Das Alien in uns

von
Christian Barduhn

 

„In vielen Menschen gibt es offenbar eine tiefe Sehnsucht, mit außerirdischen Kräften in Übereinstimmung zu sein – von ihnen umfangen und überwältigt zu werden und, wenn möglich, durch sie von unserer bedrückenden Verantwortung für uns selbst befreit zu werden.“
(Russell Davies in seiner Filmkritik zu CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND)

„Ken, er glaubt ja noch nicht einmal, daß die Lichtgeschwindigkeit die größtmögliche Geschwindigkeit im Kosmos ist. Wir werden aneinander vorbeireden. Außerdem bin ich nie mit den konventionellen Religionen zurechtgekommen. Und ich verliere schnell die Geduld, wenn ich es mit ihren Ungereimtheiten und ihrer Verlogenheit zu tun bekomme.“
(Carl Sagan: Contact)

„Das klingt, als wolltest du sagen, die Wissenschaft hätte Gott getötet. Was wäre, wenn die Wissenschaft einfach bloß enthüllt hätte, daß es Gott eigentlich nie gegeben hat.“
(Jodie Foster in CONTACT)

 

Am Anfang steht eine junge Frau am Rand eines in die Erde eingelassenen Radioteleskops. Sie steht am Abgrund, will uns diese Szene sagen, aber nicht in einem negativen Sinne. Sie steht auf dem Sprung, sie wird den entscheidenden Schritt wagen müssen. Sie blickt auf die über dem Teleskop montierte Apparatur, aber ihr Blick geht weit darüber hinaus. Dabei wirkt ihr Gesicht wie ein eigener Abgrund, eine Mischung aus Angst, Hoffnung, verborgenem Schmerz und unerschütterlicher Siegesgewißheit, unterlegt mit dem Anflug eines herausfordernden Lächelns. Sie blickt in das Weltall, in den Himmel (!), und sehnt sich nach ihrem toten Vater. Sie hat so viele Fragen, auf die sie niemals Antworten von ihm erhalten wird. Niemals? Robert Zemeckis, der Regisseur von CONTACT, braucht nicht mehr als diese eine Einstellung, um den ganzen Film zu erklären. Der Anfang und das Ende, das Außen und das Innen – das ist das Koordinatensystem, das diesem Film zugrundeliegt. Doch dazu später.


Jodie Foster in CONTACT

 
Eleanor „Ellie“ Arroway ( Jodie Foster), die junge Frau, hat ihr Leben der Suche nach außerirdischem Leben verschrieben. Aber der wahre Grund für ihre Unrast liegt ganz tief verborgen in ihr. Ellies Arbeit bei SETI ist bedroht. David Drumlin (Tom Skerritt) will ihr die Forschungsgelder streichen. Sie hat ihre erste Begegnung mit Palmer Joss (ätzend wie immer: Matthew McConaughey). Er sagt, daß er ein Schriftsteller sei. Ellie ist überrascht, als sie erfährt, daß Palmer ein Priester ist. „Ein Soutenenträger, nur ohne Soutane“, wie er sich selbst bezeichnet, weil er sich mit dem Zölibat nicht anfreunden konnte. Sie schlafen miteinander. Als Palmer sie nach ihrem Vater fragt, flüchtet sie.

Ihr Vater starb, als sie neun Jahre alt war. Ihre Mutter hat sie nie kennengelernt, sie starb bei Ellies Geburt. In einer Rückblende sagt ein Pfarrer nach dem Tod ihres Vaters zu ihr: „Ellie, ich weiß, das ist schwer zu begreifen. Aber wir können nun mal nicht immer verstehen, warum Dinge so geschehen, wie sie geschehen. Manchmal müssen wir einfach etwas hinnehmen – als den Willen Gottes.“ Ellie kann dies schon als Neunjährige nicht akzeptieren. Sie versucht, ihren Vater mit einem Funkgerät zu erreichen.

Drumlin bezeichnet SETI als „Unsinn“. Er will das Teleskop für eigene Forschungen benutzen. Es kommt zum Streit. Ellie verläßt die Anlage, Palmers Telefonnummer läßt sie zurück – sie ist noch nicht bereit. Daraufhin versucht Ellie mit ein paar Enthusiasten, private Fördermittel aufzutreiben, um ein neues Projekt in New Mexico zu starten. Nur der exzentrische Milliardär S. R. Hadden (kaum zu erkennen: John Hurt) setzt Vertrauen in Ellies Hingabe und Leidenschaft und stellt die finanziellen Mittel zur Verfügung.

