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Neue Intelligenz

Zum Artikel gehörendes, aber leider nicht veröffentlichtes Interview mit Thomas S. Ray
Ein ebenfalls nicht veröffentlichtes Bild von Tom Ray mit seiner Tochter Ivy
Visualisierung des Tierra-Parasiten-Prozesses: 1, 2
Nicht realisierter Titelbildvorschlag


Eine kleine Gruppe von Menschen beschäftigt sich ausgiebig mit der Erweiterung und Verbesserung des menschlichen Gehirns, theoretisch wie praktisch. - Von Erik Möller
"Die Zukunft wird nicht verschwinden, auf der anderen Seite werden Veränderungen beschleunigt auftreten. Nachdem wir lange Zeit mit gemütlichem Schritt durch die Weltgeschichte geschlendert sind, beginnen wir jetzt mit dem Eintritt in eine Zeit der Veränderungen, die alle bisherigen historischen Entwicklungen weit übertreffen wird." Diese Prophezeiung kann man in der ersten Ausgabe des "Extropy"-Magazins nachlesen, das nur im Englischen erscheint.

Die Extropianer, wie sie sich selbst nennen, haben hehre Ziele: Sie wollen der Menschheit den sicheren Weg zu höheren Ebenen bahnen. Es handelt sich um eine in den USA ansässige Organisation, deren Übersee-Mitgliedschaft einen Beitrag von mindestens 50 $ jährlich fordert. Dafür erhält man unter anderem das vierteljährliche Magazin, die zweimonatliche "Newsletter", verschiedene Vergünstigungen und Zugriff auf diverse Internet-Dienste der Extropianer. Letztere wurden aber seit Mitte Juli vollständig geöffnet (siehe auch Kasten 1).

Die Texte des Instituts befassen sich mit potentiellen Zukunftsperspektiven. Dabei werden so ziemlich alle Technologien berücksichtigt, die in der Zukunft eine Rolle spielen könnten: künstliche Intelligenz, kognitive Wissenschaft und Neurowissenschaften, Nanotechnologie, Psychochemikalien, Kryonik, Biostase, Gentechnik, Memetik, Robotik und Weltraumkolonisation. Daneben noch viele andere, auch soziologische und moralische Theorien. Die Extropianer haben somit auch eine starke ideologische Prägung und machen aus ihrem Überoptimismus kein Hehl.

Unter künstlicher Intelligenz versteht man von Menschen erzeugte Technologie, die in der Lage ist, flexibel auf Aufgabenstellungen bestimmter, meist vorher definierter Art zu reagieren, sei es durch Simulation neuraler Netzwerke wie das menschliche Gehirn eines ist oder durch komplizierte Algorithmen. Beliebt sind auch sogenannte Alife-Simulationen. "Alife" steht für Artificial Life, in diesen Programmen werden künstliche Umgebungen simuliert, die als Lebensraum für ebenso künstliche Lebensformen dienen sollen. Bekannt geworden sind hier z.B. das wenig sinnvolle und sogar schon als Windows-Screensaver erschienene "Game of Life" und das interessante "Tierra"-Projekt.

Der einfachste Weg zur KI ist die Evolution selbst

Bei "Tierra" wird tatsächlich eine vollständige Evolution simuliert, und zwar mit beachtlichem Erfolg. Entwickler Thomas S. Ray legt besonders Wert darauf, daß die evolutionären Bedingungen an die Umgebung, den Computerspeicher und dessen Recheneinheit, angepaßt sind. So entwickeln sich die Lebensformen als selbst-replizierende und mutierende Programme in einer finiten Umgebung. Dies sind die Ausgangsbedingungen für eine Darwinsche Evolution nach dem Maxim des Überlebens der angepaßtesten Lebensform (nicht "Überleben des Stärkeren", das ist schlicht ein Übersetzungsfehler, der besonders von Rassisten und Elitisten gerne zur Argumentation eingesetzt wird). Aus den Programmen sollen sich durch natürliche Auslese schließlich intelligente, digitale Lebewesen herausbilden. Leider ist Tierra in seiner jetzigen Form für den Normalanwender kaum verständlich, es sind lediglich einige sich stetig verändernde Zahlenkolonnen zu beobachten. Es wurden aber auch schon Versuche unternommen, die digitale Evolution durch Verwendung der Internet-Sprache VRML optisch dreidimensional darzustellen, hier wird sich in den nächsten Monaten wohl noch einiges tun.


