Michael Kunze: Straße ins Feuer Vom Leben und Sterben in der Zeit des Hexenwahns
Inhalt:
Unsichtbar, doch unübersehbar steht eine schwarze Wolke am
Horizont. Alle warten auf den großen Krieg. In der Welt tobt ein
Kampf zwischen Gut und Böse. Das kommende Gefecht wird das
letzte sein Endschlacht, die dem Jüngsten Tag vorausgeht.
Im Osten steht der Antichrist, das westliche Lager ist geschwächt
durch Uneinigkeit und Zank. Vordergründig geht es um den rechten
Glauben, in Wahrheit wie immer um Macht und Geld. Doch auch das
Raffen und Rechten geschieht um des höheren Zwecks der Rettung
der Menschheit willen, ist daher grausamer und erbitterter als
je. Die Angst vor dem Untergang äußert sich auf die vielfältigste
Weise: man säuft, flucht, hurt, man betet, büßt und bettelt,
man grübelt und klammert sich an finsteren Aberglauben. Vor
allem aber sucht man nach den Schuldigen. Man schreibt das Jahr
1600.
Dies ist die Szenerie. Und dies die Geschichte: Eine landfahrende
Familie Mann, Frau, erwachsene Söhne, zehnjähriges Kind
gerät in Niederbayern in die Fänge der Obrigkeit. Für
die lokale Behörde ein unwichtiger, alltäglicher Fall. Doch als
der herzogliche Hofrat in München davon erfährt, äußert er überraschendes
Interesse. Zufällig ist man nämlich auf der Suche nach
geeigneten Schuldigen für einen großen Schauprozeß, der die
Straßenräuber, Brenner und Mörder im Land abschrecken soll. Es
wird die Überstellung der Verhafteten in die Landeshauptstadt
angeordnet.
Die Landfahrer beteuern ihre Unschuld. In umfangreichen Verhören
schildern sie ihr Alltagsleben, ihre Freunde, ihre Welt. Doch die
Macht der Folter preßt ihnen bald weniger Harmloses ab. Zuerst zögernd,
dann eilfertig gestehen sie im Torturgewölbe des Münchner
Falkenturms Hunderte von Raubmorden und Brandstiftungen. Schließlich
gelingt es den vernehmenden Kommissaren, das alte Ehepaar und
seine drei Söhne als Werkzeuge des Teufels zu entlarven. Sie
halten die unscheinbaren Unbehausten für Verbündete des Bösen
im großen Endkampf. Immer unglaublichere Untaten verzeichnen die
Verhörsprotokolle, immer mehr Freunde und Bekannte der
Gefangenen werden von ihnen als Komplizen denunziert und
verhaftet. Die gesammelten Aussagen, penibel aufgezeichnet von
dem bei den Verhören anwesenden Schreiber, sind Hauptquelle des
Buches.
Dieses aber will mehr als nur ein Prozeßbericht sein. In rückblendartigen
Schilderungen der Alltagswelt der Gefangenen erfährt der Leser,
wie einfache Menschen in der damaligen Zeit fühlten und dachten,
woran sie glaubten und zweifelten, womit sie ihre Armut und ihre
Krankheiten bekämpften, wie sie spielten und lachten, litten und
träumten. Der Blick auf die geschichtlichen Ereignisse von
unten nach oben ist oft überraschend, immer ungewohnt.
Doch auch von denen an den Hebeln der Macht ist die Rede. Sie spüren
die Nähe des kommenden Unheils noch stärker als die von ihnen
Abhängigen. Die Herren über das Schicksal der Gefangenen im Münchner
Falkenturm, allen voran Bayerns junger Herzog Maximilian, sind
selbst Opfer ihrer Angst. Die macht die Gelehrten dumm, die
Juristen blind, die Frommen böse und die Milden grausam. In den
Hofräten Fickler und Wangereck lernt der Leser Repräsentanten
der damals tonangebenden Beamten kennen und ihre Ansichten und
Handlungsweisen besser verstehen. In der Gestalt Herzog
Maximilians wird der Typus eines Regenten aufgezeigt, der dem
modernen Prinzip des allesverschlingenden, alleskontrollierenden
totalitären Staates huldigt ein unschuldig-schuldiger
Schreibtischtäter.
Geschichte besteht aus Geschichten. In dieser hier geht es um das
Leben und Sterben in einer Zeit der Angst.
Vor allem der Welt der kleinen Leute, die in den
Geschichtsbüchern immer zu kurz kommen, gilt Kunzes
Aufmerksamkeit. Er schreibt ein Kapitel Kulturgeschichte des 16.
Jahrhunderts ... Sein Buch ist ein wesentlicher Beitrag zur
Geschichte menschlicher Verirrungen.
Wolfgang Lohmeyer/Die Welt
Daß dieses Buch so fasziniert, liegt an der
Erzählkunst seines Autors. Michael Kunze hat ein Buch
geschrieben, das exakt recherchiert und dazu noch vorzüglich
geschrieben ist. So, genau so, muß ein Sachbuch aussehen, das
diesen Namen verdient.
Ekkehart Kleßmann/Literaturforum Südfunk
...Das atemberaubendste Sachbuch des Frühjahrs.
Niklas Frank/Der Stern
Michael Kunze zeigt immer wieder, wie die Juristenlogik
des Jahres 1600 im Heute arbeitet. Der ungeheuerliche Prozeß
endet mit einer sehr ,modernen Begründung des Urteils. Die
Scheiterhaufen von 1600 beleuchten unsere Gegenwart.
Friedrich Heer
Autor:
Michael Kunze, 1943 in Prag geboren, arbeitet heute in München. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Stuttgart und als Stipendiat des Maximilianeums studierte er Rechtswissenschaft, Geschichte und Philosophie. Seit 1970 ist er erfolgreich als Liedertexter und Übersetzer tätig, promovierte daneben und arbeitet weiterhin an rechtshistorischen Forschungsaufgaben.
Kindler ISBN: 3-463-00838-6
Erstellt von Christian Barduhn | Titelliste: Religion | Index | Der Humanist |