Denkens?" ist im März im Verlag Herder erschienen, und inzwischen wird die dritte Auflage vorbereitet. Es behandelt den christl. Gottesglauben auf der Höhe der modernen Philosopohie und Wissenschaft. Gerade gestern erhielt ich ein in wesentlichen Punkten zustimmendes Schreiben von dem em. Leiter des Max-Planck-Institutes für Physik und Nachfolger auf dem Lehrstuhl Heisenbergs. Jeder Wissenschaftler kennt seinen Namen.
MfG Hanns Cornelissen


 

Von Horst Horn am Mittwoch, den 11. August, 1999 - 21:02:

Eine Religion macht aus einem Dreckesschwein auch keinen Engel.

Die Behauptung, Menschen einer bestimmten religiösen Überzeugung seien besser Menschen als andere, ist Überheblich und Naiv.


 

Von MSS am Donnerstag, den 12. August, 1999 - 11:20:

Eine Philosophie für Verager?

Hanns C. schrieb in seiner Kritik an MMX:
„Was für eine Philosopohie man vertritt, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist. Wenn ich eine Philosophie des Willensdeterminismus wähle, dann muß ich meine psychologischen Gründe haben. Siehe Auch K. Jaspers: Die Psychologie der Weltanschauung. Ein kreativer Mensch, der sich über seine Leistungen freut und sein Leben aktiv und selbstbestimmt angeht, sucht sich nicht eine solche Verlierer-Weltanschauung, in der sich die
Versager beruhigen können, weil sie ja an allem nicht schuld sind."
Na, na, lieber Cornelissen, so einfach ist die Sache nun doch nicht. War Einstein ein Versager, oder John Stuart Mill, die beide entschieden für politische Freiheiten eintraten, Willensfreiheit aber als Idee kategorisch ablehnten? Übrigens: Nahezu alle berühmten Psychologen haben die Willensfreiheitslehre nicht akzeptiert: War Freud deshalb ein Versager, oder Skinner? (Auch unter den heutigen Psychologieprofessoren finden Sie kaum Enthusiasten der Willensfreiheit.)
Zu Schopenhauer ist nebenbei zu sagen, dass er nicht von Anfang an „ein Versager" war. Er war vielmehr eine Art philosophisches Wunderkind und gerade seine Abhandlung über die Willensfreiheit wurde als beste Arbeit im Rahmen eines angesehenen philosophischen Wettbewerbs ausgezeichnet.
Wenn ich nun über die psychologischen Motive nachsinne, die meine Haltung zur Willensfreiheit beeinflußt haben, so waren diese völlig anders, als die Motive, die Sie aufzählten. Als Kind wurde ich als musikalisches Wunderkind gefeiert. Mit 5 hatte ich meinen ersten Auftritt im Theater, mit 9 sang ich mein erstes Solokonzert, mit 12 machte ich meine erste Platte, mit 13 mein erstes Klavierkonzert, mit 15 komponierte ich eine große symphonische Dichtung. Ich war nicht einmal 30, da hatte ich schon einen Großteil der bürgerlichen Traumvorstellungen verwirklicht: ein eigenes Haus, eine wunderschöne Tochter, nette Freundinnen und Freunde, einen Doktortitel mit summa cum laude, eine Arbeit, die mich erfüllt usw. usf.
Der psychologische Nutzen meiner Widerlegung der Willensfreiheit war und ist also nicht die Entschuldigung meines Versagens, sondern vielmehr die Entschuldigung meiner Leistung. Ich weiß, das ich nichts besonderes bin, selbst wenn ich etwas tue, was andere als besondere Leistung etikettieren. Das ist äußerst angenehm - für mich wie auch für meine Umwelt...

Ein anderer Punkt:

Hanns Cornelissen schrieb: „Vielleicht hilft Max Planck weiter. Er macht einen vernünftigen
Lösungsvorschlag. Immer dann, wenn der Mensch seine vergangenen toten Handlungen rückwärts gewandt betrachtet, legt er darüber die Kategoie der Kausalität. Das gilt aber nur, wenn alles schon gelaufen ist. Die Handlung selbst im Augenblick des Handelns, also in der Gegenwart, ist immer offen nach vorne und
deshalb frei. Fragen der Willensfreiheit sind also Fragen der zeitl. Perspektive."

Mit dieser Lösung bin ich prinzipiell einverstanden. Sie entspricht meinem Hinweis auf Prigogine, der behauptet, dass Zeit selbst ein kreativer Prozeß ist. Bei Akzeptanz dieser Lösung entschwindet aber das Fundament der christlichen Moral, d.h. der Schuld-und Sühnebegriff, der ja notwendigerweise eine freie Entscheidungsleistung in der Vergangenheit konstruiert.

Last but not least:

Hanns Cornelissen schrieb: „Da nach Kant und Schopenhauer die Kategorie der Kausalität immer nur die Erscheinungswelt erklärt, also die relative Wirklichkeit, bleibt davon das
Ding-an-sich, also die absolute Wirklichkeit völlig unberührt. Das ist die wesentliche
Kritik an Schopenhauer, die sich auch in der Literatur eingebürgert hat."

Da wir die Dinge nicht wahrnehmen können, wie sie losgelöst von Wahrnehmung erscheinen, können wir über das "Ding an sich" prinzipiell keine vernünftigen Aussagen machen. Wir sollten uns daher ausschließlich um das „Ding für uns" bemühen, d.h. über den Wert einer Idee entscheiden, indem wir nüchtern ihre Kosten/Nutzen für die Menschheit gegeneinander abwägen. Und gerade in diesem Punkt scheint mir die - moralisierend in die Vergangenheit gerichtete - Vorstellung einer Willensfreiheit nicht sonderlich hilfreich zu sein.

Li(e)be(rtäre) Grüße
MSS


 

Von mxx am Donnerstag, den 12. August, 1999 - 16:37:

Ein bißchen Sauer bin ich schon, zu schreiben, Schopenhauer sei eine Philosphie der Versager. Ich komme ja auch nicht auf die Idee zu sagen, daß Christentum sei eine Religion der Verlierer. Schopenhauer wußte seine Moral mit der des Christentums in Einklang. Im übrigen existieren keine Versager oder Gewinner. Es existieren nur Menschen (pathetisch, ich weiß). Gewinnen und Verlieren sind Worthülsen, Erfindungen, mehr nicht. Von mir kann man mich ruhig einen Verlierer nennen, mir egal. Wodurch zeichnet sich denn ein Gewinner aus: Freudig dahin leben (weil man über die Sachen nicht nachdenkt), Geld verdienen ( wobei man andere Ausbeutet und unterdrückt)? Oder ist man ein Gewinner, wenn andere auf einen Hören? Dann war Hitler auch Winner. Die Geschichte urteilt über einen Menschen. Hegel kennt doch heute kaum noch einer, Schopenhauer ist wieder aktuell. Marx - den ich sehr respektiere, aber seine Philosophie ist doch auch nicht aufgegangen.
Noch ein Wort zum Materialismus: glaubt denn noch jemand an diesen Unfug? Indem ich die Materie für real erkläre, vergesse ich doch, daß lediglich ICH sie für REAL empfinde. Ich versuche, ein Objekt mittels eines Subjektes zu beweisen. Absurd. Dann die Sache mit der Zeit: Nehmen wir an, das ganze Universum würde einen Tag still stehen, es würde also keine Zeit vergehen. Dennoch würde Zeit vergehen, wie wohl jeder zugibt. Die Zeit ist also in uns, und nicht außerhalb.


"Wenn Du recht hättest, müßte jede Handlung und jeder Gedanke eines Menschen vorhersagbar sein"


Theoretisch ja, aber die Entscheidung weiß nicht einmal ich. So entsteht die Illusion der Willensfreiheit. Dennoch kann man doch viele Entscheidungen voraussagen (bei einem vollständigen Freien Willen wäre das nicht der Fall). Wenn nun jemand sagt, "Ich bringe dich um", so weiß ich doch, wenn ich die betreffende Person etwas kenne und seinen Charakter einschätzen kann, dass er dass nicht tun wird. Warum? Die Angst vor der Konsequenz (Gefängnis)überwiegt. Der Wille ist also NICHT Frei. Solange Strafandrohung und Konsequenzen existieren, KANN der Wille doch gar nicht frei sein. In der Anarchie könnte man darüber reden, ob der Wille frei ist.

"Mein Rat. Denk nicht so viel, werde ein aktiver Mensch mit Freude am Leben an an seiner Leistung."

Wieso Freude am Leben? Freude ist doch negativ, muss doch vorher ein Mangel empfunden werden...

Wieso heißt dein Buch eigentlich der Faktor Gott? Mit welchen Tricks ziehst du den aus dem Hut?
Ist dein Gott wiedereinmal identisch mit Jahwe?

Ferner: Natürlich ist die Diskussion sinnlos. In einem sinnlosen Leben ist alles sinnlos, oder?

Ich GLAUBE an Schopenhauer, und kann doch trotzdem durchaus politisch Engagiert sein, ich schätze sogar Marx und trete ein den Sozialismus (natürlich nicht für den Bolschewismus oder andere abartigen "Modelle".), auch wenn ich mir bewußt bin, dass die Welt davon auch nicht wahnsinnig viel besser würde, aber die Qualität des Leidens wäre vielleicht ein bißchen niedriger. Oder um es mit einem Arthur Schnitzler Zitat zu sagen:

"Ich trete für die Freiheit der Menschen ein,
obwohl ich weiss, dass die meisten mit ihrer
Freizeit nichts anzufangen wüßten."


