Kirchenaustrittsgebühren:

Wie einige Bundesländer den Austritt erschweren

 

Egal, ob in einem Bundesland das Amtsgericht den Kirchenaustritt gebührenfrei beurkundet, oder in einem anderen das Standesamt dafür eine Gebühr von den Austretenden erhebt, in jedem Fall werden staatliche Behörden benötigt, um eine Angelegenheit der Mitgliederverwaltung der Kirchen zu organisieren.

Dies wird notwendig, weil aufgrund des staatlichen Kirchensteuereinzuges der Staat insgesamt mit der Mitgliederverwaltung der Kirche befasst ist. Für den Einzug behält der Staat jedoch von der Kirchensteuer eine (nie als tatsächliche Kosten ermittelte) Gebühr von je nach Bundesland 1-4% ein. Die evangelischen Kirchen haben 1996 einmal bekundet, eine kircheninterne Kirchensteuerverwaltung würde 20% des Kirchensteueraufkommens verschlingen. Insofern liegt - neben anderen Vorteilen für die Kirche - auch im staatlichen Einzug - eine indirekte Subventionierung der Kirchen.

Nach der Logik des Systems müsste der Verwaltungskostenaufwand des Kirchenaustrittes eigentlich von den Behörden nicht bei den Austretenden erhoben, sondern dem Staat von den Kirchen erstattet werden. Im Zusammenhang mit dem Fall einer Sozialhilfeempfängerin hat die Regionalbeauftragte des Internationalen Bundes für Konfessionslose und Atheisten (IBKA) e.V. in Niedersachsen, Irene Nickel, 1998/1999 gegen die Austrittsgebühr eine umfangreiche Korrespondenz geführt und sogar den Petitionsausschuss angerufen. Die Petition wurde abgelehnt. Die absonderlichen Antworten der staatlichen Stellen sind auf der Website des IBKA e.V. nachlesbar.

Einmal abgesehen von der Ungleichbehandlung je nach Bundesland (die Gebührenhöhe ist stark unterschiedlich bzw. in einigen Bundesländern, vor allem, wenn das Amtsgericht die Beurkundung übernimmt, ganz kostenfrei): Darf ein Austritt aus einer Religionsgemeinschaft überhaupt gebührenpflichtig sein?

Nach dem Standardwerk zum Vereinsrecht von Sauter/Schweyer, Der eingetragene Verein, stellen Austrittsgebühren eines Vereins eine sogenannte "unzulässige Erschwerung des Austritts" dar und dürfen daher nicht erhoben werden.

Was für einen Verein gilt, müsste eigentlich für eine Religionsgemeinschaft zum Schutze der grundgesetzlich verbrieften Religionsfreiheit erst recht gelten. Wenn gesagt wird, die Kirchenaustrittsgebühr diene nicht der Erschwerung des Austritts, sondern zur Deckung von Verwaltungskosten, ändert das nichts daran, dass sie "im Effekt" eine Erschwerung des Austritts zur Folge hat. Damit dürfte sie verfassungswidrig sein.

Den Vogel bei der Höhe der Austrittskosten schießt offensichtlich das Bundesland Bayern ab. Diese Gebühr wird in Bayern seit April 1999 mit einheitlich DM 62,00 berechnet. Jede Gemeinde/Stadt scheint allerdings einen gewissen Ermessensspielraum für den definitiven Einführungszeitpunkt dieser Gebühr zu haben. Alle Ämter sollen jedoch den erhöhten Beitrag ab dem Jahr 2000 kassieren. Vorher war eine Gebühr in Höhe von DM 42,00 fällig, also immerhin eine satte Kostensteigerung von 48%. Das riecht doch sehr nach Willkür. Begünstigung der Kirche?

Humanist-Mitarbeiter Herbert Ferstl wollte genauer wissen, wie es um die Religionsfreiheit in Bayern steht. Beim Standesamt Nürnberg fragte er zunächst telefonisch nach den Bedingungen für die Gebühren? Gibt es Ermäßigungen für finanzschwache Bevölkerungsgruppen?

