Weihnachten im Himmel


von Heike Jackler

 

[Dieses "Weihnachtsmärchen" besteht zu einem großen Teil aus bekannten und weniger bekannten Aphorismen und Zitaten der entsprechenden Persönlichkeiten. Diese Textstellen sind kursiv gesetzt.]

 

Im Himmel führen die Engel – so wie sie es auf der Erde gesehen haben – die Weihnachtsgeschichte auf. Es ist allerhand Volk zum Zuschauen gekommen, der Schiller, Voltaire, Nietzsche, Goethe, Napoleon, der Apostel Paulus, gar einige Päpste und viele andere mehr.

Nur Adolf Hitler ist als Gast unerwünscht, worüber er sich bitter beschwert: "Der Nationalsozialismus ist weder antikirchlich noch antireligiös, sondern im Gegenteil, er steht auf dem Boden eines wirklichen Christentums." Außerdem hätte die Kirche ihm den Abschluss eines einträglichen Konkordats zu verdanken, was im übrigen noch heute gelten würde.

Die Engel kehren ihm peinlich berührt den Rücken zu und beginnen schleunigst ihr Krippenspiel.

Als sie gerade von der Geburt Jesu durch die Jungfrau Maria erzählen, stürmt ein Überraschungsgast, der sich dezent im Hintergrund aufgehalten hatte, nach vorne – Gottes Sohn leibhaftig, na ja, fast leibhaftig: immerhin werden auf Erden etliche Vorhäute von ihm aufbewahrt: "Was erzählt ihr denn da für’n Blödsinn! Meine Mutter eine Jungfrau.... Wer glaubt denn so was?"

Ein Engel, schüchtern: "Die Menschen auf der Erde glauben das. Deine Stellvertreter haben es ihnen so erzählt."

Der Kirchenlehrer Gregor von Nazianz, der im 4. Jh. auf Erden weilte, meldet sich verlegen zu Wort: "Es bedarf nichts als Geschwätz, um beim Volke Eindruck zu machen. Je weniger es begreift, desto mehr bewundert es. Unsere Väter und Lehrer haben oft nicht das gesagt, was sie dachten, sondern was ihnen die Umstände und das Bedürfnis in den Mund legten."

Goethe lacht verschmitzt: "Umstände und Bedürfnisse, ts..ts. Unsterblich ist die Pfaffenlist."

Jesus fragt nach: "Aber warum musste meine Mutter denn unbedingt eine Jungfrau sein, konnte sie kein normales Weib sein?"

Eifrig meldet sich einer der größten Theologen und Gelehrten des Katholizismus, Thomas von Aquin, zu Wort und gibt sein Wissen über die Frau zum besten: "Das Weib verhält sich zum Mann wie das Unvollkommene und Defekte zum Vollkommenen. Ein männlicher Fötus wird nach 40 Tagen, ein weiblicher erst nach 80 Tagen ein Mensch. Mädchen entstehen durch schadhaften Samen oder feuchte Winde."

Der Kirchenlehrer Chrysostomos setzt hinzu: "Die Weiber sind hauptsächlich dazu bestimmt, die Geilheit der Männer zu befriedigen."

Jesus nachdenklich: "Ich verstehe, und so ein Weib konnte mich also nicht gebären ..."

Ein Engel ergänzt: "Die Kirche ging sogar noch weiter. Auch Maria musste bereits unbefleckt empfangen worden sein. Das wurde aber erst 1854 zum Dogma."

Jesus schüttelt ungläubig den Kopf: "100 Jahre nach dem Beginn der Aufklärung wurde das noch geglaubt?"

Goethe seufzt: "Es werden wohl noch zehntausend Jahre ins Land gehen, und das Märchen vom Jesus Christus wird immer noch dafür sorgen, dass keiner so richtig zu Verstande kommt."

Und Mahatma Gandhi setzt hinzu: "Unter den vielen Lügenmächten, die in der Welt wirksam sind, ist die Theologie eine der ersten."