 

Von Hanns am Montag, den 16. August, 1999 - 18:42:

Lieber Herr Schmidt-Salomon,
endlich finde ich Zeit, auf Ihre Entgegnung zu antworten.
Langsam lichtet sich der Nebel. Sie gehen davon aus, dass das Denken per se tautologisch ist(Punkt 8). Das erklärt, warum manche Ihrer Sätze tautologischer Natur sind (z.B. Asylantenheim Punkt 2). Deshalb nehmen Sie auch keine Stellung zum Vorwurf "Dilemma des Determinismus". Wenn Denken sowieso zirkulär ist, dann kann ich mir ein paar beliebige Axiome aussuchen und nenne das "Einführung eines pragmatischen lebenstechnischen Arguments". Sie nehmen dann sicherlich gerne den Vorwurf im Rahmen des "Münchhausen-Trilemmas" in kauf, ein Dogmatiker zu sein. Die unter 5b2 aufgeführten Sätze sind nämlich nicht falsifizierbar. Erstens: "Allsätze" von dieser Struktur sind prinzipiell nicht falsifizierbar und es gibt auch kein entsprechendes Verfahren dazu. Wollte man Satz 5b2c widerlegen und einen Fall aus der Gerichtsmedizin vorführen, in dem die Aufhebung des subjektiven Verantwortlichkeitsprinzips zu vermindertem Auftretenerverantwortlichen Handelsn und erhöhter Kriminalität führt, so würden sie diese Aufhebung nicht anerkennen,was Ihnen leicht fiele, da dieses Prinzip metaphysischer Natur ist und empirisch nicht nachweisbar. Wäre Ihr Standpunkt ein wissenschaftlicher, müßten Sie diese Immunisierungsstrategie aufgeben und statt dessen auf eine Falsifizierbarkeit im Interesse des Erkenntnisfortschrittes Wert legen und den Satz entsprechend formulieren. M.a.W. die Struktur dieser Sätze deuten auf eine Immunisierung bzw. Dogmatisierung gegen kritische Einwände und Abwehr jeglicher wissenschaftlicher Falsifizierungsprozeduren hin. Wenn Sie Ihr System als ein metaphyisches Glaubensgebäude bezeichnen, kann ich diese Einwände freilich nicht machen. Dann aber befinden Sie sich auf der logischen Ebene der Religion, was die Diskussion allerdings verändert.
Einen Teil Ihrer anderen Antworten kann ich akzeptieren (1c,3,5a,6).
Meinem Vorwurf, dass dieses Konzept des Determinismus ein Konstrukt für Verlierer ist, da es der persönlichen Entlastung dient (Eichmann ist hier ein Paradesbeispiel), haben Sie Ihre persönliche Lebensleistung gegenübergestellt mit dem Hinweis, dadurch vor Stolz und Hochmut gefeit zu sein. Das allerdings macht mich hellhörig. Dieses Argument kenne ich aus der christlichen Mystik. Ihr Hinweis auf Einstein verstärkt diesen Eindruck. Einstein war Pantheist. Er wollte, dass auch in seinem Handeln und Denken das Göttliche transparent sei. Ich habe den Verdacht, dass Ihre Konzeption nichts anderes ist als eine verkappte religiöse Welterklärung (in allem handelt das Ganze= Gott) mit philosophischen Begriffen unter Verzicht auf religiöse Symbolik.Sie stehen dann freilich in einer Tradition des metaphysischen Denkens, die eine enge Beziehung zur christlichen Religion hat. Sie werden in meinem Buch erkennen, dass ich als Christ (und ehemaliger Atheist)mit vielen Ihrer Konstruktionen einverstanden bin. Allerdings unter einer Voraussetzung: Ich mache die Unterscheidung zwischen dem theistischen Gottesmodell,- das ein praktisch-spirituelles ist und zu dessen Struktur die Verantwortlichkeit des Menschen gehört-, und dem panentheistischen Gottesmodell, das Gott in der Fortführung des Anselmschen Gottesbeweises als das Ganze des Seins denkt ( siehe auch 1. Korintherbrief: Gott ist alles in allem),- wobei Gott auch in allen Entscheidungen wirkt und determiniert.( Dieses mystische Gottesmodell gehört zur Ausrüstung jeder brauchbaren Religion.)Beide Modelle gehören zusammen.
Das würde bedeuten, dass die Auseinandersetzung zwischen Atheismus und der Religion im wesentlichen auf Mißverständnissen beruht, und dass es bei genauerem Hinsehen nur Eine Vernunft gibt, die das Eine widerspiegelt. Philosophie und Religion sind dann nur die 2 verschiedenen Seiten der Einen Medaille.
Noch einmal zu Schopenhauer: Seine Behauptung, der Wille sei unfrei, wird durch die Behauptung relativiert, dass "der in ihm erscheinende Wille als Ding an sich frei" sei. Gleichzeitig heiß es bei ihm:"Ist der Wille wirklich das Ding an sich, so kann er nicht Gegenstand des Erkennens sein....Gibt es dagegen ein Erkennen des Willens, so kann dieser erkannte Wille unmöglich das Ding an sich sein:" Folgerichtig spricht Schopenhauer von seiner Philosophie als einem "immanenten Dogmatismus". Von seinen eigenen Kantischen Voraussetzungen aus ist die Verbindung des Dinges an sich mit dem absoluten Willen erkenntnistheoretisch nicht haltbar. Deshalb sollte ein konsequenter Monismus deterministischer Provenienz sich nicht an Schopenhauer halten.Zu Schopenhauer empfehle ich dringend das Buch des Adorno-Nachfolgers Alfred Schmidt:Die Wahrheit im Gewand der Lüge. Dieses Buch zeigt, dass selbst ein antireligiöser Denker wie Schopenhauer das Christentum nicht demontieren kann, sondern selbst immer wieder auf dessen Voraussetzungen zurückfällt: "Bei meiner Sache" schreibt er, "hat man so sehr den Kern von der Schale zu unterscheiden wie beim Christentum. Eben weil ich diesen Kern hoch schätze, mache ich mit der Schale bisweilen wenig Umstände..." Er verfährt dabei wie die humanistischen Foren. Sie sind im wesentlichen antiklerikal, bei näherer Betrachtung aber erstaunlich religiös- sofern die Auseinandersetzung nicht verweigert wird, um ungestörten Pamphletismus frönen zu können.
Auf Ihre Antwort bin ich gespannt. (Habe gerade gelesen, daß 40% der Naturwissenschaftler in USA an einen mystisch verstandenen Gott glauben. Das wäre ein höherer Prozentsatz als bei den christlichen Bischöfen!)
Mit freundlichem Gruß
Hanns Cornelissen


 

Von mxx am Montag, den 16. August, 1999 - 23:32:

Noch mal zu Schopenhauer, da muß was klargestellt werden. Schopenhauer interpretiere das Christentum als eine Religion der Askese und suchte nach Übereinstimmungen mit seiner Philosophie. Dies bildete für ihn den Kern des Christentums, die Schale fand er als überflüssig und nutzlos, ja, gar hinderlich. Schopenhauer teilte die Religionen auch nicht nach Theismus usw. ein, sondern nach Optimismus und Pessimismus. Er hatte was gegen die Kirche, da diese die Wissenschaft hindern würden ("Pfaffenherrschaft") und gegen die Auslegung des Christentums (Moses bezeichnete er - zu Recht- als Mörder) als wahre Geschichte ("als ob die Welt nicht schlegt genug wäre, gibt es noch die Pfaffen, die uns ihre Wahrheit verkaufen wollen - nebst Drohungen gegen Ungläubige). Da hatte er nur Hohn und Spott übrig. Aber er wollte niemals irgendeine Religion zerstören ("Das Volk braucht Religion", "Dem Volke kann man nur durch Gewalt beikommen - oder durch Religion"). Für den christlichen Gott Jahwe hatte er nicht sehr viel übrig. Die höchste Religion war für Schopenhauer allerdings der Buddhismus, teilweise hegte er auch Gnostische Gedankengut. Daß er nicht Antireligiös war, beweist sein Ausspruch, seine Philosophie sei eine neue Religion und seine Anhänger Apostel...
Niemand hat was gegen die Auslegung des Christentums im Sinne von Schopenhauer, leider machen das die Christen ja nicht, sie pochen weiter auf den Wahrheitsgehalt und auf ihren Gott.
Und den wollen sie uns dann noch als Gnädig und Gut verkaufen. Selbst wenn es einen Gott geben sollte - wer sagt, daß er "Gut" sein muß?


 

Von Tobias am Dienstag, den 17. August, 1999 - 06:06:

Eine gute Frage, warum muß Gott unbedingt gut sein, nur weil es ihn angeblich gibt. Wäre er gut, er hätte weder die Hexenmorde, die Ketzerverfolgung, noch die Exzesse sogenannter Christen im Blutrausch unseres Jahrhunderts ( die beiden WK`s, die Religionskonflikte, die derzeit überall entbrennen ) zugelassen.

Offensichtlich scheint er immer nur dann strafend einzugreifen, natürlich nur als Befehle erteiler, denn den Strafvollzug überläßt er seinem gerechten Bobdenpersonal, wenn es darum geht die berechtigte und in der Bibel garantierte Vormachtsstellung seiner Gefolgsleute zu verteidigen.

Gegen wen diese Verteidigt werden muß? Zumeist gegen die Personen, die sich nicht ihrem Diktat unterordnen wollen, das können zur Not auch Behinderte sein.

Gruß Tobias


 

Von mxx am Dienstag, den 17. August, 1999 - 10:52:

Auch die Konstruktion der ganzen Welt läßt nicht auf einen "guten Gott" schließen. jedes Lebewesen überlebt nur dadurch, daß es das andere verzehrt, seine Selbsterhaltung ist somit an den Tod anderer Lebewesen geknüpft. Wir leben also in der schlechtesten aller möglichen Welten, und die soll ein gnädiger Gott für uns geschaffen haben?


