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Hörsturz im Netz

Napster muss zwar vorerst vom Netz, aber andere Server bieten massenhaft freies Hören

von ERIK MÖLLER

Es ist auch eigentlich zu schön, um wahr zu sein: Man holt sich ein kleines Programm aus dem Netz, loggt sich damit auf dem Rechner der Firma Napster ein und hat sofort Zugriff auf hunderttausende Musikdateien, von Mozart über Madonna bis Morbid Angel. Bezahlen muss man dafür nichts. Damit soll jetzt Schluss sein. Napster muss, nach dem Beschluss eines US-Gerichts vom Mittwochabend, ab der Nacht zum Samstag all seine bisherigen Aktivitäten einstellen. Napster wird, stellvertretend für seine Nutzer, für Urheberrechtsverstöße verantwortlich gemacht.

Das Napster-Prinzip ist einfach: Jeder, der die so genannten MP3-Dateien auf seinem Rechner hat, stellt eine Verbindung mit dem Napster-Computer her und schickt diesem eine Liste seiner eigenen Musik-Dateien. Andere können nun auf Napsters Rechner Suchen durchführen. Werden passende Titel gefunden, bekommt der Suchende eine Liste der Rechner, die die entsprechende Datei anbieten. Nach dem letzten Stand beträgt die Benutzerzahl über 20 Millionen. Über Napster kann man fast jeden Song finden, wenn man lange genug sucht. Napster selbst bot nie Dateien an, sondern fungierte nur als Suchmaschine. Doch da die getauschten Musikstücke urheberrechtlich geschützt sind, schritt die Musikindustrie ein.

Schon im Dezember letzten Jahres leitete die RIAA (der amerikanische Verband der Plattenindustrie) rechtliche Schritte gegen Napster ein. Die von Shawn Fanning gegründete Firma verteidigte sich mit dem Hinweis, Napster habe keine Kontrolle über die Dateien. Zwischenzeitlich schalteten sich auch Künstler ein, deren Musik über Napster getauscht wurde. So die Rock-Band Metallica und der Rapper Dr. Dre, die von Napster verlangten, die Accounts von insgesamt über 500.000 Nutzern zu sperren. Erfolgreich, denn Napster wies seit langem darauf hin, dass man das Tauschen geschützter Musik nicht dulde, und dass man, wenn man davon Kenntnis nehme, die entsprechenden Benutzer vom System entfernen werde. Doch die Nutzer kamen über Tricks wieder ins System zurück. Auf diesem Wege wurde man also nicht Herr des Phänomens. Und einzelne Benutzer zu verklagen war nie eine Option: Tausende Hörer in Gefängnisse zu werfen, weil sie die neueste Britney-Spears-Single tauschen, wäre ein PR-Alptraum. So tauschten die Napster-Fans munter weiter.

Doch die Beharrlichkeit der RIAA zahlte sich aus. Dienstagabend entschied die Bezirksrichterin Marilyn Hall Patel über die einstweilige Verfügung gegen Napster. "Bei einer Verletzung dieser Größenordnung sind die Kläger berechtigt, ihr Copyright durchzusetzen", begründete sie ihre Entscheidung. Damit beginnt ein voraussichtlich langer Weg durch die Instanzen. Falls man sich nicht gütlich einigen kann, geht es vor den Obersten Gerichtshof. Napster, gefüttert mit Millionen an Investment-Kapital, hat dafür den Star-Anwalt David Boies angeheuert, der argumentiert, das nicht kommerzielle Tauschen von Musik sei spätestens seit der Erfindung des Videorekorders (und den daraus entstehenden Präzedenzfällen) völlig legal. "Die Geschichte soll uns leiten", so Napster-Chef Hank Barry vor dem US-Senat. "Jedesmal, wenn eine neue Technologie es leichter macht, Musik zu genießen und zu teilen, profitieren davon am Ende alle." Die RIAA behauptet das Gegenteil und verbreitet düstere Visionen von einer Welt ohne Künstler.

Die endgültige Entscheidung könnte weit reichende Konsequenzen haben, denn Napster funktioniert ähnlich wie gewöhnliche Internet-Suchmaschinen. Wird Napster für illegal erklärt, droht auch den Betreibern normaler Suchmaschinen und privater Homepages Ungemach, und das Internet in seiner jetzigen Form ist zumindest theoretisch kaum noch bestandfähig, da es auf Verweise (Links) angewiesen ist. Bei einem Sieg dagegen ändert sich die Interpretation des Urheberrechts fundamental, wovon letztlich auch Bilder, Filme und Bücher betroffen sein dürften.

Was bleibt den vertriebenen Napster-Usern nun noch? Die Antwort heißt: Gnutella. Bei diesem Programm gibt es keine Firma, die man verklagen könnte. Die Benutzer verbinden ihre Rechner untereinander und schaffen so ein verteiltes System. Jede Suche wird an alle Rechner in diesem Netz weitergeleitet, und alle Rechner, die über die Datei verfügen, schicken eine Antwort zurück. Gnutella stieß bei seiner Einführung im März auf riesige Begeisterung. Mittlerweile ist Gnutella-kompatible Software für nahezu alle Betriebssysteme verfügbar. Einen Überblick gibt es unter http://gnutella.wego.com. Wegen der Aussichtslosigkeit eines solchen Unterfangens hat die Plattenindustrie noch keine Schritte gegen Gnutella eingeleitet: Die ursprünglichen Entwickler sind ausgestiegen, das Netz funktioniert alleine.

Doch auch die Napster-Community hat vorgesorgt und ein Programm geschrieben, das es jedem ermöglicht, seinen Rechner zu einem Napster-Server zu machen, also die Rolle des Listenverwalters zu übernehmen. Das OpenNap genannte Server-Netz bietet ebenfalls Zugriff auf Terabytes an MP3-Musik (http://opennap.sourceforge.net). Damit hat Napsters erste Niederlage nur eine begrenzte Wirkung.

So muss sich die Plattenindustrie fragen lassen, ob sie die Schlacht nicht schon längst verloren hat. Die totale Vernetzung per Internet macht das Urheberrecht nach und nach hinfällig. Doch statt an einer Lösung zu arbeiten, die den Verdienst der Künstler sichert, ohne die Informationsfreiheit zu behindern, setzt die davon zuerst betroffene Plattenindustrie seit Jahren auf das vermeintlich sichere "30 Mark pro CD"-Prinzip und belegt jeden mit Klagen, der daran etwas zu ändern droht. Ein Konsens mit den Hörern ist nicht in Sicht. Und das Tauschen geht weiter.

taz Nr. 6204 vom 28.7.2000 Seite 3 Themen des Tages 154 Zeilen