KULTUR

Blubbern im Netz-Biotop

Beobachtungen rund um einen Internet-Chat

Kirchensteuer - nötig oder überflüssig?", das klang nach einem spannenden Chat-Thema im Microsoft-Internet-Portal MSN (www.msn.de) am vergangenen Sonntag. "Kontrovers" heißt der Chat-Room, selbst eingerichtet vom Microsoft-Dienst MSN, in dem diskutiert werden sollte. Und "kontrovers, aber fair", wie die Macher des Chats für sich werben, soll er sein, der "Thementalk zu Politik und Gesellschaft" jeden Sonntag von 20 bis 22 Uhr. "Brisante gesellschafts- und sozialpolitische Fragen" gilt es zu diskutieren. Live und in Echtzeit - und jeder tippt so schnell er kann.

Mit einem ausgewiesenen Experten talkt es sich natürlich viel besser, und deswegen hat man sich eine "Gastmoderatorin" eingeladen. Deren Referenzen machen dann aber ein wenig stutzig: Heike Jackler, so heißt die Gastmoderatorin, ist eine erklärte Anti-Kirchen-Aktivistin - etwas verwunderlich angesichts des Fairness-Anspruchs, den man sich auf die Fahnen geschrieben hat. Dabei kann sich Heike Jackler - in gewisser Hinsicht zwar, aber mit Fug und Recht - als Expertin in Sachen Kirchensteuer bezeichnen. Jackler, die aus Bochum kommt, betreibt nämlich mit "anderen kirchen- und religionskritischen Menschen in ihrer Freizeit die Website `www.kirchensteuer.de`", heißt es. Und kirchensteuer.de kommt zwar auf den ersten Blick als ein nüchtern informierendes Angebot daher. Aufbereitung und Auswahl der Informationen lassen dann aber erkennen, dass Jackler einen missionarischen, jedenfalls äußerst sendungsbewussten Atheismus vertritt. Es geht ihr offenkundig darum, möglichst viele Menschen zum Austritt aus der Kirche zu bewegen. Sie will das Vorurteil korrigieren, die Kirchensteuer werde "zu einem bedeutenden Teil für soziale Zwecke verwendet". Irrtum, so wird man belehrt - und wer nun Zweifel an seiner Kirche und deren Bekenntnissen hat, der möge doch bitte schön austreten. Auf der gleich mitgelieferten Anleitung zum Kirchenaustritt, einem Angebot des "Internationalen Bunds der Konfessionslosen und Atheisten e.V." (IBKA), steht, wie das geht. Passenderweise ist Jackler gleich selbst Regionalbeauftragte des IBKA von Westfalen-Lippe.

Angesichts dieser "Expertin" drängt sich die Frage auf: Wo sind eigentlich die Kirchen? Bei Microsoft nachgefragt, werden wir zunächst einmal auf den üblichen "Disclaimer" verwiesen: Microsoft stelle lediglich die Plattform für Chats und Diskussionsforen zur Verfügung, sei aber für die Inhalte nicht verantwortlich. Da der Chat aber - wenigstens auf den ersten Blick - wie ein offizielles Angebot von MSN aussieht und zudem Fairness verspricht, fragen wir bei der Organisatorin des Chats nach. "Gitty", so ihr Alias im Chat, heißt eigentlich Gabi, kommt aus Nürnberg und lebt seit 17 Jahren in Pennsylvania, USA. Das Chatten sei für sie eine ganz wichtige Verbindung nach Deutschland, sagt sie mit fränkisch-amerikanischem Akzent. Bei "Kontrovers" arbeitet sie wie alle Chat-Organisatoren ehrenamtlich mit und hat nach eigenen Angaben seit Dezember den Themen-Chat vorbereitet. Natürlich habe sie auch versucht, einen Vertreter der Kirchen für den Chat zu gewinnen. Mehr als ein Dutzend Mails an die verschiedensten kirchlichen Einrichtungen und Bistümer habe sie verschickt, aber nur zwei Antworten erhalten, sagt sie. Die zahlreichen Mail-Adressen, die sie nennt, gehören ausschließlich zu katholischen Bistümern und Einrichtungen, nur eine evangelische ist darunter: die der EKD. Neben einem Jesuiten, dessen Chat-Teilnahme am falschen Betriebssystem Mac gescheitert sei, antwortete allein die EKD-Pressestelle auf die Anfrage. Leider sei es dann bei deren Ankündigung geblieben, die Sache an "einen unserer Steuerexperten" aus einer der Landeskirchen weiterzuleiten.

Herumgesprochen jedoch hat sich der Chat - auch in der evangelischen Kirche. Immerhin ist am Sonntag abend mit Jens Petersen (46) unter dem Pseudonym "ChurchConsult" ein echter Oberkirchenrat anwesend, als Referent "Steuern" im Kirchenamt der EKD ein echter Fachmann gar. In der zweistündigen, etwas hektischen Abfolge von mehr oder weniger sinnvollen, aber immer kurzen Informationsbröckchen, versucht er zu argumentieren, so gut das möglich ist. Am Ende allerdings weiß eigentlich keiner recht viel mehr, als er vorher auch schon wusste und vor allem meinte. Bei durchschnittlich 25 Teilnehmern im Chat, darunter einige Aktivisten aus dem Dunstkreis der "Humanisten" liegt die Gefühlslage von Petersen, der zum ersten Mal an einem Internet-Chat teilgenommen hat, am Tag danach zwischen Achselzucken und Irritation über diese Form der Kommunikation: "Na ja". Aber Spaß gemacht hat es irgendwie auch.

Markus Springer

Sonntagsblatt, Evangelische Wochenzeitung für Bayern, Ausgabe 9/2002