Mein Glaubensweg
- Zum Christentum und zurück -
Drum prüfe, wer sich ewig bindet...
(Teil einer alten Volksweisheit)
"Dein Verstand ist schwankend, wird er nicht auf die Sinne gebaut;
dein Glaube ist dunkel, wenn ihn die Vernunft nicht beleuchtet."
(L. Börne;1786 - 1837)
Warum glaube ich nicht mehr, was in der Bibel steht? Warum löse ich mich nach zehn Jahren von dem überlieferten Glauben an den Gottessohn Christus? Meinen Weg zum Christen und wieder zurück möchte ich hier nachzeichnen; meine Hoffnung ist, dass sich andere auch entschließen, nachzudenken.
Vorausschicken möchte ich allerdings eines: Dass ich nicht mehr an den biblischen Jesus der Kirchenlehre glaube, die sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche samt frei-kirchliche Ableger einschließt, bedeutet nicht, dass ich gar nicht mehr an Gott glaube. Ich möchte nur nicht an die Märchen vergangener Zeiten glauben, noch mein Leben an Vorschriften gestalten, denen eine wirkliche Grundlage entbehrt.
Im Anfang:
"Ich bin das Licht der Welt,
wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln,
sondern wird das Licht des Lebens haben."(Jesus Christus; Joh. 8, V 12b)
Finsternis schien über mein gesamtes Leben zu liegen; Licht gab es nur selten. Jedenfalls war mein Empfinden so. Nach einer soliden, katholischen Kindheit in einem Dorf am Niederrhein verdunkelte sich mein Leben: mein Stiefvater löschte das Licht und tyrannisierte meine Mutter und mich. Einzelheiten spare ich mir. Ich wurde zu einem "Runaway Child"; den Rest meiner Jugend verbrachte ich in verschiedenen Heimen. Mein Weg schien vorbestimmt; Aussichtslosigkeit bestimmte meine Lebenseinstellung. "No Future": Punk war mein Leben. Die Stranglers lieferten den Soundtrack. Kurz bevor ich selber "strangled" war, traf ich über eine Teestube Baptisten. Das war 1980 in Münster, mitten in einer neuen "Jesuswelle".
Diese christliche Jugend war schon hysterisch im Glauben, das ging auf die Dauer nicht gut: Was ich brauchte, war ein Fundament, keine rosa Wolke.... So wendete ich mich meinem wirklichen Leben zu und beschloss, doch noch was daraus zu machen. In den 1980ern lernte ich meine Frau kennen und schaffte tatsächlich einen bescheidenen beruflichen Erfolg. Die Opfer dabei waren hoch. Und ich war weiter auf der Suche nach dem "wahren" Gott.
Christ - Sein:
"Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben,
so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus."(Paulus; Röm. 5, V 1)
Prima. Nach langem Bibelstudium blieb dieser Satz bei mir hängen. Im Rahmen einer Evangelisationswoche nahm ich Jesus als meinen Herrn an. Ich ließ mich taufen und schloss mich einer Freien evangelischen Gemeinde an. Über die offenen Fragen, wie Schöpfung und Jungfrauengeburt, die Wundertaten Jesu usw., machte ich mir erst mal keine weiteren Gedanken. Ich ging davon aus, dass sich das mit der Zeit schon klären wird. Immer im Glauben vertrauen....
Da in FeG's (Freie evangelische Gemeinde) das "allgemeine Priestertum" hochgehalten wird, bringt der Gläubige sich gemäß seiner Gaben ein. Ich selbst arbeitete im Kindergottesdienst mit und bei der Gottesdienstgestaltung. Der wöchentliche Hauskreis rundete mein Engagement ab. Alles in allem eine durchaus befriedigende Zeit; es machte Spaß und ich fühlte, dass mein Leben sinnvoll ausgebucht war. Differenzen in der Bibelauslegung sind nicht so dramatisch; man respektierte sich weitgehend. Selbst Streit in der Gemeinde sah ich nicht so dramatisch. Das gab es allem Anschein nach ja auch in der Urgemeinde und wurde in Liebe aufgelöst. Dennoch gab es aber nach einiger Zeit zwei Knackpunkte: zum einen die Ansicht über die Bibel als Wort Gottes und die entsprechende Auslegung, zum anderen die Person Jesus Christus. Ich begann entsprechende Literatur zu studieren.