Bemerkenswert ist, daß der Entwickler nach eigener Aussage zwei Jahre brauchte, um den evolutionären Fortschritt seiner Lebensformen nach nur wenigen Programmstarts ausreichend zu beschreiben. Um Abstürze durch Fehler im Code der Programme (die ja die Lebensformen bilden) zu vermeiden, bediente sich Ray eines außergewöhnlichen Tricks: Er simulierte innerhalb seines realen Computers einen virtuellen "Evolutionscomputer", der fehlertolerant ist, also Mutationen nicht als falschen Programmcode deutet, der zu Fehlfunktionen führen würde.

Der Entwickler, der bis heute auch im Gebiet der Biologie tätig ist, hält es für unmöglich, mehrzellige Lebensformen wie Giraffen durch direkte Programmierung zu entwickeln. Doch er glaubt an die Möglichkeit der Schaffung eines digitalen Universums, das der Evolution genügend Spielraum zur Überschreitung der Grenzen vom Einzelleruniversum zum digitalen Zoo und vielleicht auch zu menschenähnlicher Intelligenz gibt.

Auch im Alltag trifft man von Zeit zu Zeit in der einen oder anderen Form auf KI, teilweise in heiterer Form: Welcher Modem-Benutzer ist nicht schon einmal auf ein künstliches Dialogsystem wie den unter Insidern bekannten "PSY-Chat" oder auch "Eliza" gestoßen, in denen ein menschlicher Kommunikationspartner nachgeahmt wird (ofmtals erstaunlich erfolgreich, wie die heiß gehandelten Mitschnitte zeigen)?

Hintergrund für viele solcher Programme ist der sogenannte Loebner-Preis, ein jährlich ausgeschriebener Wettbewerb, bei dem es um die Erfüllung des Turing-Tests geht - eine Jury muß entscheiden, in welchen Kategorien sie den simulierten Kommunikationspartner für echt hält. Sollte einmal ein Programm alle Kritierien voll erfüllen, fließt dem Programmierer der gesamte Fundus von 100 000 US $ zu.

Derartige Programme sind vor allem für Hilfesysteme interessant. Sie können Fragen, meist zu vorher definierten Themen, exakt beantworten, ganz so wie ein Experte im jeweiligen Gebiet. Dabei ist natürlich der Sprachsyntax ein großes Problem. Die meisten "Turing-Maschinen" suchen einfach in der gestellten Frage nach bestimmten Schlüsselwörtern und liefern dann eine vorher definierte Standardantwort. Diese Systeme bieten nur wenige Vorteile gegenüber herkömmlichen Indexen.

IF Sonne THEN Hautkrebs

Ein Lösungsansatz für das Problem des Textverstehens kommt aus den USA: 1994 berichteten z.B. DER SPIEGEL und c't über das in Austin, Texas entwickelte KI-System Cyc, das mit Hilfe sogenannter "Mikrotheorien" Alltagswissen (z.B. "Nachts ist es dunkel") ansammeln soll. Mit Hilfe dieser Wissensbasis soll Cyc nun umfangreiche Texte verstehen und Fragen beantworten können. Bei Unverständnis oder Kollisionen mit bestehenden Theorien stellt Cyc selbst Rückfragen. Für maschinelle Übersetzungen beispielsweise wäre ein System wie Cyc fast schon unerläßlich - diese erfordern nun einmal Intelligenz, ein Verstehen oder Nachvollziehen des zu übersetzenden Textes.

In seiner langen Entwicklungsphase seit 1984 lieferte das Programm oft verblüffende Ergebnisse. Besonders gerne erzählt Erfinder Douglas Lenat das "Surfbrett-Beispiel": In diesem Fall wies Cyc (von "EnCYClopedia", zu deutsch "Lexikon") auf ein erhöhtes Hautkrebsrisiko durch UV-Strahlung beim Surfen hin. Vor Monaten war ihm zur Analyse ein Satz über drei Surfer eingegeben worden. DER SPIEGEL brachte auch ein interessantes Interview mit Cyc selbst, von kryptischen Formeln in die menschliche Sprache übersetzt (Ausgabe 33/1994).