Jesus empört: "Aber ich habe doch einige Leute beauftragt, meine Geschichte aufzuschreiben. Paulus, habt ihr das nicht ordentlich gemacht?"

Der Apostel stottert: "Doch, doch, geliebter Herr, aber leider hatte wohl jeder etwas anderes in Erinnerung. Wenn ich allein daran denke, wie ich darüber berichtet habe, wie du mir auf dem Weg nach Damaskus erschienen bist. Erst schrieb ich, meine Begleiter hätten dich auch gehört, nur nicht gesehen. Ein paar Kapitel später behauptete ich genau das Gegenteil: Die anderen hätten das Licht wohl gesehen, dich aber nicht gehört. – Kein Wunder, dass viele später meinten, ich hätte wohl nur Halluzinationen gehabt."

Oscar Wilde tröstet Jesus: "Jeder große Mann hat heutzutage seine Jünger, und immer ist es Judas, der die Biographie schreibt."

Voltaire erklärt seine Sicht: "Kaum haben sie Christus gepredigt, beschuldigen sie sich gegenseitig Antichristen zu sein ... und natürlich gab es unter diesen theologischen Gezänken kein einziges, das nicht auf Absurditäten und Betrügereien aufgebaut gewesen wäre."

Den frisch in den Himmel gekommenen Erzbischof Dyba ärgert dieser freche Franzose gewaltig: "Und die Französische Revolution war eine Machtübernahme der Gottlosen", knurrt er und fragt mit Blick auf Oscar Wilde süffisant: "Na, habt ihr hier auch schon importierte Lustknaben?"

Die Anwesenheit des Fundamentalisten muss etwas in Jesus ausgelöst haben. Mit fremder Stimme und starrem Blick spricht er: "Wer zu seinem Bruder spricht: Du Narr! Soll dem Feuer der Hölle verfallen sein."

Die Engel: "Jesus!"

Jesus weiter: "Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, reiß es aus. Es ist besser, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird."

Engel: "Jeesuuss!"

Weiter: "Der Menschensohn wird seine Engel aussenden, und sie werden alle zusammenholen, die Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer ewig brennt."

Engel: "Jeeeeee – das passt doch nicht zu unserem Weihnachtsmärchen!!!"

Dybas Augen funkeln, aber Nietzsches Ruf: "Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!" bringt Jesus wieder langsam zu sich.

Er verwirrt: "Was ... war ... das?"

Ein Engel: "Ach, das kommt auch in der Bibel vor. Ist nur jetzt gerade nicht so passend..."

Jesus: "Das soll ich gesagt haben?"

Nietzsches Zwischengeschwatsche: "Jesus ist das Gegenstück eines Genies: er ist ein Idiot." wird geflissentlich überhört.

Ein Engel: "Ja, das sollst du gesagt haben. Zum Teil sogar in der Bergpredigt, die die Menschen so lieben ... obwohl – neuere Forschungen auf Erden bezweifeln mittlerweile, dass die Bergpredigt überhaupt stattgefunden hat."

Jesus: "... nicht stattgefunden? Albert, du Urwalddoktor, was sagst du dazu? Du hast doch als gläubiger Theologe lange über mein Leben geforscht."

Albert Schweitzer versucht sich verlegen um die Antwort zu drücken, muss aber schließlich zugeben: "Ach, es gibt nichts Negativeres als das Ergebnis der Leben-Jesu-Forschung. Der Jesus von Nazareth, der als Messias auftrat, das Gottesreich verkündete und starb, um seinem Werk die Weihe zu geben, hat nie existiert."

Jesus schluckt: "Ich – nie existiert?"

"Tja," meldet sich da auch Wilhelm Busch. "Wer in Glaubenssachen den Verstand befragt, kriegt unchristliche Antworten."

Goethe ergänzt: "Es ist die ganze Kirchengeschichte – Mischmasch von Irrtum und Gewalt."