Die erstaunliche Anwort: Härtefallausnahmen (Schüler, Studenten, etc.) gebe es generell keine mehr. Lediglich Sozialhilfebeziehern wird auf Antrag und gegen Vorlage des Sozialhilfebescheides - sowie anschließender Genehmigung durch den Amtsleiter - ein Nachlass in Höhe von 50 Prozent gewährt. D.h. auch Sozialhilfeempfänger haben in Bayern beim Kirchenaustritt eine Gebühr zu entrichten und zwar in Höhe von DM 31,00.

Nun brachte Herbert Ferstl der Dame in der Austrittsstelle beim Standesamt seinen angeblich "eigenen" Fall vor und spielte den christlich besorgten Vater:

H. Ferstl behauptete, seine 15-jährige Tochter wolle unbedingt aus der Kirche austreten. Da seine Frau und er jedoch tief gläubig seien, wären sie damit natürlich nicht einverstanden. Aufgrund des Vorhabens ihrer Tochter hätten sie dieser auch das Taschengeld rigoros gestrichen, damit sie nicht hinter ihrem Rücken mit diesem Geld und ihrem Personalausweis heimlich aus der Kirche austreten könne.

Die Stadtbedienstete konnte den Vater beruhigen: "Ohne Bezahlung der Gebühr sei kein Austritt möglich", war die Antwort. Darauf äußerte H. Ferstl Bedenken, dass hier im schlimmsten Fall doch die Gefahr bestünde, dass sich die Tochter zur erforderlichen Geldbeschaffung, auf illegale Wege begibt, z.B. auch Diebstahl, Drogen, Prostitution. Auch fragte er die städtische Mitarbeiterin, ob der Tochter nicht dennoch von einem "unbedarften" Standesbeamten - ohne Wissen oder Zustimmung der Eltern - der Austritt aus der Kirche (aus Versehen) gewährt werden könnte? - Die kategorische Antwort: "Nein!"

Abschließend fragte Ferstl die Mitarbeiterin, wie denn das mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sei? Dort seien doch die Religionsfreiheit, respektive die Religionsmündigkeit ab dem 14. Lebensjahr, explizit aufgeführt. Die bestehenden Gebühren stünden dann doch in Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Verlangen seiner minderjährigen Tochter.

Folgende beachtliche Antwort erhielt er von der Mitarbeiterin: "Diesen Fall habe der Gesetzgeber halt nicht vorgesehen". Für sie gelte immer: "Ohne Begleichung der Gebühr sei kein Kirchenaustritt möglich..."

Soweit zu "In Bayern vor Ort".

Für Schüler und Studenten ist 62,- eine Menge Geld und ziemlich abschreckend. Immerhin bezogen auf  das Taschengeld (empfohlen sind bei 14-jährigen 40-45 DM monatlich lt. einer Empfehlung des Jugendamtes München) ca. 11/2 Monatsgehälter. Wieviel zu berappen ist, wenn eine ganze Familie gemeinsam austreten will, mag jeder selbst ausrechnen.

Und dass bei Sozialhilfeempfängern noch nicht einmal der Bescheid ausreicht, um "nur" die ermäßigte Gebührt zu zahlen, sondern der Bedürftige auf das Wohlwollen (Genehmigung) des - womöglich christlichen - Amtsleiters angewiesen ist, ist völlig menschenunwürdig. Davon abgesehen, dass selbst die Hälfte der Gebühr, 31,- DM, von diesem Personenkreis kaum aufgebracht werden kann, ohne z.B. dem Kind die nächste Klassenfahrt zu streichen.
(Im Fall der kirchenaustrittswilligen Sozialhilfeempfängerin in Niedersachsen (s.o.) erfuhr die Betroffene erst durch die Antworten auf die Petition von einer möglichen Ermäßigung bzw. Erlassung der Gebühr - zu einem Zeitpunkt, als die Sozialhilfeempfängerin schon aus der Kirche ausgetreten war und die 40 DM bezahlt hatte. Sie hatte sich vor ihrem Kirchenaustritt beim Sozialamt erkundigt, ob das Amt die Kosten ganz oder teilweise übernehmen würde. Dies wurde abgelehnt.)