Cyc könnte Bestandteil vieler KI-Programme werden. Nicht nur die Teilnehmer des Turing-Tests würden von ein wenig gesundem Menschenverstand profitieren. Auch den sogenannten "autonomous agents" mangelt es an grundlegendem Sprachverständnis. Diese Systeme dienen zur Informationsselektion vor allem im weltweiten Datennetz Internet. Die heutigen Suchsysteme arbeiten nach der Methode der Schlüsselwörter und liefern so selten eine optimale Ausbeute. Besser wäre eine Suche nach einem bestimmten Auftrag, z.B. "Ich suche Seiten über die aktuelle US-Außenpolitik". Eine solche Anfrage ließe sich über die Suche nach den Schlüsselwörtern "aktuelle US-Außenpolitik" kaum mit befriedigenden Ergebnissen durchführen, von den unterschiedlichen Sprachen der Seiten ganz zu schweigen. Ein mit Cyc ausgestatteter Agent aber könnte selbst japanische Seiten zum Thema auf den Bildschirm bringen, später vielleicht sogar mit Direktübersetzung. Deshalb wird Cyc heute als eines der bedeutendsten Projekte der Anwender-KI angesehen.

Assoziation und Korrelation

Wenn man nach künstlicher Intelligenz fragt, muß man auch die Bedeutung der natürlichen kennen. Was ist eigentlich Intelligenz? Im Prinzip beschreibt Intelligenz in erster Linie die Fähigkeit zur Assoziation und Korrelation neuer Informationen. Je höher die Intelligenz, desto schneller und besser kann entsprechend aufbereitetes Wissen aufgenommen und in Verbindung gesetzt werden. Deshalb sagt die Intelligenz auch nichts über die Wissensbasis, die Bildung einer Person aus.

So muß man beispielsweise Adolf Hitler äußerst hohe Intelligenz zugestehen. Er war ein belesener Mensch, doch die Informationen, die er aufnahm, bildeten sein Weltbild und verursachten so den Tod von Millionen Menschen. Deshalb ist die Qualität und Erreichbarkeit von Informationen sehr wichtig, aber dazu später mehr.

Eine umstrittene Idee hinter der KI ist es, daß diese Technologie eines Tages den Menschen stark erweitern oder gar ersetzen kann. Diese Fiktion wurde schon oft in Horrorszenarien übernommen, in denen Supercomputer die Menschen unterjochen oder vernichten wollen. Die positive Variante der Extropianer ist es, daß mit Hilfe von KI erste "Uploads" (siehe Kasten 2) von Menschen in Computer durchgeführt werden können, daß KI-Computer die Wissenschaft um mehrere Jahrzehnte beschleunigen oder KI-Wesen mit herkömmlichen Menschen oder Transhumanen (Kasten 2) in Harmonie zusammenleben können.

Ob jemals komplexe Programme mit der Möglichkeit zur Erreichung der einen oder anderen Variante entwickelt werden, ist schwer zu sagen. Zur Zeit steckt die KI jedenfalls eindeutig noch in den Kinderschuhen, auch wenn bereits einige hochinteressante Projekte laufen (siehe Kästen 3/4). Sicher ist, daß es Fortschritte geben wird. Welche Implikationen diese fortgeschrittenen KI-Technologien dann aber haben, das reicht vom intelligenten Türöffner bis zum Hochleistungs-Supercomputer mit unglaublichen Möglichkeiten der Informationsverarbeitung und menschlichen Zügen.

Apropos Informationsverarbeitung: Fast alle Zukunftstheoretiker gehen davon aus, daß der bedeutendste (und der vielleicht einzig relevante) Rohstoff schon sehr bald "Information" heißen wird. Sollte die Menschheit sich nicht vor Erreichung bestimmter technologischer Schwellenpunkte selbst zerstören, dürfte dies absolut zutreffen. Der Grund hierfür liegt in den Konsequenzen der Nanotechnologie.

Beliebige Strukturen aus Müll erzeugen

Mit Nanotechnik lassen sich nahezu beliebige Objekte quasi aus Müll erzeugen. Dies klingt sehr nach Science-Fiction. Da die entsprechende Literatur bisher kaum im Deutschen erschienen ist, lohnt sich hier ein kleiner Exkurs. Nanotechnologie behandelt den Bau von Maschinen mit Abmessungen im Nanometer-Bereich. Da Atome Durchmesser von 0.6 bis 2.6 nm haben, bedeutet dies das Hantieren mit einzelnen Atomen. Kernidee der Nanotechnik ist der sogenante Assembler: eine Nanomaschine mit mehreren Manipulatorarmen ähnlich wie bei einem heutigen Industrieroboter.