 

Von MSS am Dienstag, den 17. August, 1999 - 17:42:

Lieber Herr Cornelissen,

1) In der Tat glaube ich, dass man dem Münchausen-Trilemma nur durch die „Einführung eines lebenspraktischen Arguments", also durch eine moralische Basissetzung entrinnt. Die dogmatische Setzung eines Axioms ist notwendig, da die alternativen Lösungen „unendlicher Regress" und „Zirkelschluß entweder praxisuntauglich oder logisch fehlerhaft sind.

2) Zwar ist logisches Denken in gewisser Weise tatsächlich zirkulär, das bedeutet aber nicht, dass es keinen gedanklichen Fortschritt gibt, bzw. geben kann. (Fortschritt resultiert a) aus der Elimination logisch fehlerhafter Schlüsse b) der empirischen Evaluation fehlerhafter Hypothesensysteme, und c) aus der Entwicklung alternativer fruchtbarer technischer Hypothesensysteme und Methoden.)

3) Die unter 5b2 aufgeführten Sätze sind - entgegen ihrer Behauptung - durchaus falsifizierbar. Sie können im Rahmen empirischer Sozialforschung operationalisiert und an geeigneten Personengruppen getestet werden.
Zu ihrem Beispiel: Sie schreiben: „Wollte man Satz 5b2c widerlegen und einen Fall aus der Gerichtsmedizin vorführen, in dem die Aufhebung des subjektiven Verantwortlichkeitsprinzips zu vermindertem Auftreten verantwortlichen Handelns und erhöhter Kriminalität führt, so würden sie diese Aufhebung nicht
anerkennen, was Ihnen leicht fiele, da dieses Prinzip metaphysischer Natur ist und
empirisch nicht nachweisbar."
Es fällt auf, dass sie die zweite Komponente meiner These einfach unterschlagen. Die These lautete: „Die Aufhebung des Prinzips der subjektiven Verantwortlichkeitsprinzips bei gleichzeitigem Eintreten für objektive Verantwortlichkeit führt zu verstärktem Auftreten objektiv verantwortlichen Handelns."
Wollte man diese These überprüfen müßte man zwei Gruppen untersuchen: 1. moralisierende HumanistInnen (Menschen, die von der Idee der Willensfreiheit (und vom Schuldprinzip) ausgehen und die Idee der Gleichberechtigung aller Menschen jenseits von Geschlecht, Rasse, Klasse usw. als universalistische Basisnorm akzeptieren) und 2. nichtmoralisierende HumanistInnen ((Menschen, die die Idee der Willensfreiheit (und das damit verbundene Schuldprinzip) ablehnen und ebenfalls die Idee der Gleichberechtigung aller Menschen jenseits von Geschlecht, Rasse, Klasse usw. als universalistische Basisnorm akzeptieren)
Hier behaupte ich, dass nichtmoralisierende HumanistInnen in der Praxis eher humanistisches Verhalten zeigen als moralisierende. Diese These läßt sich selbstverständlich - mit einigem empirischem Aufwand - untersuchen.
Was die Behandlung von Gefangenen betrifft, behaupte ich, dass eine nichtmoralisierende, von humanistischen Idealen ausgehende Gesellschaft, weniger Kriminalität aufweist als eine moralisierende. Dies ließe sich - wenn auch empirisch nicht ganz sauber (viele Störvariablen) - anhand von Ländervergleichen überprüfen. (Die bisherigen Länderstatistiken sprechen im übrigen eher für als gegen meine These: Schweden z.B. als ein Land, das in der Rechtsprechung ohne moralisches Schuldprinzip auskommt, hat eine weit geringere Kriminalitätsrate als vergleichbare, in der Rechtsprechung moralisierende Länder)
Fazit: Der Immunisierungsvorwurf ist m.E. unangebracht.

4) Ich habe keine Probleme damit, dass einige Aspekte meines Ansatzes Ihnen aus der christlichen Mytik bekannt sind. Religionen sind für mich - bei aller Kritik - kulturelle Schatzkammern, die neben vielen schädlichen auch hilfreiche Lebenstechniken in sich bergen. Es wäre unklug, sich ihrer nicht zu bedienen.

5) Der mystische Gottesbegriff ist für mich - als Agnostiker - zunächst überhaupt kein Problem. Ich kritisiere lediglich die religiöse Beanspruchung dieser Vokabel, die ich aus lebenstechnischen Gründen gerne aus dem lebenspraktischen, politischen Diskurs verbannen würde - in gewisser Weise handelt es sich hier um eine Verschärfung des jüdischen Bilderverbots. Weiteres hierzu enznehmen Sie bitte meinem in der kritisch-rationalistischen Zeitschrift „Aufklärung und Kritik" erschienenen Aufsatz „Leben ohne Gott - eine Entscheidung für den Menschen" - Übrigens: der Aufsatz findet sich auch auf meiner Homepage: http://Salomon.home.pages.de/


Soviel für heute.

Li(e)be(rtäre) Grüße aus Trier
Michael Schmidt-Salomon


 

Von MSS am Dienstag, den 17. August, 1999 - 17:47:

Nachtrag zu meiner Erwiderung

6) Zur Frage, ob mein Ansatz nicht doch religiös sei, erlaube ich mir ein etwas längeres Zitat aus „Erkenntnis aus Engagement", das meine Position hinsichtlich des Verhältnisses von Wissenschaft(Religion klären sollte:
„Erinnern wir uns an die Gegenüberstellung von prämodernem und modernem Denken aus Kapitel 2.3: Dort hatten wir festgestellt, daß die Moderne an die Stelle Gottes die Vernunft und an die Stelle der Offenbarung die Methode des öffentlichen, argumentativen Diskurses und der Empirie setzte. Mit anderen Worten: Die Moderne versuchte zunehmend, Glauben durch Wissen zu ersetzen und nicht wenige modern denkende Menschen hatten insgeheim die Hoffnung, daß die Wissenschaft irgendwann einmal so weit entwickelt sei, daß der Begriff Gott, der für sie ohnehin nur ein Platzhalter für die langsam schwindenden Wissensdefizite der Menschheit war, gänzlich aus dem Vokabular der aufgeklärten Menschen entfallen würde.
Nun aber gab es - wie bereits analysiert - eine recht merkwürdige „Dialektik der Aufklärung", der zufolge die unersättliche, kritische Vernunft sich zunehmend selbst thematisierte und damit regelrecht entkernte. Der Suizid der Vernunft wiederum hatte zur Folge, daß die moderne, fein säuberliche Trennung von Glauben und Wissen zunehmend in Gefahr geriet, ja - wie bereits in Kapitel 5.2 angedeutet: Unter dem so sich konstituierenden postmodernem Blickwinkel erscheint das, was die Vernunft Wissen nannte, als ein spezifisches Glaubenssystem, das die Vernunft als solche nicht erkennen konnte, weil sie selbst integraler Bestandteil dieses Glaubenssystems war.
Grundlage dieser radikalen, für das Projekt der traditionellen Moderne verheerenden Aufhebung des Unterschieds von Wissen und Glauben ist der erkenntnistheoretische Standpunkt des Agnostizismus/ Konstruktivismus, der davon ausgeht, daß wir nichts objektiv Gültiges über die Welt wissen können, da wir über den Grad der Identität oder Differenz unserer Vorstellungen mit der losgelöst von unseren Wahrneh-mungen möglicherweise existierenden, objektiven Wirklichkeit keine Aussagen machen können.
Mit dieser Annahme ist der naiven Unterscheidung von Wissen und Glauben der erkenntnistheoretische Boden entzogen, denn erkenntnis-theoretisch können wir in der Tat nicht entscheiden, ob „an sich" die Existenz von Elektronen wahrscheinlicher ist als die Existenz von Engeln, Marsmännchen oder Osterhasen. Dies bedeutet zwar nicht, daß wir keine Möglichkeit mehr haben, zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Aussagen zu unterscheiden, allerdings müssen wir uns - so schmerzlich dies auch immer erscheinen mag - von der Idee verabschieden, daß wissenschaftliches Wissen der „objektiven Wahrheit" notwendigerweise näher ist als irgendein religiös bestimmtes Wissen.
Wenn aber nun der Grad der Übereinstimmung unserer Konzepte mit der Realität nicht das Maß der Wissenschaftlichkeit einer Aussage ist, worin besteht statt dessen der Unterschied zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Aussagen?
Antwort: Der Unterschied besteht allein in der Strategie der Erkenntnissuche. Wissenschaftliches Wissen ist ein methodisch begründetes, argumentativ abgesichertes und somit kritikfähiges Wissen, während religiöses Wissen auf Offenbartem beruht und sich damit permanent auf argumentationsfreiem Terrain bewegt - mit allen Gefahren, die damit verbunden sind.
Genau betrachtet ist aber selbst dieser Unterschied - so bedeutend er in der Praxis auch sein mag - nur graduell, denn natürlich beruhen auch die wissenschaftlichen Begründungen - man denke hier an unsere Expedition in den Sumpf der Letztbegründungen - auf nicht-begründbarem, also argumentationsfreiem Fundament. (Aus diesem Grund hatte ich ja mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, daß wir so wenige axioma-tische Setzungen vornehmen sollten, wie dies nur irgendwie möglich ist, denn je mehr Setzungen wir vornehmen, desto geringer wird der Spiel-raum der Wissenschaft und desto näher kommen wir dem gefährlichen Terrain der Religion.)
Deshalb gibt es - um dies noch einmal herauszustellen - im Modell der Neomoderne nur eine einzige axiomatische Setzung, nur einen ein-zigen argumentationsfreien Glaubenssatz: die Humanistische Basis-Setzung. Jeder weitere Satz, ob religiöser Glaubenssatz oder wissenschaftliche Hypothese, muß sich prinzipiell dem Begründungsdruck, d.h. der wissenschaftlichen Untersuchung, unterwerfen, ob er zur Realisie-rung der in dieser Setzung formulierten humanistischen Ziele taugt oder nicht. Es geht also nicht darum, zu klären, ob diese oder jene Hypothese an sich stimmt oder nicht (diese Unterscheidung können wir aus er-kenntnistheoretischen Gründen nicht gerechtfertigt vornehmen), vielmehr geht es darum, ob die Entwicklung und Umsetzung dieser oder jener Hypothese uns verhelfen kann, die Verhältnisse im weitesten Sinne menschlicher zu gestalten.
Dieser konsequente Abschied von der Idee der allgemeingültigen, objektiven Wahrheit hat den Vorteil, daß wir unsere Wahrheitskonstruktionen flexibler an die jeweiligen Bedingungen unserer sozialökonomischen oder natürlichen Umwelt anpassen können. Da keine Denktradition für sich einen besonderen Zugang zur Wahrheit beanspruchen kann, muß immer wieder neu über die Bedeutung, das heißt: den Nutzen der jeweiligen Tradition verhandelt werden. Ein solcher auf agnostischer Erkenntnistheorie und humanistischer Setzung beruhender, pragmatischer Kritizismus dürfte - konsequent angewandt - das beste Mittel zur Verhinderung jenes starren Dogmatismus sein, vor dem sich die Moderne wegen der in ihr noch vorhandenen, gnostischen Rudimente nicht ausreichend schützen konnte."