Vier Jahre später ist es erneut Drumlin, der ihre Arbeit gefährdet. Ihr bleiben drei Monate, um konkrete Ergebnisse vorzuweisen. Palmer Joss arbeitet mittlerweile für das Weiße Haus als „spiritueller Berater“, als „Gottes Diplomat“. So verbringt Ellie die ihr verbleibenden Nächte in der Nähe der Radioteleskope und lauscht mit ihrem tragbaren Empfänger in den Weltraum. Palmer doziert im Fernsehen über sein neues Buch „Losing Faith“. Ruhig und mit sanfter Stimme trägt er seine technologiefeindliche Argumentation vor. Fragt, ob sich die Welt, aufgrund von Technologie und Wissenschaft, zum Besseren verändert habe. Und meint, daß sich die Menschheit in eine synthetische Gesellschaft wandele, die ihre innere Ruhe verloren hat, daß die Menschen sich immer leerer und einsamer fühlen. Währenddessen nähert sich ein maschinenartiges Geräusch der Erde. Ellie ist die erste Empfängerin – und ihr Leben wird nie wieder so sein wie bisher.

Das Signal, das von der 26 Lichtjahre entfernten Wega kommt, ist schnell entschlüsselt. Es basiert auf Primzahlen, folglich muß intelligentes Leben dahinter stecken. Ellie benachrichtigt Teleskopanlagen rund um die Welt, um das Signal lückenlos aufzeichnen zu können. Daraufhin schalten sich das Militär und Michael Kitz (James Woods), Nationaler Sicherheitsberater, ein, weil die nationale Sicherheit gefährdet sein könnte. Bald stellt sich heraus, daß das Signal eine Botschaft enthält: TV-Bilder, die Adolf Hitler bei der Eröffnungsrede der Olympischen Spiele 1936 zeigen. Die Ironie der Geschichte: Hitlers Ansprache war die erste Übertragung, deren Sendeleistung groß genug war, um ins Weltall abzustrahlen. Doch unter den TV-Bildern ist noch eine zweite Botschaft versteckt.

Ellie erstattet dem Präsidenten in Washington Bericht. Drumlin, in das Unternehmen mit einbezogen und den Gang auf politischem Parkett gewohnt, drängt sich immer stärker in den Vordergrund. Ellie kehrt zurück. Vor der Anlage hat sich eine riesige Menschenmenge gebildet, bestehend aus Anhängern sämtlicher Religionen, Sekten, etc. Ein christlicher Fanatiker mit weißem Haar fällt ihr auf – sie wird ihm noch zweimal begegnen.

Die Botschaft umfaßt 63.000 Seiten, eine gewaltige Datenmenge, und ein Rätsel, das niemand lösen kann. Ellie wird von S. R. Hadden eingeladen und er gibt ihr den entscheidenden Hinweis für die Entschlüsselung. Es ist eine technische Anleitung für eine Maschine, ein Transportmittel. Gespräche werden geführt, die Einwände gegen den Bau dieser Maschine sind mannigfaltig. Jeder hat etwas zu verlieren: Politik und Militär droht der Verlust von Macht und Einfluß; Theologen fürchten den Verlust von Einfluß und Glauben. Letztendlich fällt die Entscheidung für die Maschine. 10 Kandidaten kommen für die Reise in die engere Wahl, darunter Ellie und Drumlin.

Aber Ellies ärgster Gegner sitzt in der Auswahlkommission: Palmer Joss. Als ihre Befragung abgeschlossen ist, stellt Palmer Ellie die verhängnisvolle Frage. Ob sie an Gott glaube, will er von ihr wissen – und ist noch nicht einmal ehrlich dabei. Sie sagt, daß es keine Beweise für oder gegen einen Gott gibt. Die Kommission wird hellhörig. Sie hatte nie eine Chance. Drumlin erzählt dem Kommitee genau das, was es hören will.

Die Maschine – drei sich ineinander drehende Ringe und ein kranartiges Gerüst, an dem eine Kapsel aufgehängt ist – ist fertig und der Testlauf steht bevor. Drumlin, zumindest seiner Rede nach die Verkörperung der uramerikanischen Tugenden, ist der Auserwählte. Die Maschine setzt sich in Bewegung; Ellie entdeckt derweil den weißhaarigen christlichen Fanatiker auf einem Monitor. Der Sicherheitsdienst wird verständigt, aber der Irre sprengt sich und die Maschine in die Luft. Drumlin ist tot. Das Projekt ist mit ihm gestorben, niemand kann sich die astronomische Summe für den Bau ein zweites Mal leisten. Der Kontakt mit Außerirdischen bleibt ein Traum.