Ein Arm hat Abmessungen im 100 nm Bereich und ist mit verschiedenen Werkzeugen am freien Ende in der Lage, einzelne Atome aus einem Molekül herauszubrechen und an einem anderen Molekül einzusetzen. Er kann somit im Prinzip beliebige mögliche Molekularstrukturen erzeugen. Der Assembler wird von einem (mechanischen) Nanocomputer gesteuert. Dieser hat ein Speichervermögen von bis 100 kb und eine Prozessorkapazität ähnlich einem 6502 oder 8080.

Ein Assembler mit Computer wird zusammen weniger als 10^9 u Masse haben. Zum Vergleich: Ein Kohlenstoffatom wiegt 12 u, ein Enzym um 10^5 u, das Bakterium Escherichia Coli wiegt um 10^12 u. Ein kompletter Assembler dürfte in einen Würfel von etwa 200 nm Kantenlänge passen.

Der Computer des Assemblers kann mit der Makrowelt kommunizieren. Er wird von dort programmiert und kann dann selbstständig Bauprogramme ausführen. Auf diese Weise ist der Assembler in der Lage, ein Duplikat seiner selbst zu bauen, das sich dann wieder selbst dupliziert. Kostete der Bau des ersten Assemblers noch viele Milliarden Dollar, hat man es nach einem Jahr des Reproduzierens nur noch mit Schüttgut zu tun.

Diese Masse an Assemblern kann dann programmiert werden, untereinander koordiniert komplexe Molekularstrukturen von makroskopischen Abmessungen zusammenzubauen. Da die entstehenden Bauteile Monomoleküle sind, haben sie gegenüber heutigen Bauteilen um mehere Zehnerpotenzen bessere mechanische Eigenschaften. Daher auch viel geringerer Materialverbrauch. Als Ausgangsmaterial kann beliebiger Grundstoff dienen, er muß nur die gewünschten Atome enthalten.

Die Idee der Nanotechnik wurde durch Bücher und wissenschaftliche Publikationen von Eric Drexler (USA) ab 1986 bekanntgemacht. Mit dem Raster-Tunnel-Mikroskop ist seit der gleichen Zeit ein Gerät verfügbar, das die Handhabung einzelner Atome ermöglicht (was IBM durch Aufbau des eigenen Logos aus Xenon-Atomen imposant verdeutlichte). Im deutschsprachigen Raum werden die Überlegungen zur Nanotechnologie wahrscheinlich als Phantasie abgetan. Der Bau des ersten selbstreproduzierbaren Assemblers dürfte aber innerhalb der nächsten 25 Jahre erfolgen.

In einem Bericht des 'Congressional Office of Technology Assessment', zitiert in einem Report des 'White House Office of Science and Technology Policy' (Titel: "Science and Technology: A Report of the President") heißt es zu Beginn der Clinton Administration: "... first versions of the molecular 'assemblers' may be realized in 5 to 10 years." Gemeint ist hier aber wohl ein noch nicht selbstreproduzierbarer Assembler, also ohne ausreichenden Nanocomputer. In Kasten 4 finden Sie weitere Informationen und Referenzen zu Nanotechnologie und einigen anderen der hier angesprochenen Themen.

Strukturierte Qualität

Die Konsequenzen dieser Technologie kann sich nun jeder selbst ausmalen. Entscheidend ist, daß damit akute Probleme wie Umweltverschmutzung, Klimakontrolle, Energieversorgung (mit nano-erzeugten Solarzellen) und Welthunger gelöst werden können, wobei eben die Betonung auf 'können' liegt. Denn alleine die Erreichung der Nanotechnik bedeutet noch nicht die Nutzung aller ihrer Möglichkeiten. Der Welthunger beispielsweise könnte auch heute rein theoretisch gelöst werden, die Technik hierfür existiert: Mittels spezieller Treibhäuser könnte bei einer intensiven Landwirtschaft auf einem Gebiet von der Größe des US-Bundesstaats New Mexico der gesamte afrikanische Kontinent mit Nahrung versorgt werden.

