Sigmund Freud: Totem und Tabu
Inhalt:
Totem und Tabu (1912/13) ist Freuds erstes großes
kulturtheoretisches Werk, in dem er psychopathologische und
ethnologische Kategorien in Analogie setzt und ,Einige
Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der
Neurotiker herausarbeitet. Das Buch gehörte zeitlebens zu
des Autors Lieblingstexten und wurde von Thomas Mann als ein
allen großen Beispielen deutscher Essayistik verwandtes
und zugehöriges Meisterstück bezeichnet. Zumal im vierten
Essay entfaltet Freud eine kühne spekulative Theorie über die
Anfänge der Kultur, indem er die Entstehung von Schuldgefühl
und Inzesttabu auf traumatische Vorgänge in der prähistorischen
Familie zurückführt: den von der Brüderhorde am Urvater
begangenen Mord.
In seiner gedankenreichen Einleitung schildert der
Ethnopsychoanalytiker Mario Erdheim die zeitgeschichtlichen und
biographischen Umstände, unter denen Totem und Tabu entstanden
ist, und skizziert die Rezeption des Buches sowie die
fundamentale Kritik, die aus den Reihen der Kulturanthropolgen an
ihm geübt wurde. Aber anstatt das Buch als überholt zu
verwerfen, regt Erdheim den Leser zu einer gänzlich neuen
ent-exotisierenden Lektüre an: Freuds
Pionierleistung bestehe nicht allein darin, dem von ihm
entdeckten Unbewußten erstmals in kulturellen und
gesellschaftlichen Strukturen nachgespürt zu haben Totem
und Tabu, aus einem modernen Blickwinkel gelesen, werfe
vielmehr auch helles Licht auf die Entstehung von Institutionen
in der Gegenwart, auf Gewalt, Herrschaft, Rebellion in unserer
eigenen Gesellschaft, sogar auf die Art und Weise des
nachträglichen Umgangs mit den Verbrechen des
Nationalsozialismus. Nicht von den Wilden dort, sondern von
den Wilden hier ... handelt die Geschichte.
Freuds Totem und Tabu gehört zu jenen
Büchern, die alt werden müssen, um in ihrer Radikalität
erkannt zu werden.
Wenn wir heute von einem Buch sagen, es sei radikal, so
meinen wir, daß es wichtige Probleme unserer Gegenwart in ein
klares und scharfes Licht taucht.
Mario Erdheim (in der Einleitung)
Autor:
Sigmund Freud, geboren 1856 in Freiburg (Mähren); Gymnasialzeit in Wien; Studium an der Wiener medizinischen Fakultät; Promotion 1881, Habilitation 1885; 1885/86 Studienaufenthalt in Paris, unter dem Einfluß von J.-M. Charcot Hinwendung des Interesses von der Neuropathologie zur Psychopathologie; danach in der Privatpraxis Beschäftigung mit Hysterie und anderen Neurosenformen; Begründung und Fortentwicklung der Psychoanalyse als eigener Behandlungs- und Forschungsmethode sowie als allgemeiner, auch die Phänomene des normalen Seelenlebens umfassender Psychologie; Ausbreitung und Institutionalisierung der psychoanalytischen Bewegung, Abfall einzelner Schüler, Anfeindung und schließlich weltweite Anerkennung; 1930 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt; 1935 Ehrenmitgliedschaft der Royal Society of Medicine; 1902 zum Titularprofessor ernannt, wurde Freud nie auf einen ordentlichen Lehrstuhl berufen; 1938 Emigration nach London, wo er, der Nazi-Verfolgung entkommen, 1939 starb.
Dr. Mario Erdheim lehrt Ethnopsychoanalyse an der Universität Frankfurt und arbeitet als Psychoanalytiker in Zürich. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit (1982).
Fischer ISBN: 3-596-10451-3
Erstellt von Christian Barduhn | Titelliste: Religion | Index | Der Humanist |