Die Prüfung:
"Der Einfältige glaubt jedem Wort,
aber der Kluge achtet auf seinen Schritt."(Sprüche 14, V 15)
Mein Umzug nach Moers brachte auch einen Wechsel der Gemeinde mit sich. Und einen partiellen Rückzug aus dem Gemeindeleben. Mit meiner Glaubenskrise konnte ich auch kaum vernünftig mitarbeiten. Der Besuch des Bibelhauskreises war das einzige zur "Zurüstung", was ich mir erlaubte. Meine Sicht der Texte stieß aber hin und wieder auf "Gegenwehr".
Was machte eigentlich meine Sicht aus? Das Trennende zum Christlichen musste ich mir bewusst machen. Im Einzelnen:
Ich gehe von der Evolution aus - Christen in der Regel nicht.
Ich sehe in den Schriften der Bibel eher Mythen und Erfahrensberichte von Menschen, die eine Gottessicht vermitteln wollen. Mit allen Stärken und Schwächen.
Ich kann das Alte Testament nicht im Blick auf Christus lesen, ohne das Gefühl zu haben, den Texten damit Unrecht zu tun.
Ich kann nicht an die Hölle glauben
Ich fühlte mich nie "schuldig" - nur "gottesfern".
Ich glaube nicht an eine Jungfrauengeburt.
Ich glaube nicht an die Wunder Jesu.
Im einzelnen waren diese Differenzen nicht unbedingt "dramatisch"; allerdings ergab sich im Gesamten ein Bild, das zu einem nicht ganz unerwarteten Ergebnis führte.
Evolution:
Christen gehen maximal vom Kreationismus aus; in der Regel also Schöpfungsglaube, der sich aus der Bibel nährt. Vielfach wird sogar an die wortwörtliche 7-Tage-Schöpfung geglaubt. Ich bin mit der Evolutionslehre aufgewachsen und finde sie logisch und nachvollziehbar. Mit Schwächen versehen, wie Wissenschaft nun mal so ist, aber gut belegt. Eine Schöpfung durch Evolution, ja, sogar die "Hineingabe" Gottes selbst in die Evolution schien mir noch plausibel. Aber nicht unbedingt meinen Mitchristen. Allerdings ist dieser Punkt nicht Grund, einen Christusglauben fallen zu lassen. Es gibt viele, auch angesehene Christen, die so ähnlich denken wie ich. Allenfalls wäre hier nur ein Wechsel in eine aufgeschlossene Gemeinde notwendig gewesen; allerdings ist FeG hier durchaus "frei". Aber:
Bibel-Exegese:
Hinzu kommt meine sehr historisch-kritische Sicht auf die Bibel. Durch die Entstehungsgeschichte der Bibel im Ganzen und des Neuen Testaments im Besonderen kam ich zu dem Schluss, dass die Bibel weder Wort Gottes, noch besonders inspiriert ist. Eine Sammlung von Mythen und Weisheiten von Menschen, die ihre besondere Begegnung mit Gott weitergeben. Weder Abraham noch Moses und andere waren unbedingt historische Personen in der Art und Weise, wie sie in der Bibel geschildert werden. Die Geschichten des Alten Testaments wollten auch den Zusammenhalt des Volkes Israel erklären und festigen. Und durch JHWH [so bezeichnete das israelische Volk ihren Gott] hatten sie auch den notwendigen Kitt dazu. Wenn überhaupt, dann ist in diesen Geschichten eine tiefere Weisheit über Gott enthalten. Von daher fiel es mir schwer, die Texte "christlich", d.h. in jedem Wort Christus zu suchen, zu deuten. Aus der von mir genutzten Literatur konnte ich ersehen, dass ich mit dieser Meinung nicht alleine stehe.