Durch Nanotechnik aber, und jetzt kommen wir zurück zum Thema Informationsverarbeitung, werden neue Handlungsweisen entscheidend. Der Begriff "Arbeit" muß wohl für viele Menschen neu definiert werden. Körperliche Arbeit wird zwar nicht völlig wegfallen, aber eine äußerst niedrige Priorität erhalten. Um allerdings eine logische Revolution der Bildung herbeiführen zu können, müssen die dafür nötigen Informationen bestmöglich strukturiert und abrufbar sein. Nicht allein ihre Qualität oder gar Quantität ist entscheidend, vielmehr die "accessibility", die Abrufbarkeit und der schnelle Zugriff. Auch das haben verschiedene Arbeitsgruppen bereits erkannt und entsprechende Forschungen eingeleitet.

Einfrieren, umwandeln, abwandern

Die weiteren Ideen der Extropianer sind nicht von so großer Relevanz wie die bisher behandelten. Kryonik ist z. B. für die Medien ein beliebtes Thema, dabei geht es um das Einfrieren des ganzen Körpers, oder, in der niedrigeren Preisklasse, des Gehirns todkranker Patienten, die sich erhoffen, in einer Epoche zu erwachen, in der ein Heilmittel für ihre Krankheiten existiert. Als Lösung für den bei der Einfrierung auftretenden Zellverfall wird auch hier manchmal Nanotechnik genannt.

Gentechnologie ist zweifellos interessant, aber ihre Gefahren und Möglichkeiten gehören im Prinzip zum Allgemeinwissen und sollen daher hier nicht mehr angesprochen werden. Vielbeachtet ist hier vor allem die Lebensverlängerung durch Modifizierung der Altersgene. Die Neurowissenschaften sind für das eigentliche Ziel von Organisationen wie dem Extropy-Institut, nämlich den Upload des menschlichen Gehirns in einen Computer, von Bedeutung (auch hier spielt die Nanotechnik eine Rolle, siehe dazu den Upload-Kasten). Das vollständige Verständnis des Denkorgans bleibt eines der größten Ziele der modernen Wissenschaft.

Die Strategie der Weltraumkolonisation erscheint da schon weniger sinnvoll. Sie wird häufig als Allheilmittel gegen die "Überbevölkerung" genannt. Wie aber schon weiter oben erwähnt ist diese und der damit verbundene Welthunger schon heute technisch lösbar. Überbevölkerung bedeutet nämlich nicht eine überdurchschnittlich hohe Bevölkerungsdichte, sondern die Überschreitung der Tragekapazität eines Landes, die sich dadurch definiert, wie viele Menschen mit Energie und Nahrungsmitteln versorgt werden können. Eine Abwanderung in den Weltall, ohne oder mit dem Einsatz der Nanotechnik, dürfte wesentlich teurer sein als die Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion auf der Erde. Die würde zu einer gleichzeitigen Erhöhung der Tragekapazität führen, das Problem der Überbevölkerung wäre gelöst. Aber schon heute könnte eine päpstliche "Legalisierung" von Verhütungsmitteln in den betroffenen Gebieten Wunder wirken, ganz ohne göttliches Eingreifen.

Selbstverständlich spielen bei der Flucht ins All für die Theoretiker auch Umweltprobleme eine Rolle, besonders der bekannte Treibhauseffekt. Von diesem Standpunkt aus ist eine Abwanderung durchaus sinnvoll, denn die Lösung solcher Probleme wird in jedem Fall ein Wettlauf mit der Zeit. Zweifelhaft ist jedoch, ob eine solche Flucht auch nur einem Zehntel aller Menschen ermöglicht würde. Es wäre vermutlich lediglich eine Fortsetzung der Szenarien, in denen der US-Präsident zusammen mit seinem engsten Stab im Atombunker den nuklearen Winterschlaf hält.

Das heißt nicht, daß die Weltraumkolonisation nicht trotzdem durchgeführt würde. Sollten sich die politischen Spannungen in den nächsten Jahren weiter erhöhen, wäre sie ein gutes Propagandamittel ähnlich dem Wettlauf zum Mond. Aber auch die kommerzielle Vermarktung im großen Stil ist denkbar.

