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Bertelsmann will die Neonazis filtern

Freiwillige Selbstzensur für Eltern und Kinder: Das Bundeskriminalamt hat der "Internet Content Rating Association" eine Liste von Webadressen zur Verfügung gestellt, die strafbare rechtsradikale Propaganda enthalten

Die "Internet Content Rating Association" (ICRA, www.icra.org) ist ein von der Bertelsmann Stiftung und großen IT-Konzernen (AOL, T-Online, Microsoft) gegründetes Unternehmen zur Bewertung von Websites. Ihr Aushängeschild ist die Freiwilligkeit. Die Website-Betreiber selbst sollen in ihren Seiten Beschreibungen der Inhalte angeben: pornografisch, gewalttätig, rassistisch - "nationalsozialistisch".

Natürlich rechnet niemand damit, dass etwa ein Neonazi seine Website entsprechend klassifiziert. In Wirklichkeit arbeitet das Verfahren deshalb dann doch - wie Filtersoftware - mit Negativlisten von auszuschließenden Adressen. Jede hat verschiedene Stufen und Kriterien. Im April 1999 hatte die ICRA eine bereits existierende Filterliste namens RSACi übernommen und erweitert. Sie kennt die Kategorien "Gewalttätigkeit", "Nacktheit", "Sex" und "Sprache". Beim Sex etwa reicht die Skala von "leidenschaftliches Küssen" bis "explizite sexuelle Handlungen oder Sexualverbrechen".

Die Nutzer sollen nun in ihrem Browser festlegen, welche Seiten zugelassen sind. Natürlich freiwillig. Religiöse Fundamentalisten können ihre Kinder vor jeder Darstellung körperlicher Zuneigung schützen, müssen aber in der Kategorie "Gewalttätigkeit" Kruzifixe und Höllenqualen zulassen. Nun hat das Bundeskriminalamt den Bertelsmännern eine weitere Negativliste überreicht. Sie enthält Websites, die als verbotene Nazipropaganda erkannt wurden. Sie fallen in in der Kategorie "Sprache" unter die Stufe 4, "Rohe, vulgäre Sprache oder extreme Hassreden".

Wenn man nun im Internet Explorer von Microsoft die entsprechenden Einstellungen wählt, werden diese Sites nicht mehr angezeigt. Marcel Machill, zuständiger Projektleiter der Bertelsmann Stiftung: "Eltern können so das Risiko, dass ihre Kinder auf schädliche Seiten stoßen, minimieren. Gleichzeitig verhindern wir staatliche Zensur im Internet, denn es bleibt den Eltern überlassen, ob sie das Filtersystem aktivieren."

Das Problem ist nur, dass ein extrem geringer Anteil der Sites im Internet überhaupt erfasst und kategorisiert ist. Die freiwillige Selbstbewertung stößt auf nur wenig Gegenliebe. Daher ist die Negativliste weitgehend wirkungslos: Trotz des BKA-Filters kann man problemlos einen Großteil der Nazi-Sites sehen.

Allerdings bietet Microsofts Explorer die Option an, nur solche Sites anzuzeigen, die eine Bewertung enthalten. Wer aber damit seine Kinder von der Nazipropaganda fernhalten will, kann ihnen gleich den Computer verbieten: Das weltweite Web mit seinen Millarden Seiten schrumpft damit auf die Provinz von etwa 130.000 Seiten zusammen.

Kaum jemand wird seine Kinder freiwillig so weit aus der Wirklichkeit ausschließen wollen. Deswegen will das CDU-Projekt "Netz gegen Gewalt" (www.netzgegengewalt.de) mehr tun und schlägt vor, solche Filter in Schulen und Bibliotheken zur Pflicht zu machen. Noch weiter möchte der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft (IFPI) mit dem Rights Protection System (RPS) gehen. Er will schon den Internet-Providern Filter vorschreiben. RPS sperrt anhand einer Negativliste auf den Internet-Routern mit Auslandsverbindung verbotene Adressen. Die Ausschlusslisten, so wünscht es sich die Plattenindustrie, sollten am besten gleich vom Staat und stündlich aktualisiert werden. Nur so nämlich lasse sich das Urheberrecht durchsetzen - ebenso gut könnte aber auch jede andere gerade unerwünschte Website von Staats wegen gesperrt werden.

Im Vergleich dazu wirkt das ICRA-System in seiner jetzi- gen Form harmlos. Nur beweist es damit erneut die altbekannte Wahrheit über Zensur im Netz: Sie ist entweder wirkungslos, oder aber sie ist totalitär.

ERIK MÖLLER

moeller@scireview.de

taz Nr. 6233 vom 31.8.2000 Seite 17 Internet 127 Zeilen