Religionsfreiheit in Deutschland...

Nun könnte man meinen, da Nichtverdiener keine Kirchensteuer zu zahlen brauchen, ist es für sie auch nicht unbedingt notwendig, aus der Kirche auszutreten. Das könnten sie später, wenn sie verdienten, ja immer noch tun.

Davon abgesehen, dass auch ein Gering- bzw. Nichtverdiener ein Recht auf Religionsfreiheit hat (schließlich hat er sich die Taufe in der Regel nicht selbst eingebrockt): Für die Kirchen ist es lohnend, wenn die Mitgliederzahlen auf diese Weise hochgehalten werden. Bei jeder Kritik an den Kirchen, bei jedem Vorstoß, eine Trennung von Staat und Kirche durchzusetzen, z.B. in Sachen Religionsunterricht oder Soziale Dienste, kann auf die Masse der Kirchenmitglieder verwiesen werden. Wie macht es sich da gut, dass gerade jetzt, wo sich die Kirchen in der Krise befinden, einige Länder die Austrittsgebühren unangemessen erhöhen!

Aber die Anzahl der Mitglieder ist nicht nur für das Image gut, auch finanziell bringt jedes Mitglied den Kirchen etwas, sogar, wenn es keine Kirchensteuer zahlt. Denn viele Zuschüsse des Staates an die Kirchen richten sich natürlich auch nach der Höhe der Mitgliederzahlen. Außerdem zieht das Finanzamt für alle Geringverdiener-Arbeitsverhältnisse eine pauschale Kirchensteuer beim Arbeitgeber ein - egal ob der Arbeitnehmer konfessionslos ist oder nicht. Und diese Pauschale wird natürlich auch nach der Mitgliedschaftshöhe an die Kirchen verteilt.

Und noch ein finanzieller Vorteil ergibt sich für die Kirchen, wenn der Austritt auf den späteren Zeitpunkt eines Verdienstbeginns verlegt wird. Das kann nämlich dann dazu führen, dass man, trotz sofortigen Kirchenaustritts bei oder vor Arbeitsantritt, im Jahr des Austritts doch noch Kirchensteuer zahlen muss. Und zwar entsprechend der Monate, die man in dem betreffenden Jahr noch Mitglied einer Amtskirche war. Der Austritt wird zwar sofort wirksam, das zu versteuernde Einkommen wird aber auf das ganze Jahr umgerechnet - und entsprechend Kirchensteuer abkassiert.

Zum Schluss eine Warnung:

Haben Sie den Kirchenaustritt glücklich hinter sich gebracht, verwahren Sie die Austrittsbescheinigung bitte unbedingt auf. Sonst könnte es Ihnen so ergehen, wie kürzlich einigen konfessionslosen Mitbürgern, die an den neuen Regierungssitz gezogen sind:

"Auf ruppige Art versucht die evangelische Kirche in der Hauptstadt ihre Finanznot durch den reichlichen Zuzug von Neubürgern zu lindern. Selbst bei Neuberlinern, die schon seit fast zwei Jahrzehnten keine Kirchensteuer mehr zahlen, verlangen die kirchlichen Beamten einen amtlichen Beleg für den Austritt und das, obwohl sie selbst in den Finanzämtern sitzen und Zugang zu allen einschlägigen Steuerakten haben. Mit Hinweisen auf zurückliegende rechtskräftige Steuerbescheide geben sich die Kirchensteuereintreiber nicht zufrieden. 'Sofern Sie die Nachweise über ihre Kirchenaustritte nicht beibringen', teilt die Kirchensteuerstelle Berlin den Betroffenen kurz und bündig mit, 'sind wir gehalten, Sie als Mitglieder der evangelischen Kirche zu führen.'"
[Zit. aus: Die Zeit, 4.11.99]


Copyright © Dezember 1999  Der Humanist
erstellt von
Heike Jackler