Interessanter ist da schon die Robotik, die oft in umfangreichen Zukunftsszenarien eine Kernrolle bildet. Sie ist natürlich ohne fortgeschrittene KI kaum denkbar. Der Wissenschaftler Hans Moravec hat sogar verschiedene Robotergenerationen vorhergesagt, die letzten verfügen - natürlich - über überragende Intelligenz und Emotionen. Zweifellos werden Roboter immer komplexere Aufgaben übernehmen, besonders in der Industrie, was sicherlich zu weiterem Arbeitsplatzabbau dort führen wird. Weitergehende Theorien vergessen aber oft die Entwicklungen in den anderen genannten Bereichen und auch die Tatsache, daß die Menschen vermutlich die Fortsetzung ihrer eigenen Existenz in Form von Transhumanen bevorzugen, anstatt ihre Obsoleszenz zu akzeptieren. Vielleicht ist eine Zukunftsgesellschaft aus beiden Lebewesen, hochintelligenten Robotern und Transhumanen, die wahrscheinlichste. Allerdings wären die Roboter dann nur ein Zwischenschritt zu hochentwickelter KI, denn die Nachahmung biologischen Körperbaus in mechanischer Form macht in Anbetracht der Nanotechnologie und der Upload-Theorien wenig Sinn.

In den Texten der Transhumanisten findet auch oft der Begriff der Memetik Verwendung (engl. "memetics"). Ihrer Definition nach sind Meme Ideen und Theorien, die durch eine ständige Untersuchung und Abgleichung perfektioniert werden sollen. Damit ist also keine Zukunftstechnologie gemeint, sondern eine ständig wachsende Basis für komplizierte Denkmodelle.

Eine kurze Betrachtung wert sind wohl noch die berühmten Psychochemikalien, im Klartext Drogen. Sinn und Zweck des (fast ständig mit dem Adjektiv "careful" in Verbindung gebrachten) Drogen-Gebrauchs ist die kontrollierte Motivationssteigerung und die damit verbundene Erhöhung der Leistung bei der Verarbeitung von Informationen. Sicher ein lobenswertes Ziel, aber ohne entscheidende Erkenntnisse aus der Neurologie kaum zu erreichen - und wenn diese vorhanden sind, dürfte auch der erste Upload nicht mehr allzu fern sein.
Es ist jedoch offensichtlich, daß alle diese Technologien mit gigantischen Gefahren verbunden sind. Künstliche Intelligenzen können durchaus beschließen, den Menschen aus rein rationellen Gründen vom Antlitz der Erde zu wischen, dasselbe gilt für durch Nanotechnik (oder auf andere Weise) erzeugte Transhumane. Sollte bei Experimenten mit Assemblern etwas schiefgehen und einer dieser Mini-Roboter mutieren, kann das ebenfalls das Ende der Menschheit bedeuten. Daß das für Gentechnik-Unfälle auch gilt, ist seit Kino-Hits wie "Outbreak" bestens bekannt. Und auf die Schäden, die nach dem Konsum von Drogen entstehen können, wird stets erneut hingewiesen - wenngleich hier die Informationsmenge in den Medien nicht immer der tatsächlichen Gefährlichkeit entspricht und sehr viel kategorisiert wird.

Je mächtiger die vom Menschen geformten Technologien werden, desto größer werden die damit verbundenen Gefahren und auch die positiven Einsatzmöglichkeiten. Entsprechend ist die Informationsversorgung der an diesen Projekten arbeitenden Menschen von größter Bedeutung, genau wie die Extrapolation der möglichen Entwicklung. Völlig falsch wäre es, eine Stagnation der Wissenschaft auf ihrem jetzigen Level oder Nichterfoschung bestimmter Technologien zu fordern, da diese eben auch erforderlich sind, um unsere heutigen Probleme, die ohne Gegenmaßnahmen durchaus genauso massenvernichtend wirken können, in den Griff zu bekommen. Außerdem lassen sich Entwicklungen wie die Nanotechnik gar nicht aufhalten.

Das Extropy-Institut ist sicher nicht die wichtigste zukunftsorientierte Organisation, und sein Anspruch, das einzige Institut für die Erforschung der wichtigsten Technologien und Strukturen zu sein, wird stets aufs neue widerlegt. Es liefert aber Denkansätze, wie sie ganz klar für unsere Zukunft nötig sind.