Abermals herzliche Grüße
MSS


 

Von Christ am Donnerstag, den 19. August, 1999 - 21:11:

Herbert:

Ich war doch wohl sehr geduldig und habe bis heute auf eine Antwort von Dir gewartet. Kannst Du nicht oder willst Du nicht?

MfG


 

Von Herbert am Freitag, den 20. August, 1999 - 23:14:

Sorry, hatte immer noch keine Zeit, den Text zu lesen.


 

Von Hanns am Dienstag, den 24. August, 1999 - 21:36:

Lieber Herr Schmidt-Salomon,
ick komme von einer Reise zurück und finde Ihre Antwort vor, was mich sehr freut. Zu 3: Ich wundere mich über Ihren Empiriebegriff. Sie wissen doch, dass es zur der Behauptung von Menschen, sie seien nichtmoralisierende Humanisten etc. überhaupt kein Verfahren geben kann, das dies empirisch verläßlich überprüft. Die Selbstaussage ist keine Gewähr dafür, dass diese auch stimmt. Schon die Überprüfung von 100 eigenen Einstellungen mit all ihren logischen Implikationen benötigt einen Computer, den es heute noch gar nicht gibt (Larry Stock etc.). Von unbewußten Einstellungen ganz zu schweigen. Das heißt: immer wieder basiert Ihre Theorienbildung auf Annahmen, die Ihnen wünschenswert sind, also unter dem Gesichtspunkt einer sog. Lebenspragmatik. Aber genau diese Denkstruktur zeichnet Ideologien, manchmal auch Religionen aus. Die Wahrheitsfrage wird expressis verbis ausgeklammert, statt dessen wird die Lebensdienlichkeit zur Richtschnur des Denkens. Im Namen eines humanistischen Basissatzes hat die Spekulation freie Hand. Wobei dieser Basissatz entweder ein Wunschzettel des Herrn MSS ans Leben ist und die log. Form hat von: Nichts ist wahr,außer meine Wünsche - er hat dann vielleicht Offenbarungscharakter für all diejenigen, die sich darin wiedererkennen( was aber mit denen, die es nicht tun?)-, oder er behauptet, eine korrekte Beschreibung einer essentiellen Wertetafel zu sein, und setzt dann den Begriff der Wahrheit voraus, der vorher mit Nachdruck immer wieder demontiert werden sollte.
Es wird mit diesem Ansatz einfach verschleiert, daß es keinen Basisatz gibt, in dem nicht schon eine Anzahl von metaphysischen Grundannahmen vorausgesetzt werden. Z.B. daß es andere Menschen in einer unabhängigen Außenwelt überhaupt gibt.
Die einzigen Basisätze, die ich vielleicht akzeptieren könnte, sind solche, wie sie der Wiener Kreis streng empiriebezogen und operationalisierbar zu definieren versucht hat. Subjektive Wünsche können vielleicht eine illusionäre Philosophie begründen, niemals aber der Vernunft genügen. Aber das wollen Sie auch nicht. Denn wenn ich Sie recht verstehe, ist Ihr Konzept ein genuin religiöses. Alle Einzelerkenntnisse sind fraglich, auch die Wissenschaft erkennt nur ihre eigenen Konstrukte, die Philosophie der Fragezeichen führt zu einem ganz anderen: Dem Ganzen. Wenn das Einzelne schon nicht sicher ist, muß wenigstens das Ganze sicher sein. Deshalb sagt der Christ: Gott (das Ganze) ist das ens certissimum. Dieses hat jeden Menschen dank der Determination seines Handelns fest im Griff. Jesus: Kein Haar fällt vom Haupte, ohne dass Gott es will. Religion als Rückbindung an das Ganze wird in Ihrem Konzept auf eine interessante Art und Weise durchgeführt (obwohl meine Zweifel an dem Instrumentarium bleiben).
Alle Fragen nach der essentia werden der moralischen Frage untergeordnet, denn sie sind ja nicht heilsnotwendig. Der Glaube an die Richtigkeit und Universalisierbarkeit (der nicht durch einen Diskurs erstellt wurde, sonst wäre er nicht abschließbar zu definieren) des humanistischen Basissatzes gründet womöglich noch in einer vorrationalen Liebesbeziehung zur Menschheit, im Verhältnis zu der alle Denkfiguren bloß ein abkünftiger Modus sind. Ein solches Denken war früher ein Grund, ins Kloster zu gehen.
Vor allem das soteriologische Ziel der Seelenruhe und des demütigen, weil nicht mehr leistungs- und schuldbezogenen Umgangs mit anderen Menschen ist identisch mit Übungen aus dem Handbuch des Ignatius von Loyola. Gerade die monastische Theologie ist in vielen Bereichen deckungsgleich mit Ihrem Konzept, nur dass Sie mit neueren Begriffen arbeiten.( Am Anfang dachte ich, ich lese eine Neufassung des Johannes vom Kreuz)Der Verzicht auf den Begriff Gott ändert dabei nichts an dem Sachverhalt. Natürlich können Sie anstatt des Begriffes Gott das Ganze auch Badeschuh oder Gartenstuhl nennen, die Sache selbst bleibt davon unberührt. Ich halte es allerdings nicht für aussichtsreich, den seit 3000 Jahren eingeführten Begriff Gott durch eine neue Tradition zu ersetzen. Was mir an Ihrem Gotteskonzept mißfällt ist folgendes: Wenn ich im Denken und Handeln determiniert bin, denkt das Ganze in mir. Ins Naturwissenschaftliche gewendet: wäre vor Millionen Jahren eine Kausalkette in eine andere Richtung gelaufen, wäre die Welt heute eine andere.( Ich stelle mir vor, wie Naturwissenschaftler vom Range eines R. Riedel oder H.P. Dürr die Hände voller Verzweiflung über soviel Vorgestrigkeit einer kausaldeterministischen Weltanschauung klagend in den Himmel strecken)Dann würde ich vielleicht auch anders denken, und meine Chemie im Kopf käme vielleicht zu Ihrem Ergebnis, während Sie heute womöglich die Heilsarmee vertreten würden.(Erinnerung: Alptraum des Determinismus, Popperetc.)Dann muß aber auch gesagt werden: Nach Ihrem Konzept einer konstruktualistischen (nicht konstruktivistischen) Wissenschaftstheorie denkt das Ganze in mir ziemlich Belangloses. Denn sein Denken hat mit Wahrheit nichts zu tun. Das Ganze stellt sich also für uns als ein ziemlich doofes Etwas dar von der intellektuellen Anspruchslosigkeit eines Autisten. Als Christ denke ich die Gedanken Gottes und nähere mich zumindest prinzipiell einer bestehenden Wahrheit an, auch wenn sie mich unendlich übersteigt. Erkenntnisfortschritt ist der Vorteil eines Gottes, der im Menschen wahre Gedanken denkt (Schelling, Hegel etc.)Das christliche Gotteskonzept ist deshalb m.E. Ihrem überlegen, weil es dem Menschen seine göttliche Dignität gibt als Teilhaber an der Wahrheit und Wirklichkeit des Ganzen. Der tumber Gott Ihres Religionskonzeptes läßt den Menschen abgestandenen Quark treten, ohne ihm eine Perspektive aus dem Eimer zu eröffnen. Er läßt ihn Luftdübel anbringen, wo handfeste Sicherheiten gefragt sind.
Was mir an Ihrem Religionskonzept besonders mißfällt ist die Verfolgermentalität eines Christenfressers, der die konkurrierende Religion mit miesen Mitteln madig machen will. Von Toleranz zwischen Religionen oder religiösen Konzepten keine Spur. Da ja heute die naturwissenschaftlichen Argumente gegen das Christentum nicht mehr ziehen, macht man es geschichtsmoralistisch. Nun weiß man aber als gebildeter Mensch, dass gerade die Geschichte keine exakte Wissenschaft ist (was Schopenhauer sehr schön ausgeführt hat, dies für MMX) Sie ist das Paradebeispiel für den hermeneutischen Zirkel. Man liest immer das aus ihr heraus, was man vorher schon in sie hineingedeutet hat. Wer seine Christenfresserbrille von Deschner aufsetzt, wird zuverlässig bedient. Aber es gibt eben auch andere Brillen. Das unterschlägt jedoch Ihre neureligiöse Konzeption. Babei steht doch fest: alles kann mißbraucht werden, und alles wird auch mißbraucht. Wendet der Christ ein, dass die Zahl der atheistischen Opfer weit höher liegt, bekommt er prompt zu hören, dass die humanistische Religionskonzeption mit diesen in weiten Bereichen denkungsgleichen Systemen nichts am Hut hat. Es gibt ein schönes Gesellschaftsspiel: Sag mir, in welcher Tradition du stehst, ich sag dir, welche Verbrechen du zu rechtfertigen hast. Alternative: Man behauptet, die intellektuellen Turnübungen einiger Humanisten
ständen traditionsfrei für den Beginn einer neuen moralischen Zeitrechnung. Ich halte das nicht für intellektuelle Redlichkeit. Noch eines: Ihre an anderer Stelle behauptete Diskursunfähigkeit von Christen kann ich nicht bestätigen. Eher mache ich die Erfahrung, dass gewisse Herren in Ihrem Forum nach 2/3 Argumentationen das Pulver ausgeht und sie den Diskurs beenden. Vielleicht sollte da noch etwas nachgerüstet werden.
Mit freundlichem Gruß
Hanns Cornelissen