Da fühlt sich der Kirchenlehrer Augustinus angesprochen: "Gewalt? Was hat man denn gegen Krieg? Etwa dass Menschen, die doch einmal sterben müssen, dabei umkommen?"

Napoleon stimmt zu: "Es gibt keine Menschen, die sich besser verstehen als Priester und Soldaten."

"Irrtum?" fühlt sich auch Papst Leo X. angesprochen. "Wieviel die Fabel von Christus Uns und den Unseren genützt hat, ist bekannt."

Dem kann auch Pius II. nicht widersprechen. Lächelnd meint er: "Uns ist das Märchen vom Jesus zum Segen geworden!"

"Ja, selig ist der gute Christ, wenn er nur gut bei Kasse ist...", fängt Wilhelm Busch an zu trällern.

Allmählich werden auch einige Engel aufmüpfig: "Wofür brauchen wir überhaupt die ganze Religion? Und wenn schon Religion, dann doch lieber etwas Sinnlicheres, Lyrischeres ..." Die Engel schauen sich suchend um.

"Hochverehrter Herr Geheimrat Goethe ..."

Goethe wehrt ab: "Mir willst du zum Gotte machen? Solch Jammerbild am Holze!"

Jesus protestiert: "Aber Religion macht glücklich!"

Das Argument findet der Dramatiker George Bernard Shaw nun doch zu dumm: "Die Tatsache, dass sich der Gläubige glücklicher fühlt, als der Ungläubige, besagt nicht mehr, als dass sich der Betrunkene glücklicher fühlt als der Nüchterne."

Wo es nun um die Religion an sich geht, fühlen sich noch mehr Gäste angesprochen, ihren Senf dazuzugeben.

Schiller, nach seiner Auffassung befragt: "Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, die Du mir nennst. – Und warum keine? – Aus Religion. –  Die goldene Zeit der Geistlichkeit fiel immer in die Gefangenschaft des menschlichen Geistes."

Napoleon sieht die guten Seiten der Religion: "Religion ist das, was die Armen davon abhält, die Reichen umzubringen."

"Ja, ja", meldet sich Seneca zu Wort: "Der gemeine Mann betrachtet die Religion als richtig, der Weise als falsch und der Politiker als nützlich."

Epikur aber philosophiert: "Mach‘ dir deine eigenen Götter und unterlasse es, dich mit einer schnöden Religion zu beflecken."

(Ein kecker Ruf schallt aus dem Off): "Wie kann ich an Gott glauben, wenn sich erst letzte Woche meine Zunge in der Walze der Schreibmaschine verheddert hat?"

"Wer war das?" fragt die Himmelsschar erstaunt.

Ein Engel: "Ach, das war Woody Allen von der Erde. Ein bisschen neurotisch, der Typ."

Konfuzius sieht das alles etwas lockerer: "Ob es Gott gibt oder nicht, wissen wir nicht. Also lasset uns ihm Opfer darbringen."

Das gefällt Albert Einstein aber gar nicht: "Einen Gott, der die Objekte seines Schaffens belohnt und bestraft, der überhaupt einen Willen hat nach der Art desjenigen, den wir an uns selbst erleben, kann ich mir nicht einbilden."

"Aber wieso glauben so viele Menschen überhaupt?" wundert sich ein Engel.

"Als Gott den Menschen erschuf, war er bereits müde; das erklärt manches", witzelt Mark Twain.

Karl Marx weiß Bescheid: "Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes."

Jesus versucht nochmal, sich in Erinnerung zu bringen: "Aber die Werte des Christentums ... das Vorbild der Priester..."

Papst Clement VI seufzt auf: "Was können die den Menschen predigen? Demut? Sie sind der Stolz selbst, aufgeblasen, pompös und verschwenderisch. Armut? Sie sind so habgierig, dass alle Reichtümer der Welt sie nicht zufriedenstellen könnten. Keuschheit? Davon wollen wir lieber schweigen."

"Das Beste, was das Christentum hervorgebracht hat, sind seine Ketzer", erwidert Ernst Bloch.