Kasten 1 - Überblick: Extropy und das Foresight Institut

Extropy Institute
13428 Maxella Avenue, #273 Marina del Rey, CA 90292 USA Tel: (310) 398-0375

Internet:
exi-info@extropy.org (http://www.extropy.org) Max More: more@extropy.org (http://www.primenet.com/~maxmore) Extropy-Magazin: extropy@extropy.org (http://www.primenet.com/~maxmore/ extropy.htm)

Gründung 1988 durch Max More
und Tom Morrow

Kosten einer einjährigen
Mitgliedschaft (inkl. Magazin "Extropy", Newsletter "Exponent" sowie verschiedener Preisermäßigungen):

USA 40 $
Canada/Mexiko 45 $ Übersee 50 $/62 $ (Extropy über Luft-/Seepost, Exponent über Luftpost)

Kosten eines einjährigen
Abonnements des "Extropy"- Magazins (4 Ausgaben)

USA 17 $
Canada/Mexiko 21 $ Übersee 23 $/30 $ (Luft-/Seepost)

Zurückliegende Ausgaben
des Extropy-Magazins: jeweils 7 $

Das ExI veranstaltet regelmäßig
"EXTRO"-Konferenzen, EXTRO-1 1994 in Sunnyvale, EXTRO-2 1995 in Santa Monica.

EXTRO-3 findet voraussichtlich
1997 statt. Außerdem sollen im Januar oder Februar 1997 mehrere eintägige Seminare abgehalten werden.

Foresight Institute
Box 61058 Palo Alto, CA 94306 USA

Internet:
inform@foresight.org (http://www.foresight.org)

Gründung 1986 durch K. Eric Drexler,
Christine L. Peterson und James C. Bennett

Der Slogan des Foresight-Instituts,
"preparing for nanotechnology", spricht für sich: In erster Linie geht es um die Erforschung und Förderung von Nanotechnik.

Kosten einer einjährigen
Mitgliedschaft (inkl. Newsletter "Foresight Update" und Hintergrundinformationen):

ab 35 $ ("Basic"-Mitgliedschaft),
nach oben hin offen

Kasten 2 - Was ist ein Upload? Was sind Transhumane? Unter einem Upload versteht man die (bisher hypothetische) Übertragung der geistigen Strukturen und des Bewußtseins einer Person in eine elektronische Matrix wie einen dafür bestimmten Supercomputer. Dabei wird unterschieden zwischen: 1. zerstörerischer Upload

Hierbei wird das biologische Gehirn beim Uploading aufgelöst.

2. nicht-zerstörerischer Upload
Das biologische Gehirn bleibt erhalten. Könnte sehr früh Realität werden (mit Hilfe eines Assember-Sensorennetzes, das im Hirn aufgebaut die elektromagnetischen Felder des neuralen Netzwerkes scannt und in einen Computer überträgt). 3. inkrementeller Upload

Das Gehirn wird buchstäblich Stück für Stück durch verbesserte Nanostrukturen, die in Verbindung zu einem Supercomputer stehen, ersetzt. Diese Möglichkeit gilt allgemein am interessantesten, da das alte Bewußtsein nicht gelöscht, sondern übertragen wird. 4. Download Übertragung auf ein niederwertiges Substrat (also schlechtere "Hardware" als das biologische Gehirn). Beim Upload wird nach heutigen Theorien meist ein virtueller Körper zum Ersatz des bisherigen, die upgeloadete Person spürt zunächst keinen Unterschied und kann sich dann über Software selbst manipulieren und optimieren.

Als Transhumanen bezeichnet man das Ergebnis eines erfolgreichen Uploading-Prozesses, also das gespeicherte neurale Netzwerk in Verbindung mit der notwendigen Software. Die gängige Abkürzung hierfür ist ">H".

Kasten 3 - KI-Projekte und Ausschreibungen

Loebner-Preis

Hauptseite:
http://fuzine.mt.cs.cmu.edu/mlm/loebner94call.html

Julia, erfolgreiche Turing-Maschine, die auch in Internet-Rollenspielen echte Spieler simuliert und so die anwesenden Menschen täuscht: http://fuzine.mt.cs.cmu.edu/mlm/julia.html

Tierra

e-mail: ray@hip.atr.co.jp
http://www.hip.atr.co.jp/~ray/tierra/tierra.html http://www.hip.atr.co.jp/~ray/tierra/netreport/netreport.html

Cyc

http://www.cyc.com

BEAM Robot Olympics
(Roboter-Ausstellung und Wettbewerb)

mwtilden@watmath.uwaterloo.ca.

