Platte Symbolik in bergiger Landschaft

von
Christian Barduhn

„Und am Nachmittag zitterte ich schon vor Begierde [...] konnte kaum den Mund geschlossen halten.“
„Erbarme dich meiner, ich bin sündig bis in alle Winkel meines Wesens.“
(Franz Kafka: Tagebücher 1910-1923)

 

Glaubt man den Angaben, die der Autor und ehemalige Priester David Rice in seinem Buch Kirche ohne Priester – Der Exodus der Geistlichen aus der katholischen Kirche (1990) macht, dann haben seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1963–1965) rund hunderttausend Priester ihr Amt verlassen. Weiter führt er aus, daß „42 Prozent aller amerikanischen Priester innerhalb von fünfundzwanzig Jahren nach der Priesterweihe der Kirche den Rücken“ kehren. Was bedeutet, „daß schon heute rund die Hälfte aller amerikanischen Priester unter sechzig ihr Amt aufgegeben haben“. Und man erfährt, daß „mehr als zwei Fünftel aller katholischen Gemeinden keinen ortsansässigen Priester“ mehr besitzen. Seine darauf basierende Hochrechnung besagt: Um die Jahrtausendwende wird „die Hälfte aller Gemeinden von diesem Exodus betroffen sein“. Auch wenn der Trend momentan etwas gegenläufig erscheint1, gilt als einer der Hauptgründe für diese Massenbewegung nach wie vor das Zölibat, also die Schwierigkeit der Priester mit ihrer Libido. Das ist ein Themenkomplex, der sich für eine Verfilmung geradezu anbietet. Liefert er doch alle gängigen Ingredienzen für ein zünftiges Drama: Liebe, Leidenschaft, Zweifel, Schmerz. BEICHTSTUHL DER BEGIERDE ist nicht der erste Film, der sich dieser Thematik annimmt (zu erwähnen wäre z.B. Antonia Birds THE PRIEST – GB, 1994), aber vielleicht einer der schlechtesten.


Zum Film: Der junge Priester Patrick Marsden (Stefan Gubser) kommt von Irland, wo er für den dortigen Erzbischof tätig war, nach Silberberg, einem Bergdorf in den Alpen. Silberberg ist ein Konglomerat aus märchenhafter Wunschvorstellung und klischeetriefender Weltfremdheit. Niemand schließt die Tür über Nacht ab. Das Denken der Menschen kreist um die drei berüchtigten K's: Kirche, Küche, Kinder (in genau der Reihenfolge). Die Frauen haben bei der Anzahl der zu gebärenden Kinder kein Mitspracherecht. Und in den Wohnungen stehen Holzkreuze, die vom Boden bis zur Decke reichen.


Bei seiner Ankunft lernt Patrick Christina Berger (Dana Vávrová) kennen, die im Sekretariat des Pfarrhauses arbeitet. Berufsbedingt verbringen Patrick und Christina – die mit Wolfgang (László I. Kish) verheiratet ist – viel Zeit miteinander. Langsam beginnen sie, Gefühle für einander zu entwickeln. Die Ehe von Christina und Wolfgang steht nicht zum besten. Sie haben Schulden, und der ersehnte Nachwuchs will sich auch nicht einstellen. Doch Wolfgang scheut eine ärztliche Untersuchung auf Zeugungsfähigkeit. Christina weiß, daß sie selber physisch vollkommen gesund ist. Schon bald bekennt Christina im Beichtstuhl, daß sie Wolfgang verlassen will. Patrick beklagt seine Einsamkeit. Wolfgang schlägt Christina während eines Streits. Sie flüchtet ins Pfarrhaus und verbringt dort die Nacht.


Dann verliert Wolfgang seine Arbeitsstelle und die Spannungen des Ehepaares verstärken sich. Als sich Patrick mit einem Brieföffner verletzt, will Christina ihn ins Krankenhaus fahren. Doch unterwegs macht eine Lawine die Straße unpassierbar. Sie begeben sich in eine Berghütte und dort schlafen sie miteinander. Es kommt, wie es kommen muß: Christina wird schwanger. Als sie Wolfgang von der Schwangerschaft erzählt, ist seine Freude so groß, daß sie es einfach nicht schafft, ihm zu sagen, daß das nicht sein Kind ist. Doch Wolfgang beginnt zu ahnen, daß man ihm Hörner aufsetzt. Gewißheit bekommt er, als er beim Abendmahl an Heiligabend die Blicke zwischen seiner Frau und dem Priester bemerkt.


Kurz darauf begegnen sich Wolfgang und Patrick auf der Jagd. Zu diesem Zeitpunkt weiß Wolfgang bereits, daß das Kind nicht von ihm sein kann. Er hat sich heimlich testen lassen. Er zielt mit dem Gewehr auf Patrick, erschießt aber nur einen Vogel.


Im August wird Christinas Kind geboren. Patrick tauft es, und kündigt auf der Tauffeier an, daß er die Gemeinde verlassen wird. Patrick und Christina treffen sich ein letztes Mal in der Kirche. Er teilt ihr mit, daß er sein Priesteramt aufgeben wird und bittet sie, mit ihm zu kommen. Sie sagt: „Ich liebe dich auch“ – und verzichtet zugunsten ihres Mannes.


BEICHTSTUHL DER BEGIERDE, das hört sich zunächst einmal wie der Titel eines Groschenromans an. Und es ist ja bekannt, daß gerade die beiden Privatsender SAT. 1 und RTL einen Hang dazu haben, speziell ihren Eigenproduktionen spektakuläre bis dubiose Titel zu geben: Umworben wird schließlich ein sensationsgeiles Millionenpublikum. Werbezeit muß verkauft werden, um die Produktionskosten abzudecken. Das funktioniert nur über die Zuschauerzahlen. Aber bei einem kontinuierlichen Output an Filmen, ist ein bestimmter Qualitätsstandard nicht konstant einzuhalten. Da kann es dann durchaus passieren, daß ein Film, wie z.B. Herrmann Zschoches NATALIE – ENDSTATION BABYSTRICH (D, 1994), tatsächlich so schlecht ist, wie der Titel vermuten läßt.