 

Von Hanns am Dienstag, den 24. August, 1999 - 21:41:

Hallo Frank
da Du ja in Deiner Homepage behauptest, dass die christliche Religion mit der Wissenschaft nicht vereinbar ist, würde mich mal Deine Wissenschaftskonzeption interessieren. Sie muß sich ja grundlegend von der des MSS unterscheiden.Könntest Du sie vielleicht mal in Grundzügen darlegen? Mit freundlichem Gruß Hanns


 

Von MSS am Freitag, den 27. August, 1999 - 12:09:

Wissenschaft und Wahrheit

Lieber Herr Cornelissen

ich wundere mich ein wenig über ihre Antwort vom 24.8. Es scheint, Sie haben einen Großteil meiner Argumente nicht so recht zur Kenntnis genommen. Darum hier nochmals in aller Kürze:
1) Ich habe keine Probleme damit, dass gewisse Elemente meines Ansatzes an christliche Traditionen erinnern. Religionen sind - wie gesagt - kulturelle Schatzkammern der Menschheit, die neben lebensverachtenden Konzepten auch allerhand Sinnvolles enthalten
2) Natürlich ist der humanistische Basissatz ein völlig unbegründetes Dogma. Es ist ja erst die Basis für Begründungen. (Kein Denken kommt ohne die willkürliche Setzung von Axiomen aus!) Wenn Sie (zumindest in Ansätzen) dieses Dogma teilen (teilen Sie es?), können wir vernünftig miteinander kommunizieren. Wenn nicht, können wir nicht in einen rationalen Diskurs treten, sondern befinden uns in einem Widerstreit (zur Theorie des Widerstreits siehe Lyotard) (Übrigens: Der humanistische Basissatz setzt keinerlei metaphysischen Vorannahmen voraus, nicht einmal die Annahme, dass Menschen wirklich existieren. (siehe Erkenntnis aus Engagement, S. 376))
3) Ich bin - wie ich schon oft genug formuliert habe - kein Anhänger eines linear kausaldeterministischen Weltbilds, sondern vertrete ein chaosdeterministisches Konzept, das von Selbstorganisation und Emergenz ausgeht. (Nur in sehr oberflächlicher Betrachtung erscheint Selbstorganisation in der Gestalt der abstrakten Freiheit)
4) In all ihren Darlegungen gelingt es ihnen nicht, den personalen christlichen Gott mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang zu bringen. Der panentheistische Gottesbegriff, den Sie meiner Meinung nach in Ihrem Buch sehr gut begründen, ist für AtheistInnen und AgnostikerInnen jedoch kein Problem. Wie gesagt: Mit einem solchen inhaltslosen, prinzipiell unbegreiflichen Gott läßt sich keine Religion begründen, kein Scheiterhaufen anzünden, kein Glaubenskrieg führen...

5) Um die weitere Diskussion etwas produktiver zu gestalten, schlage ich vor, dass wir einige Basisbegriffe klären, bevor wir weiter diskutieren. Beginnen wir mit den Begriffen Wahrheit und Wissenschaft:
In „Erkenntnis aus Engagement" findet sich folgende Definition von Wissenschaft::
Ein System von Aussagen können wir dann mit dem Etikett „wissen-schaftlich" versehen, wenn die in ihm enthaltenen Aussagen unter permanentem Begründungsdruck stehen, wobei zwischen wahren und falschen Aussagen systematisch unter Zuhilfenahme des Kriteriums der logischen Widerspruchsfreiheit unterschieden wird. Anders formuliert: Man kann Wissenschaft als ein Sprachspiel begreifen, das auf einer einzigen, strikt durchgehaltenen Spielidee gründet, nämlich der binären Unterscheidung von wahr und falsch
Dabei beruht die Prädikatsvergabe (wahr/falsch) - wie wir aus kon-struktivistischer Perspektive hinzufügen müssen - nicht auf dem Krite-rium der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung einer Aussage mit der als objektiv gegeben angenommenen Wirklichkeit (naiver Realismus), sondern ein-zig und allein auf dem kontextuellen Kriterium der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung jener Aussage mit den jeweiligen erkennt-nisleitenden Axiomen, bzw. den aus diesen Axiomen deduktiv abgeleite-ten bzw. den anhand dieser Axiome technisch zu überprüfenden Hypo-thesen." (S.356)

Herr Cornelissen, stimmen Sie mit dieser Definition überein? Wenn ja, dann erklären Sie bitte, was Sie meinen, wenn Sie schreiben: „Als Christ denke ich die Gedanken Gottes und nähere mich zumindest prinzipiell einer bestehenden Wahrheit an, auch wenn sie mich unendlich übersteigt." (Sollte man einen solchen mystischen „Wahrheitsbegriff" (?) nicht strikt vom wissenschaftlichen trennen?)
Wenn Sie eine andere Wahrheitslehre vertreten, erklären Sie bitte, wie Sie diese mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen verbinden, die Sie so gerne zitieren und die in der Wissenschaftstheorie zur sogenannten „konstruktivistischen Wende" geführt haben?

Herzliche Grüße
MSS


 

Von Christ am Samstag, den 28. August, 1999 - 17:22:

Herbert:

Keine Zeit oder ist die Kost nicht so leicht verdaulich? Würde mich schon über eine konkrete Antwort freuen. Neben den Rahnertexten hatte ich ja auch noch einige Fragen gestellt.

MfG


 

Von Hanns am Sonntag, den 29. August, 1999 - 09:49:

Lieber Christ,
auf eine rationale Entgegnung von Herbert Ferst wirst Du lange warten müssen. Er ist mehr der Mann fürs Grobe. Es stellt sich wirklich die Frage, ob er diskursfähig ist. Ich habe schon zweimal erlebt, dass er die Disskussion einfach abbricht, wenn er in Schwierigkeiten gerät.
MfG Hanns


 

Von Hanns am Sonntag, den 29. August, 1999 - 17:14:

Lieber Herr Schmidt-Salaomon,
zunächst zur Wissenschaftstheorie: Der Konstruktivismus, auf den ich mich auch gerne beziehe, ist ja nicht anderes als eine Wiederauflage des Kantianismus in modernem Gewande. Gehen wir von dem Hume-Kantschen Beispiel eines Steines, der von der Sohne erwärmt wird, aus, dann ergibt sich Folgendes: Die Kausalstruktur ist eine kategoriale Addition, nicht in der Sache selbst nachzuweisen. Einverstanden. Der Stein und die Sonne sind Konstrukte unseres Hirns auf vorgegebene Materialien, die unserer Sinnlichkeit gereicht werden. Was ist mit den Materialien? Gehen sie mit in die Konstruktion ein?Wenn ich mit Ja antworte, übersehe ich, daß jedes Objekt und damit auch alles, was ein Objekt ausmacht, nur in Beziehung auf ein Subjekt existiert. Wenn ich mit Nein antworte, dann verliert die Konstruktion ihr fundamentum in re will sagen im Ding an sich und wird solipsistisch aufgelöst als reines Produkt des Subjekts. Wer dieses vermeiden will, muß auf eine dialektische Formel ausweichen: Das Material
ist sowohl in die Konstruktion miteingegangen als auch draußen geblieben. An diesem Punkt ist die menschliche Erkenntnis eindeutig dialektisch. Weil die Materialien auch draußen geblieben sind, können wir keine Aussage über die Welt an sich machen. Weil sie aber auch darin miteingegangen sind, hat unsere Erkenntnis eine Beziehung zur absoluten Wirklichkeit und ein Erkenntnis-fortschritt ist möglich. ( In welcher logisch-transzendentalen Form diese transkategorialen Materialien das Ding mitkonstutieren, kann hier nicht beantwortet werden. Wer aber den Zusammenhang von Constituens und Constitutum leugnet, landet in Absurdistan.) Diese Dialektik entspricht dem, was Nicolai Hartmann als die "Antinomie des Bewußtseins" (Zirkel des Denkens) herausgearbeitet hat: Das Bewußtsein muß im Erkenntnisakt aus sich heraustreten, sofern es etwas außer sich erfaßt, sofern es e r k e n n e n d e s Bewußtsein ist. Und: es kann nicht aus sich heraustreten, sofern es nur seine Inhalte erfassen kann, d.h. sofern es erkennendes B e w u ß t s e i n ist. (Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis). Konstruktivistisch ausgedrückt: Die absolute Wirklichkeit geht codiert in unsere Erkenntnis ein. Dort wird sie ein zweites Mal durch wissenschaftl. Kategorien codiert. Aber es muß immer ein Verhältnis der Korrelation zwischen Codierung und absoluter Wirklichkeit mitgedacht werden. Diese Korrelation ist für uns nicht erkennbar, wird sie aber einfach geleugnet, verflüchtigt sich das Ding zum Produkt einer solipsistisch gedachten Wirklichkeit. Die Einzelerkenntnis ist immer eingebettet ins ontologische Ganze, nicht außerhalb von ihm. Am Einzelnen partizipiert das Ganze ( sonst könnte es kein Ganzes sein, wenn es etwas gäbe, woran es nicht partizipierte und das nicht in seinen Umfangsbegriff mitenthalten wäre). Wir haben zwar nur eine Negativform der absoluten Wirklichkeit, aber das ist immerhin auch etwas. Solange uns die absolute Wirklichkeit im Experiment nicht widerspricht, wissen wir etwa soviel wie ein Kapitän, der nachts in eine Bucht fährt. Er weiß nichts über deb Untergrund, aber er weiß, daß da, wo er war, kein Fels ist. Das ist aber auch schon ein Wissen. Einstein hielt es für das Wunder überhaupt, daß die Strukturen im Kopf mit den Strukturen in dr Welt übereinstimmen. Da hilft auch keine evolutionäre Erkenntnistheorie, die Wirklichkeit ist immer ein vorgängiger Modus. Auch im Konstruktivismus werden Naturgesetze gefunden und nicht erfunden.Wenn jemand behaupten wollte, zwischen der Wirklichkeit für uns und der Wirklichkeit an sich bestände keine Korrelation, würde er die Kohärenz der einen Welt leugnen und einen Weltenpluralismus behaupten, der unverbundene Welten enthält. Diese Korrelation in den Dingen hält die Welt zusammen und im Kopf präsentiert sie sich als die "Gedanken Gottes". Freilich sagt die Bibel: Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken. Trotzdem kann man sagen: Meine Gedanken und Erkenntnisse stehen nicht in einem Widerspruch zu Gottes Gedanken, sie sind nur kleiner.
Weiter:
Nachdem ich nun Ihr Buch gelesen habe, verstehe ich Sie besser: Sie gehen aus von einer katastrophenphilosophischen endzeitlichen Religionskonstruktion. Der Kernpunkt ist die Leugnung der Willensfreiheit. Der Mensch soll u.a. von Schuldgefühlen etc. befreit werden. Nicht er handelt, sondern ein Ensemble von unbeeinflußbaren Ursachen, im Endeffekt das Ganze. Damit gehen sie den dritten Weg, der aus der Religionsgeschichte bekannt ist. Der erste Weg (Buddhismus) bedeutet Leugnung der Realität, alles ist Samsara. Der zweite Weg ist der christliche. Alle sind Sünder, wer ohne Sünde ist werfe den ersten Stein, nur Gott kann endgültig vergeben, der Mensch soll seinem Beispiel vorgültig nachfolgen. Bei Ihrem Religionskonzept ist der Mensch eine Art Handpuppe, in der die Hand des Ganzen wirkt. Damit wird das Subjekt erheblich entlastet. Nun gibt es da allerdings ein erkenntnistheoretisches Problem. Sie sagen, daß man über die Wirklichkeit an sich des Menschen nichts weiß. Damit ein bestimmter moralischer Basissatz instrumentalisiert werden kann, folgt die Behauptung der nicht-bestehenden Willensfreiheit als ein Konstrukt ohne Anspruch auf Wahrheit im Sinne der adaequatio re et intellectus. Sowohl der Basissatz als auch die Willenskonstruktion sind dezisionistisch eingeführt, also durch eine Willensentscheidung.Wird aber der Satz vom nichtvorhandenen freien Willen konsequent angewandt, dann existiert niemals ein Augenblick, wo der Mensch die Freiheit hätte, sich zu irgend etwas zu entscheiden. Denn freilich sind dann alle Entscheidungen sowie alle Gedanken bloß Naturereignisse. Sie verheddern sich immer wieder im Dilemma des Determinismus,das übrigens nicht nur von Popper, sondern auch von dem Konstruktivisten Watzlawick formuliert wurde. An diesem Punkt ist Ihre Konstruktion eindeutig widersprüchlich. ( Ich mache Ihnen da gar keinen Vorwurf, denn die Vernunft unterliegt einer paradoxalen Konfiguration. Aber das muß man dann auch sagen und zugeben.)Wenn Sie behaupten, die Annahme des Basissatzes nähme keine metaphysischen Implikationen in Anspruch, ja sogar die Existenz einer Außenwelt ist für sie bloß eine Hypothese, dann frage ich allerdings, ob Sie selbst vielleicht auch nur eine Hypothese sind. Ihre Philosophie ist ein System des "Tun-wir-mal-so- als-ob". Tun wir mal so, als sei der Mensch unfrei in seinem Willen. Tun wir mal so, als sei der HBS ein in sich evidenter Satz, tun wir mal so, als sei die Welt existent. Dieser Entscheidung, mal so zu tun, geht offensichtlich eine Existenz von MSS voraus, die ohne Welt im Wolkenkuckucksheim existiert und die sich eine Welt hypothetisch hypostasiert, ein Weltenschöpfer also. Der Wissenschaftstheoretiker W. Stegmüller hat mit Recht gesagt: Eine Metaphysik ist nur durch eine andere Metaphysik zu kritisieren. Nur paßt Ihnen diese Erkenntnis nicht in den Kram, deshalb versuchen Sie es ohne in einem desaströsen Zirkel.
Kant hat doch vorausgedacht. In den Antinomien der reinen Vernunft hat er gezeigt, daß die Leugnung der Willensfreiheit genauso logisch zu begründen ist wie das Gegenteil. Warum fallen Sie hinter diese Erkenntnis zurück? Aber Kant hat daraus geschlossen, daß der Wille in einem intelligiblen Sinne frei ist. Wir würden heute neurobilogisch sagen, dass die 1.Personperspektive nicht mit der 3. Personperspektive identisch ist. Was Sie machen, ist einfach die Leugnung der 1. Personperspektive. Sie verdinglichen das Subjekt trotz aller sozialen Einschlüsse zu einem Naturding und arbeiten ihn der Warenwelt in die
Hände. Sie bevorzugen hier eine gewaltsame Lösung anstelle des einzig philosophisch verantwortbaren Schwebezustandes.
Diese neomoderne Religionskonzeption hat alle Atrribute, die eine Newcomer-Religion hat: Aufruf zur Umker und Buße, Feindbild etablierte Religionen, Erlösungsverheißungen in Richtung auf eine entkapitalisierte Welt, Befreiung von psychischen Beschwernissen, gebetsmühlenartige Wiederholung marxistischer Glaubenssätze, Androhung eines Gerichtes qua Untergang der Menschheit, Platzierung eines absoluten Basissatzes jenseits einer vernünftigen Letztbegründung, Aufruf zu einer dezisionistichen
Annahme einer bestimmten Weltdeutung, Gemeindebildung in einem Nischenbiotop
von Geschichtsverlierern ( man schaue sich die Verlage an, mit denen der Alibri Verlag kooperiert), Diffamierung Andersgläubiger mit dem Ziel der eigenen stoischen Seelenruhe, ein prinzipielles Einverstandensein mit dem Ganzen, das in jedem Subjekt wirkt, wobei einem ja sowieso nichts anderes übrigbleibt, weil dieses Ganze auf jeden Einzelnen scheißt. Das Beste an dieser Religionskonzept sind seine Koans. Lieber Herr Schmidt-Salomon, ich habe einen langen Kopfstand versucht, habe 1 Kasten Bier gesoffen und 2 Stunden unter der heißen Dusche verbracht, aber ich habe dennoch nicht den Sinn des folgenden Satzes verstanden: "Die Erkenntnis, daß wir nicht frei entschieden haben,so zu sein wie wir sind, wird ergänzt durch die Pflicht,uns in Richtung größerer Humanität zu entwickeln.... Wenn wir es wollen, so können wir auch Teilsapekte unseres Willens ändern. Damit haben wir jedoch weiterhin keinen freien Willen,sondern einen von bestimmten Zwängen befreiten Willen, der freilich wiederum anderen Zwängen unterliegt....daß wir uns nach dem Abschied von der Idee der Willensfreiheit besser zum Humanen entwickeln können, sofern wir prinzipiell humaner werden wollen." Ob irgend jemandem nach diesen Koans die Erleuchtung beschert sein wird, wage ich zu bezweifeln. Ergebnis: Ich setze dem HBS einen zweiten Satz hinzu: Diffamiere keine anderen Weltanschauungen oder Religionen, denn wir sind alle gaz kleine Würstchen vor der Wahrheit.
MfG Hanns Cornelissen


 

Von Hanns am Sonntag, den 29. August, 1999 - 17:17:

Lieber Herr Schmidt-Salomon,
entschuldigen Sie bitte den Fehler in Ihrem Namen, es war keine Absicht.
MfG H. Cornelissen

 

 


 

Von MSS am Montag, den 30. August, 1999 - 15:03:

Neomoderne Newcomer-Religion?