AAAI Roboter-Wettbewerb
(Roboterbau)

FTP-Server mit den nötigen Unterlagen:
aeneas.mit.edu:/pub/ACS/6.270/AAAI/

Jährlicher Preis der "International Computer Chess Association" (Computergenerierte Beschreibung eines Schachspiels)

tony@cs.ualberta.ca

Kasten 4 - Bücher, Internet

(Anmerkung: FAQ steht im folgenden für "frequently asked questions". Dies sind englische Texte, die sich mit der Beantwortung der am häufigsten gestellten Fragen zu bestimmten Themen befassen.)

Künstliche Intelligenz / Robotik

Die englische KI-FAQ findet man unter
http://www.cs.cmu.edu/Web/Groups/AI/html/faqs/top.html (ca. 440 K Text insgesamt, mehr als manches Buch, inklusive ausführlicher Bibliographie und zahlreicher Web-Resourcen. Sehr empfehlenswert!)

Zwei gute Übersichten verschiedener KI-Seiten:
http://www.cs.ucl.ac.uk/misc/ai/ http://ai.iit.nrc.ca/ai_top.html

Archiv der KI-Artikel in verschiedenen Usenet-Newsgroups: http://www.cs.cmu.edu/Web/Groups/AI/pubs/news/0.html

Intelligente Informationsagenten:

http://www.sics.se/ps/abc/survey.html (große Übersicht, empfehlenswert) http://www.ari.net/se/ http://cdr.stanford.edu/ABE/JavaAgent.html Manche der Texte sind im Postscript-Format gespeichert und erfordern Spezialsoftware zur Anzeige.

Künstliches Leben:
http://alife.santafe.edu/ Moravec, Hans: Mind Children. DM 38,00; Hoffmann u. C; 1990

Lenat, Douglas B.; Guha, R. V.: Building Large Knowledge-Based Systems: Representation and Inference in the Cyc Project; Addison-Wesley; 1989.

Nanotechnologie

Drexler, K. Eric: Experiment Zukunft.
DM 48,00; Addison-Wesley; 1994

Drexler, K. Eric: Molecular Machinery, Manufacturing, and Computation $ 24,95; Wiley Interscience; 1992

Drexler, K. Eric: Engines of Creation: The Coming Era in Nanotechnology $ 10,95; Doubleday; 1986 Komplette Version im Web: http://reality.sgi.com/whitaker/EnginesOfCreation Lampton, Christopher: Nanotechnology Playhouse $ 14,95; Waite; 1993 (mit DOS-Diskette) Gleiter, Herbert: Nanostrukturierte Materialien. DM 18,00; Westdt. Vlg.; 1993 Groß, Michael: Expeditionen in den Nanokosmos. DM 49,80; Birkhäuser, B; 1995 Scanning Tunneling Microscopy I. DM 99,00; Springer-Verlag; 1994 Schulenburg, Mathias: Nanotechnologie. DM 44,00; Insel, Ffm.; 1995

Nanotechnology: Molecular Speculations on Global Abundance $ 17.00; The MIT Press; 1996

http://www.lucifer.com/~sean/nano.html
(ausgezeichnete Homepage über molekulare Nanotechnik)

Kryonik

Die hervorragende FAQ findet sich unter
http://www.cs.cmu.edu:8001/afs/cs/user/tsf/Public-Mail/cryonics/ html/overview.html Sonstiges

Homo Excelsior Magazin (berichtet über alle in diesem Artikel behandelten Technologien) http://www.excelsior.org

OMEGA Wissensdatenbank
http://www.lucifer.com/OMEGA/

Breakthrough!-Newsletter über technologische Durchbrüche http://www.lucifer.com/~sean/BT/

Anders Sandbergs Transhuman-Homepage (sehr empfehlenswert, zahlreiche Links zu anderen Organisationen und privaten Homepages) http://www.aleph.se/Trans/

Die Mailing-Liste der Transhumanisten
http://www.us.itd.umich.edu/~alexboko/mlist.html (starke ideologische Prägung)

Der Autor dieses Artikels ist über flagg@oberberg-online.de per e-mail zu erreichen.


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