Auch hinter BEICHTSTUHL DER BEGIERDE (ausgestrahlt am 09. Dezember 1997, SAT. 1) verbirgt sich ein dröge inszenierter Film, der nur knapp am Seifenoper-Niveau vorbeischrammt. Die Gründe, die Dana Vávrová, die sich hier weit unter Wert verkauft und erst kürzlich in einem Interview sagte, daß sie sich ihre Rollen sehr sorgfältig auswählt, dazu bewegten, den Part der Christina Berger zu übernehmen, bleiben rätselhaft. Und der Regisseur, Peter Lehner, bedient sich, wie um der Langeweile entgegenzuwirken, einer äußerst platten Symbolik. Seine Bildsprache wirkt so aufdringlich, als ob er uns beweisen möchte, was er auf der Filmhochschule alles gelernt hat. Das beginnt mit dem Namen des Priesters und endet (in meiner Aufzählung) mit den Begleiterscheinungen des Beischlafs:


1.) Für die Namensgebung von Patrick Marsden stand natürlich der hl. Patrick (385–461) Pate, den Rom zur Missionierung Irlands ermächtigte. Zur Zeit des hl. Patrick empfand man verheiratete Geistliche als völlig normal. In Irland gab es bis ins zwölfte Jahrhundert ehelich verbandelte Bischöfe. Der auf kitschigen Devotionalbildern verewigte hl. Patrick, der die Schlangen verbannt, ist auch heute noch das Sinnbild für jene Priester, die ihr Amt aufgeben.


2.) Als Patrick Marsden am Anfang des Films, auf dem Weg nach Silberberg, durch die verschneite Landschaft fährt, fällt ein Schuß und ein abgeschossener Vogel verspritzt sein Blut über die ganze Windschutzscheibe. Der Regisseur läßt erst gar keinen Zweifel daran aufkommen, daß irgendwer oder irgendwas auf dem Opferaltar landen wird.


3.) Bei Patricks erster Begegnung mit Christina rutscht er im Schnee aus und fällt hin. Ein eindeutiger Hinweis auf sein kommendes moralisches Straucheln.


4.) Ein Foto soll mit dem neuen Priesters und einigen Gemeindemitgliedern aufgenommen werden. Der Blick der Kamera durch den Sucher des Fotoapparates zeigt, daß Wolfgang außerhalb des Bildkaders steht. Er muß erst ins Bild gerückt werden. Der Bruch zwischen Christina und Wolfgang ist schon vor dem Auftauchen Patricks vollzogen.


5.) Patrick schenkt Christina Hermann Hesses Siddharta (1922). In dem Buch reflektiert Hermann Hesse, der selber aus einer vorgezeichneten theologischen Laufbahn ausbrach, seine Indienreise nach der Biographie des jungen Buddha, also daß die Welt ewige Wandlung und der Mensch ewiger Wanderer sei.


6.) Christina und Patrick kommen sich langsam näher und im Hintergrund spielt das Radio einen Mariah-Carey-Song („I can't live, when living is without you“). Aber das ist okay, selbst große Hollywood-Produktionen wie z.B. SLEEPLESS IN SEATTLE (USA, 1993) arbeiten mit diesen, das Geschehen kommentierenden Song-Zeilen.


7.) Die Wunde, die sich Patrick mit dem Brieföffner zufügt, hinterläßt den Eindruck, als hätte man ihm einen Nagel durch die Hand geschlagen und er hänge schon halb am Kreuz.


8.) Der Geschlechtsverkehr muß natürlich auf einem harten Holzbett stattfinden, damit die widrigen Umstände ihrer verbotenen Beziehung noch unterstrichen werden.


BEICHTSTUHL DER BEGIERDE ist darüber hinaus ein schönes Beispiel dafür, daß manchmal die Produktionsbedingungen eines Films interessanter sind als das fertige Ergebnis. Die Dreharbeiten, die im österreichischen Bartholomäberg stattfanden, arteten zu einem Spießrutenlauf mit dem zuständigen Bistum Feldkirch aus. Wegen „Verfälschung von Glaubensinhalten“ untersagte das Bistum die heißen Blicke beim Abendmahl. Diesem Urteil konnten aber nur die wenigsten Bürger von Bartholomäberg zustimmen. Das wertete der Bürgermeister des Ortes umgehend als Komplott gegen die Kirche. Aufgrund der entzogenen Drehgenehmigung verlagerte das Team das Kircheninnere dann kurzerhand in eine Schreinerei. Und, als Krönung der schönen Stunden sozusagen, erlitt der wirkliche Pfarrer vor lauter Streß einen Herzinfarkt.


1 Im Februar 1997 verkündete das Vatikan-Handbuch, daß es 1996 weltweit 404.750 Geistliche gab, also 289 mehr als im Vorjahr. Und die Zahl der Priesterweihen lag 1996 um zehn Prozent über der der verstorbenen Priester.


BEICHTSTUHL DER BEGIERDE (D, 1996)
Regie: Peter Lehner
Drehbuch: Akiko Hitomi
Kamera: Martin Fuhrer
Länge: 92 Minuten (TV)
Darsteller: Stefan Gubser, Dana Vávrová, László I. Kish, Alexander May, Susanne Bentzien,
Sven Martinek, Hermann Giefer, Luise Deschauer u.a.


© Christian Barduhn, im Dezember 1997    Index    Der Humanist