Lieber Herr Cornelissen,

mit Ihnen zu streiten macht wirklich Spaß. ;-))
Ihre letzte Replik war in der Tat eine harte sophistische Nuß.
Da unterstellen Sie doch tatsächlich, die neomoderne Theorie habe alle Anzeichen einer „Newcomer-Religion".
Klingt originell, ist jedoch falsch. Das neomoderne System ist sicherlich ein Weltanschauungssystem. Das Etikett „religiös" jedoch trifft nicht zu, weil im Rahmen des Systems (mit Ausnahme der HBS) keinerlei metaphysischen Aussagen gemacht werden. Zum besseren Verständnis dieses Arguments hier meine Definition von Religion (die ich im übrigen strikt vom Bereich der Mystik trenne):
„Religionen sind Weltanschauungssysteme, die auf einem Bündel von Aussagen über die Struktur der „Welt an sich" beruhen, von dem aus Sollsätze für die „Welt des Menschen" abgeleitet werden. Die Kopplung von Seinssätzen über die „Welt an sich" mit Sollsätzen für die „Welt des Menschen" ist für Religion konstituiv. Sie ist die Grundlage jeder Religion. Eine Grundlage, die sowohl erkenntnistheoretisch unhaltbar ist, als auch fundamental gegen die Regeln des Diskurses, gegen das Prinzip der Gleichberechtigung verstößt.
Warum? Nun, eine der größten und wichtigsten Leistungen der kritischen Vernunft ist nämlich die Erkenntnis des konstruktivistischen Charakters unserer Weltwahrnehmung und die damit verbundene Absage an den Olymp. Die menschliche Vernunft ist bescheidener geworden. Sie behauptet nicht mehr, die Welt aus olympischer Perspektive erkennen zu können, sie weiß, daß sie dazu nicht in der Lage ist, weil sie selbst „die Welt" anthroporelational konstruiert.
Der Kern dieser Erkenntnis läßt sich in einem einzigen Satz ausdrücken, den zu beherzigen erste WeltbürgerInnen-Pflicht sein sollte:
Wir können die Welt nicht wahrnehmen,
wie sie losgelöst von unserer Wahrnehmung existiert.
Wenn dieser Satz stimmt (und ich kenne keine vernünftige Widerlegung dieses Satzes), so heißt dies, daß der gesicherte Zugang zur „Welt an sich" (die Welt losgelöst von unserer Wahrnehmung) für alle Zeiten versperrt ist und daß die einzige Welt, über die wir gerechtfertigt verhandeln können, die „Welt des Menschen" ist, eine menschliche Konstruktion, von der wir nur wissen, daß sie sich in den Kämpfen der Evolution wohl als existentiell sinnvoll herausgestellt hat. Ob und inwieweit aber diese Konstruktion mit der „Welt an sich" übereinstimmt, läßt sich nicht entscheiden, weil wir als Menschen für diese Entscheidung keine Kriterien besitzen.
Das heißt nun nicht, daß es unnötig oder unmöglich sei, über die Welt in der und mit der wir leben, Aussagen zu machen. Vielmehr bedeutet es, daß wir in Alltag und Wissenschaft von der erlebten Welt ausgehen müssen, daß wir gar nicht umhin können, die Welt aus der Sichtweise unserer menschlichen Existenz -also anthroporelational!- zu betrachten. Entscheidend ist dann nicht die Jenseitswahrheit von Weltmodellen, sondern ihre Diesseitsqualität. Es geht nicht um die Frage: Ist diese Wirklichkeitskonstruktion „an sich" wahr oder falsch?, sondern darum, ob sie zu unserem Anspruch auf Leben paßt oder nicht. Dies ist das einzige Kriterium, das wir besitzen, um gerechtfertigt zwischen guten und schlechten Wirklichkeitsmodellen zu entscheiden.
Natürlich möchten Religionen gemäß der obigen Definition von einer solch radikalen Beschränkung auf die menschliche Perspektive nichts wissen. Um weiter bestehen zu können, müssen sie ja behaupten, höhere Kriterien der Unterscheidung zu besitzen, müssen für sich -allen Argumenten zum Trotz- weiterhin einen Zugang zur olympischen Perspektive reklamieren.
Das heißt: Sie müssen damit fortfahren, ihre menschlichen Weltmodelle mit anderen als menschlichen Gütekriterien (z.B. göttlicher Wille, Gesetz des Kosmos etc.) zu versehen. Dadurch begehen sie aber einen furchtbaren Etikettenschwindel, der zu einem unlauteren Wettbewerb der Ideen führt. An dieser Stelle wird aus dem erkenntnistheoretischen Unsinn, der Grundlage der Religion ist, ein Verstoß gegen das Prinzip der Gleichberechtigung.
Um ein Gegenargument Ihrerseits gleich vorwegzunehmen:
Interessanterweise finden wir diese Inanspruchnahme der Welt an sich nicht nur in den theistischen Religionen. Auch das scheinbar antireligiöse Pendant zum Theismus, der theoretische Atheismus (beispielsweise in der Gestalt des Stalinismus), entspringt der religiösen Inanspruchnahme der „Welt an sich", behauptet er doch, daß Gott an sich nicht existiert. Auch dies ist ein nicht zu rechtfertigender Versuch, sich der „Welt an sich" zu bemächtigen. Der theoretische Atheismus stellt als solcher keine Alternative zum religiösen Dilemma dar.
Eine wirkliche, menschliche Alternative zur Religion bietet allein der Agnostizismus, der sich weigert, Aussagen über die „Welt an sich" zu machen, weil er sich zur erkenntnistheoretischen Beschränktheit -der Menschlichkeit!!- unserer Wirklichkeitskonstruktionen bekennt. Agnostizismus ist daher die erkenntnistheoretische Basis jedes ernstgemeinten Humanismus.
Ob Gott an sich existiert oder nicht, ist aus agnostizistischer Perspektive egal, weil unentscheidbar. Wir können, ja wir dürfen nach all unserem Wissen keine Aussagen darüber machen. Hingegen müssen wir darüber verhandeln, wie sich die diversen menschlichen Gottes-Konstruktionen auf das menschliche Leben auswirken. Hier wird der Agnostizismus in Anbetracht der oben beschriebenen Diskursunfähigkeit des Theismus wohl die Gestalt des praktischen Atheismus im Sinne Feuerbachs annehmen, der im Vorwort zum Band I seiner „Sämtlichen Werke" schrieb: „Wer von mir nichts weiter sagt und weiß als: Ich bin ein Atheist, der sagt und weiß von mir soviel wie nichts. Die Frage, ob ein Gott ist oder nicht ist, der Gegensatz von Theismus und Atheismus, gehört dem achtzehnten und siebzehnten, aber nicht dem neunzehnten Jahrhundert an. Ich negiere Gott, das heißt bei mir: Ich negiere die Negation des Menschen, ich setze an die Stelle der illusorischen, phantastischen, himmlischen Position des Menschen, welche im wirklichen Leben notwendig zur Negation des Menschen wird, die sinnliche, wirkliche, folglich auch politische und soziale Position des Menschen. Die Frage nach dem Sein oder Nichtsein Gottes ist eben bei mir nur die Frage nach dem Sein oder Nichtsein des Menschen."

Herzliche Grüße
MSS


 

Von Hanns am Montag, den 30. August, 1999 - 18:03:

Lieber Herr Schmidt-Salomon,
leider gehen Sie auf meine Argumentation nicht ein und wiederholen das, was ich zur Genüge kenne (Buch). Religion hat nur zum Teil etwas mit dem zu tun, was sie darüber schreiben. Vor allem ist es das Bewußtwerden der Tatsache, daß man sich rückbindet mit dem Ganzen (Gott)und aus ihm alles erhält. In der Bibel heißt es: LOsungswort von heute: "Gott istīs der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen." Philipper 2, 13. Man könnte meinen, MMS habe hier gesprochen. Nur dass er für das Ganze eine andere Vokabel benutzt. Aber nun sagt MMs natürlich, das mit der Leugnung der Willensfreiheit ist alles nicht so gemeint. Es ist nur eine "Als-Ob-Theorie". Gleichzeitig leugnen Sie den Satz Stegmüllers, dass eine Metaphysik nur durch eine andere Metaphysik zu kritisieren sei. Sie behaupten, der HBS sei die einzige metaphysische Behauptung. Nun habe ich ja herausgearbeitet, dass Ihre Philsophie eine Wiederauflage der "Als-ob-Philosophie" ist. Wir tun mal so, als sei die unabhängige Außenwelt da, als habe die wissenschaftliche Erkenntnis etwas mit der Welt an sich zu tun, als sei der Mensch ohne freien Willen. Wissen können wir das natürlich alles nicht, deshalb tun wir halt mal so. Jetzt muß ich mich allerdings fragen, ob Sie selbst auch nur ein Als-Ob-Hypothese sind? Gibt es hinreichende Gründe zu wissen, dass es Sie gibt. Woher wissen Sie es selbst? Verfügen Sie über eine zuverlässige Methode nachzuweisen, dass Sie existieren? Ich hätte da gerne mal eine logisch zwingende Aufklärung.
Mit freundlichem Gruß
Hanns Cornelissen


 

Von mxx am Montag, den 30. August, 1999 - 19:35:

Hanns, gerade habe ich rein zufällig Dein Buch gesehen und mal ein bißchen darin rumgeblättert. Du schreibst, auch Atheisten würden das Sein positiv bewerten, trotz aller negativität. Dies finde ich zu pauschalisierend. Buddhisten stehen dem Sein nicht so positiv gegenüber. Aber auch die Gnostiker, die natürlich keine Atheisten sind, sehen das Sein generell negativ.
Ich habe natürlich nur ein paar Stellen gelesen, bei all der Hektik, daher will ich jetzt keine Beurteil zu dem Buch abgeben, aber es erinnerte mich etwas an "Existiert Gott?" von Küng. Und auch in Deinem Buch wird am Ende Gott hervorgeholt - und welche Überraschung - es ist der christliche! Warum ist es immer der christliche? Das christentum ist nicht die einzige Religion.
Etwas lachen mußte ich, als ich las, Jahwe wäre ein gnädiger und gütiger Gott. Sorry, aber wer soviele Leute massakriert und sogar vor Kindern nicht halt, ist nicht gnädig. "Du sollst nicht töten" steht in der Bibel, und keine 2 Seiten liest der überraschte Leser, wie dieses "Buch Gottes" voller Stolz zu berichten weiß, wie Moses 3.000 Menschen killte. Im Namen des Herrn. Scheinheilig.
Auch Jesus kommt zu gut weg. Was hat er schon getan? Ein paar nette Phrasen gesagt, die schon andere vor ihm gepredigt haben, und ein paar Drohungen gegen Ungläubige ausgestoßen. Mehr nicht. Wie gesagt, soll das jetzt keine Beurteilung des Buches sein und vielleicht mag ich einiges in der Hektik falsch verstanden haben. Aber ich finde es immer wieder amüsant, wie die Leute bei Gott immer gleich Jahwe herzitieren. Warum nicht Krsna?
Ferner steht da, das Christentum ist der moralische Weg ins nächste Jahrtausend, ja sogar der beste. Da vergessen wir mal schnell die Geschichte...Die Kirchen können damit wohl auch nicht gemeint sein. Die christlichen Parteien wohl auch nicht. Aber wer dann? Die Christen selber? Die Mehrheit "beschimpft" einen doch gleich, wenn man an die Gültigkeit der Bibel nicht glaubt, in ihrer Arroganz, nur ihr Gott sei das einzig wahre.