"Ihr könnt Menschen durch Gewinn oder Strafen dazu zwingen, dass sie sagen oder schwören, sie glaubten, und dass sie so tun als ob sie glaubten. Aber weiter könnt ihr nichts", schimpft Jonathan Swift.

"Aber die Priester? Sie glauben doch wenigstens selbst?" fragt Jesus, langsam verzweifelnd.

Da kann der französische Revolutionsdichter Chamfort nur lachen: "Jaaa, der Pfarrer muss ein bisschen Glauben bewahren ... der Vikar darf bei einer abfälligen Bemerkung über die Religion lächeln; der Bischof lacht laut auf; und der Kardinal macht selbst noch einen Witz darüber."

Johannes Dyba will gerade einen solchen zum besten geben, aber Arthur Schopenhauer kommt ihm zuvor: "Kennt ihr den? Der Arzt sieht den Menschen in seiner ganzen Schwäche. Der Advokat in seiner ganzen Schlechtigkeit; der Priester ... in seiner ganzen Dummheit."

Bevor die ganze Gesellschaft brüllend vor Lachen noch weitere Witze ablässt, drängt Jesus als Hausherr nun doch darauf, die Weihnachtsgeschichte weiter fortzuführen. Laut fängt er an zu singen: "Ihr Kinderlein kommet, oh kommet doch ..."

Jäh wird Jesus unterbrochen, denn bei den unschuldigen Kindern hört für Friedrich Schiller der Spaß auf: "Man sollte es sich zur heiligsten Pflicht machen, dem Kinde nicht zu früh einen Begriff von Gott beibringen zu wollen. ... Das Kind hat vielleicht seine ganze Lebenszeit daran zu wenden, um jene irrigen Vorstellungen wieder zu verlieren."

Ephraim Lessing stimmt zu: "Mein Nathan der Weise hat seine Tochter vielmehr in keinem Glauben auferzogen, und sie von Gott nicht mehr nicht weniger gelehrt, als der Vernunft genügt."

Und auch Arthur Schopenhauer ist gegen die Kindesverführung: "Wenn die Welt erst ehrlich genug sein wird, um Kindern vor dem 15. Jahre keinen Religionsunterricht zu erteilen, dann wird etwas von ihr zu hoffen sein."

Die schauspielenden Engel geben‘s auf, noch eine ordentliche Vorstellung auf die Beine zu stellen, packen Krippe und Esel ein, lassen die Schafe bei Jesus und fliegen von dannen.

"Gotteslästerung ist das hier alles!" verliert Jesus nun die Nerven.

Und da wettert auch gleich der ehemalige Militärbischof Dyba: "Genau: Gotteslästerung. §166. Auch mein Kollege Kardinal Meisner meinte jüngst bei einem Soldatengottesdienst: ‚Alle Menschenverachtung hat ihre Ursache in der Gotteslästerung.‘"

"§ 166", äfft Kurt Tucholsky. "Deswegen mag ich mich nicht gern mit der Kirche auseinandersetzen; es hat ja keinen Sinn, mit einer Anschauungsweise zu diskutieren, die sich strafrechtlich hat schützen lassen."

"Alle großen Dinge beginnen als Gotteslästerung!" ruft George Bernhard Shaw.

Und Voltaire fordert: "Es gibt ein Recht auf Blasphemie, sonst gibt es keine wahre Freiheit."

Als ob "WAHRE FREIHEIT" das Stichwort gewesen wäre, lassen jetzt auch die restlichen Engel und sämtliche Gäste den lieben Gott ’nen guten Mann sein und machen sich auf und davon.

 


Nun steht nur noch der Gottessohn einsam und verlassen auf der Himmelsbühne, lehnt sich an einen Holzbalken, breitet seine Arme aus und klagt gebrochen: "Vater .... Vater ..., warum hast du mich verlassen?!"


 


Und Gott schaut hinter einer Wolke hervor, lächelt weise --- und behält sein Geheimnis für sich ...

 

Ende


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Heike Jackler