Hadden, der sich mittlerweile aus Gesundheitsgründen auf der Raumstation MIR befindet, nimmt Kontakt mit Ellie auf. Er hat heimlich auf der japanischen Insel Hokkaido eine zweite Maschine bauen lassen. „Erster Grundsatz beim Ausgeben öffentlicher Gelder: Warum eine bauen, wenn man zum doppelten Preis zwei haben kann.“ Er bietet Ellie die Reise an. Palmer taucht wieder auf und gesteht ihr, daß er nur aus Selbstsucht handelte. Er mißbrauchte seine Stellung in der Kommission, weil er sie nicht verlieren wollte. Ellie ist am Ziel ihrer langjährigen Arbeit. Sie betritt die Kapsel und ihre Reise beginnt.


Ellie in der Kapsel

 
Der Boden der Kapsel wird durchsichtig, sie sieht ein Licht und fällt lange durch eine Art kosmisches Wurmloch. Die Kamera fährt durch ihre Iris und sie schwebt auf einen Strand herunter. Es ist ihre Vorstellung von Pensacola, Florida, ein Bild, das sie als Kind einmal für ihren Vater gemalt hatte. Jemand nähert sich ihr. Es ist – ihr Vater. Und doch wieder nicht. Sie vermutet, daß man ihr im Schlaf das Bewußtsein angezapft hat. Er sagt, daß es viele von ihnen gäbe, aber daß sie das Reisesystem nicht gebaut, sondern nur vorgefunden hätten. Er sagt, daß sie gehen müsse.

Die Kapsel fällt durch die Maschine ins Wasser. Nachdem Ellie ausgestiegen ist, sagt man ihr, daß die Maschine eine Fehlfunktion hatte. Die Kapsel sei einfach nur durchgefallen. Aber nach ihrem Empfinden müßten Stunden vergangen sein. Ein Untersuchungsausschuß, unter dem Vorsitz von Michael Kitz, wird gebildet. Er wirft ihr vor, daß sie eine „Wahnvorstellung“ hatte und daß das Ganze eine von S. R. Hadden, mittlerweile verstorben, eingefädelte Manipulation war. Sie sagt, daß sie eine Erfahrung gemacht hat, eine Vision hatte, die sie gerne teilen würde. Palmer versteht sie und glaubt ihr.

Als nächstes sieht man ein Gespräch zwischen Kitz und der Beraterin des Präsidenten. Sie sagt, daß Ellies Videokamera zwar keine Bilder, aber dafür Störungen aufgenommen hat und diese Aufzeichnungen dauern rund 18 Stunden.

18 Monate später sitzt Ellie allein in der Wüste. Sie schaut auf den Horizont, aber ihr Blick ist diesmal nach innen gerichtet. Sie lächelt, wissend.

Zwei Blicke – dazwischen liegt ein Universum. Am Anfang geht Ellies Blick ins Außen, immer größer die Teleskope, immer weiter hinaus in den Himmel, getrieben vom sehnenden Sehen, vom sehenden Sehnen. Schmerzhaft wird uns bewußt, daß ihre Suche nach Außerirdischen lediglich eine Projektion ihrer Sehnsucht nach dem Menschen ist, den sie am meisten vermißt: ihren Vater. Sie würde alles dafür geben, noch einmal in seiner Nähe zu sein, ihn in die Arme zu schließen, seine Wärme zu spüren. Davon handelt CONTACT, einer der cleversten Science-fiction-Filme der letzten Jahre.

Es geht um Menschen, um ihre Ängste und Hoffnungen. Nicht umsonst drehen sich die besten Science-fiction-Filme eben nicht um Außerirdische und der Erkundung fremder Welten, sondern um Menschen. Im englischen gibt es die doppeldeutigen Bezeichnungen inner space und outer space. Als inner space bezeichnet man die Erde und als outer space das Weltall. Gleichsam steht inner space für den Körper eines Menschen und outer space für die ihn umgebende Welt. Das Innen und das Außen: jeder Mensch ein Universum.

Liest man parallel zum Film die literarische Vorlage von Carl Sagan, dann fällt einem zuerst die völlige Spannungsarmut des Romans auf. Er liest sich wie ein wissenschaftliches Protokoll – das kann bei knapp 500 Seiten recht anstrengend werden (wie spannungsgeladen man so eine Geschichte erzählen kann, zeigt Jack McDevitt in seinem Roman Erstkontakt). Abgesehen von den zahlreichen inhaltlichen Abweichungen, bemerkt man im Film auch ziemlich schnell die Abmilderung der theologischen Konflikte. Trotzdem liegt über CONTACT kein Filter der Unschärfe. Robert Zemeckis Film ist sehr präzise in der Schilderung der Verflechtung von Staat und Kirche bzw. der Einflußnahme der christlichen Hardliner auf politische Entscheidungen. CONTACT wirkt wie die Quintessenz des Romans, ja, man kann sagen, daß Robert Zemeckis’ Film einer der wenigen Beispiele dafür ist, daß eine Verfilmung besser sein kann als ihr gedruckter Vorläufer.