 

Von Hanns am Montag, den 30. August, 1999 - 20:10:

Lieber MMX,
ich denke, vielleicht liest Du erst mal das Buch und dann bin ich gerne bereit, darüber zu diskutieren. Es macht einfach keinen Spaß, immer wieder dasselbe unkritisch duchzulabern. Ich will keine Meinungen hören, sondern Vernunftgründe. Nur über die läßt sich vernünftig streiten. Was ansonsten dabei herauskommt, siehst Du in diesem Forum. Dein Buddhismusbild ist von Schopenhauer beeinflußt und seit 200 Jahren überholt. Sag mal einem Buddhisten, das Nirwana sei ein Nichts im Sinne Schopenhauers. Er wird nur den Kopf schütteln und weitergehen. Beschäftige Dich mal mit dem Dalai Lama, ich empfehle dringend das Buch von ihm: Im Herzen sind alle Religionen eins. Dann können wir über Buddhismus diskutieren. Den Schopsi halt in Ehren, aber vergiß ihn.
MfG Hanns


 

Von MSS am Dienstag, den 31. August, 1999 - 10:33:

Lieber Herr Cornelissen,

in aller Kürze:
1. Für das Bewußtwerden des unbegreiflichen Ganzen reserviere ich den Begriff "Mystik". "Mystische Erlebnisse" müssen nicht religiös begründet sein. Der Nicht-Theist Erich Fromm z.B. sprach in diesem Zusammenhang von "X-Erfahrung". Es ist daher unredlich, Religionen zu verteidigen, indem man auf ihr mystisches Potential hinweist. Mystik gibt es auch jenseits religiöser Weltanschaungssysteme.

2. Da Sie ja mein Buch gelesen haben, wissen Sie, dass ich einen hypothetischen Realismus vertrete. Wenn Sie das Als-ob-Philosophie nennen, bitte schön. Ich sehe darin kein Problem.

3. Zum Dalai Lama empfehle ich das soeben im Alibri-Verlag erschienene Buch von Colin Goldner "Dalai Lama. Fall eines Gottkönigs." Ich glaube kaum, Herr Cornelissen, dass Sie bei Ihrem positiven Urteil bleiben werden...

4. Zum Abschluß: Was uns trennt, ist nicht die Wertschätzung der mystischen Dimension (die von ihnen sehr gut beschriebene Erfahrung des unbegreiflichen Ganzen) sondern der Glaube an den personalen, christlichen Gott. Diesen - und NUR diesen! - Glauben kann ich nicht teilen. Und ich sehe auch weit und breit keine Vernunftsgründe, die den Glauben an einen solchen Gott rechtfertigen könnten.
MMX und all die anderen KritikerInnen in diesem Forum kritisieren ausschließlich diesen personalen Gottesglauben. Der Angriff gegen das Christentum richtet sich nicht gegen Meister Eckart, sondern gegen die christliche Herrschaftsideologie, deren Inhumanität bereits in ihren Urtexten klar ersichtlich ist und deren fatale Wirkung in der Geschichte der Menschheit nicht übersehen werden darf. Die spanische Inquisition z.B. war alles andere als ein historisches Mißgeschick, sondern vielmehr eine Art Vorbereitung auf die neutestamentarische Verheißung des "himmlichen Auschwitz", wo die Engel zu Selektionären auf der himmlischen Rampe werden.
Zu diesem Punkt, den ich in meinem Buch ja deutlich ausgeführt habe, haben sie sich bisher nicht geäußert. (Ihr Buch "Faktor Gott" macht ebenfalls einen großen Bogen um dieses Thema) Haben Sie etwa Angst davor, zu erkennen, daß Sie in Wirklichkeit gar nicht der Christ sind, für den Sie sich halten, sondern nur ein politisch resignierter Alt-68er, der - durchaus verständlich angesichts der Weltenlage - Zuflucht in der heilen Welt der Mystik gefunden hat?

Herzliche Grüße
MSS


 

Von Hanns am Dienstag, den 31. August, 1999 - 15:24:

Lieber Herr Schmidt-Salomon,
ich möchte mich zu der von Ihnen angeschnittenen Frage nach dem persönlichen Gott erst äußern, wenn Sie mein Buch ganz gelesen haben. Ich habe diese Frage sehr wohl behandelt.
Mich würde aber sehr interessieren, ob Sie, jetzt philosophisch gedacht, existieren. Ich behaupte, dass Sie all die metaphysischen Voraussetzungen, die Sie erst entfernt haben, hier plötzlich wieder vorfinden. Jedes System expliziert nur das, was es vorher impliziert hat und es impliziert, was es vorher expliziert hat. Die alt-68-Sache ist eine andere Diskussionsebene. Richtig ist, dass nichts von der Scheiße, die wir früher vertreten haben, sich historisch bewährt hat.
Zu Ihrem System: Ich bringe es auf eine vorläufige Beschreibung: Reduktion der Wirklichkeit auf die dezisionistische Annahme eines willkürlich aber in guter Absicht konstruierten moralischen Basissatzes bei gleichzeitiger prinzipieller Leugnung jedweder Dezisionsmöglichkeit, daraus folgend eine systemimmanent bedingte Unmöglichkeit, ein Subjekt zu hypostasieren, das diesen logischen Zirkel denkt.
Einverstanden?
Die Vorwürfe gegen den tantrischen Buddhismus sind mir wohlbekannt.Aber Sie machen es doch mit dem Marxismus genauso wie der Fischesser: Sie essen das Fleisch und lassen die Gräten weg. Es gibt halt nichts ohne Gräten.
Mit freundlichen Grüßen
Hanns Cornelissen


 

Von Frank Welker am Dienstag, den 31. August, 1999 - 23:01:

Hallo Hanns!
Ich habe eure Diskussion zwar nicht verfolgt und kann daher nicht wissen, welche Auffasung MSS vertritt, aber dennoch werde ich dir hier eine vernünftige Antwort bieten:

Meine Wissenschaftskonzeption ist eine Mischung aus bilateralen Komplexarien und postmoderner Virologie. Unter Zuhilfenahme terminologischer Impressarien erhält man eine Sozialisationstransparenz, die humanistische Sexualpraktika mit postkommunistischer liberaler Telekommunikation verbindet. Der phlegmatische Forschungstrieb wird dabei weitgehend minimiert und das Corpus Christi exhumiert. Am Ende der postscholastichen Untersuchungsorgie erhält man dann das sublimitierte Ergebnis: 42!

mfg


 

Von Hanns am Mittwoch, den 1. September, 1999 - 07:15:

Hallo Frank,
etwas anderes habe ich von Dir nicht erwartet. Ich erkläre Dich hiermit zu einem diskursunfähigen Ignoranten und spreche Dir jegliche Autorität ab, über philosophische Probleme zu urteilen. Dass Dich das nicht davon abhalten wird, weiterhin Deine Flachdenkereien auf Deiner HP zu verbreiten, bestätigt nur die Erkenntnisse über Deinen Sozialtyp.
MfG Hanns


 

Von Hanns am Mittwoch, den 1. September, 1999 - 08:32:

Lieber Herr Schmidt-Salomon,
Sie schreiben in einem Aufsatz, dass Christen prinzipiell diskursunfähig seien. Ich fürchte, Sie werden in Ansehung der intellektuellen Leistung des Zitatensammlers Frank Welker über diese Formulierung noch einmal nachdenken müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Hanns Cornelissen


 

Von MSS am Mittwoch, den 1. September, 1999 - 08:42:

Lieber Herr Cornelissen, oder - ich gehe mal zum forenüblichen "Du" über - lieber Hanns,

ich habe Dein Buch - sogar beide Bücher - intensiv gelesen. Gut begründet scheint mir lediglich Dein panentheistischer Gottesbegriff zu sein. Es ist mir völlig unbegreiflich, weshalb Du den personalen Gott aus dem Hut zaubern mußt - auch in Anbetracht der vielen Verbrechen die unter Zurhilfenahme dieser Vokabel in der Menschheitsgeschichte verübt wurden.
Was nun den Vergleich Marxismus/Buddhismus betrifft: Lies bitte meinen Aufsatz "Proletarier aller Länder verzeiht mir? Plädoyer für einen zu Unrecht angeklagten Philosophen" - erscheint in Aufklärung und Kritik 2/99, auch auf meiner Homepage zu finden http://Salomon.home.pages.de/
Du wirst feststellen, dass ich mich gegenüber dem Marxismus ähnlich verhalte wie gegenüber jeder anderen Weltanschauung: konstruktiv-kritisch. Es gilt die sinnvollen Ideen von den lebensundienlichen zu trennen...

Herzliche Grüße
MSS

 

Archiv
1


September 1999  Der Humanist
erstellt von
Heike Jackler