Beschäftigt man sich eingehend mit der UFO-Thematik, stößt man unweigerlich auf die Schriften des Autors Jacques Vallée. Ich will seine teils abenteuerlichen, teils interessanten Theorien hier gar nicht großartig vorstellen. Aber zwei seiner Thesen scheinen dem Verständnis von CONTACT förderlich zu sein. In der Szene, in der Ellie zur Teleskopanlage zurückkehrt, hat sich vor dem umzäunten Gelände eine riesige Menschenmenge versammelt. Ein Konglomerat aus den unterschiedlichsten religiösen Spielarten. Ellie sitzt in einem Auto, dessen Seitenscheibe etwas heruntergekurbelt ist. Und während sich der Wagen durch die Menge bewegt, spiegeln sich die religiösen Partikularinteressen in der Scheibe und verschmelzen aufgrund der Fahrtgeschwindigkeit zu einer homogenen Masse. Es scheint, als wird ihr hier erstmals bewußt, daß sie der Welt mehr als nur ein Funksignal geschenkt hat. Vallée spricht in einem seiner Bücher davon, daß irgendwann jemand die verschiedenen UFO-Strömungen bündeln und als eine eigenständige Religion neben den monotheistischen Religionen etablieren wird. Das rückt Ellie in die Nähe der großen Religionsstifter, auch ihre Botschaft ist nicht von dieser Welt. Die filmische Formulierung dieses Postulats vollzieht sich am Ende des Films. Da tritt Ellie, nachdem sie vor dem Tribunal, das wohl nicht von ungefähr in seiner Schärfe an die Kommunistenjagden der HUAC (The House Committee on Un-American Activities / Ausschuß für unamerikanische Umtriebe) der McCarthy-Ära erinnert, aussagte, aus dem Gebäude und wird von einer unüberschaubaren Menschenmenge frenetisch gefeiert. Der Grundstein ist gelegt.

Vallées zweite These, die ich hier benutzen möchte, besagt, daß es keinen Beweis dafür gibt, „daß das UFO-Phänomen außerirdischen Ursprungs ist“. Alle Sichtungen, seien es nun Engel, Dämonen, Elfen oder eben Außerirdische, entspringen dem menschlichen Bedürfnis, dem inneren Drang, der eigenen Existenz eine höhere Macht zur Seite zu stellen. Zemeckis spielt diese Variante auf der filmischen Ebene während Ellies Reise in der Kapsel durch, indem er die Kamera durch ihre Iris gleiten läßt. Alles weitere könnte sich nun ausschließlich in ihrem Kopf abspielen. Die metaphysische Manifestation ihres brennenden Verlangens. Aber CONTACT ist zu clever, um sich auf eine Aussage festnageln zu lassen. Deshalb findet später das Gespräch über die Länge ihrer Aufzeichnungen statt. CONTACT ist ein ausgesprochener Nischen-Film, hier findet jeder seine Ecke, um sich darin auszubreiten: Religiöse, Esoteriker, UFO-Gläubige, Skeptiker etc.

In der letzten Einstellung geht Ellies Blick ins Innen. Sie braucht jetzt keine Hilfsmittel, keine Teleskope mehr. Der Anfang und das Ende, das Außen und das Innen, das ist eine gespiegelte Doppelung, ein reflexiver Weg zu der Erkenntnis, daß die Erlösung aus dem Inneren, aus sich selbst heraus möglich ist.

Was im (Video-)Archiv bleibt, ist ein nachdenkenswerter Film mit einer fantastischen Jodie Foster. Was im Kopf bleibt, ist dieser erste Blick von Jodie Foster, der weit über diesen Film hinausreicht.



Für Tanja... (Hoffnung ist der quälende Daseinszustand der unerfüllten Erwartungen)




CONTACT (USA, 1997)
Regie: Robert Zemeckis
Drehbuch: James V. Hart und Michael Goldenberg (Based on the Novel by Carl Sagan)
Kamera: Don Burgess
Länge: 143 Minuten (Video)
Darsteller: Jodie Foster, Matthew McConaughey, James Woods, John Hurt, Tom Skerritt, Angela Bassett, David Morse u.a.


© Christian Barduhn, im Juli 1998    Index    Der Humanist