Himmel und Hölle:
Ein Knackpunkt. Nur der Glaube an die Hölle bedingt den an einen Himmel. Und umgekehrt. An Satan und die Hölle konnte ich nie glauben; ich halte sie für eine Erfindung, um sich Menschen gefügig zu machen. Denn nur wer Angst hat, gehorcht ohne Fragen.
Es scheint mir unwahrscheinlich, dass ein gerechter, liebender und gütiger Gott, wie er ja auch im Neuen Testament verkündet wird, für ein vielleicht siebzigjähriges, verpfuschtes Leben die ewige Höllenqual als Strafe verhängt. Und ewige Verdammnis für jene übrig hat, die nicht an ihn glauben. Das ist ja so ähnlich, als wenn ich zu meiner Frau sage würde: "Du kannst freiwillig bei mir bleiben, das entscheidest Du. Aber bleibst Du nicht, verprügle ich Dich".
Absurd. Genauso absurd ist das Drohen mit der Hölle. Ich glaube nicht daran und ein ewiges Leben ist mir eh suspekt. Unvorstellbar.
Die Schuldfrage:
Eine entscheidende Sache ist bei Christen, sich schuldig zu fühlen. Sozusagen Sünder von Haus aus. Auch das ist mir suspekt. Ich fühlte mich nie schuldig im christlichen Sinne. "Gottesfern", das trifft meine Gefühlslage; und so sehe ich auch die "Schuldfrage" des Menschen: er hat sich von Gott abgewandt. Jesus Christus hat diese eine Schuld getilgt, so schien es mir. Wer will, hat freien Zugang zu Gott, wenn er nur dran glaubt. Aber mich quälte auch hier die Frage: Wieso braucht es dazu einen "Vermittler"?
Die bisherigen Punkte sind zwar nicht unerheblich als Glaubensfrage; im einzelnen aber nicht unbedingt dem Glauben abträglich. Einen aufgeschlossenen, kritischen Christusglauben kann man ja leben; wäre nur die Frage, ob eine FeG die richtige Gemeinde ist. Diese Frage brauchte ich aber nicht mehr zu beantworten. Entscheidend ist nämlich der Glaube an einen auferstandenen Christus.
"Wenn es aber keine Auferstehung der Toten gibt,
so ist auch Christus nicht auferweckt;
wenn aber Christus nicht auferweckt ist,
so ist auch unsere Predigt inhaltslos,
inhaltslos aber auch euer Glaube."(Korinther 15 V 13+14)
Die entscheidende Frage ist die nach Jesus Christus: sein Leben, sein Tod, seine Auferstehung, seine Göttlichkeit.
Jesus Christus:
Hier hatte ich meine größten Probleme. Ich wollte nicht den Glauben an Christus lassen. War er doch mein Lebensgrund.
Auf Grund meiner Bibelsicht konnte ich ja auch nicht an die Wunder glauben. Sie waren für mich Mythos, die Jesu Göttlichkeit unterstreichen sollten; antike Übertreibung eben, die aber durchaus einen bestimmten Aussagewert haben. Ebenso die Legende von der Jungfrauengeburt.
Nur an die Auferstehung, daran wollte ich unbedingt festhalten. Sie ist fundamental für den christlichen Glauben. Also konnte ich gar nicht davon lassen. Schließlich war mein Glaubensleben doch kein Irrtum?! Oder doch?!
"Ich glaube an Gott...
und an Jesus Christus...
geboren von der Jungfrau Maria...
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;...."(Auszüge aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis)
Ich sprach mit einem Freund aus der Gemeinde. Naturgemäß hatte er natürlich Einwände gegen Evolution und meine Sicht der Bibel. Allerdings hatte ich nicht den Eindruck, dass hier eine Trennung bevorstand. Zu denken gab mir ein Hinweis. Wenn ich diese kritisch-historische Bibelsicht habe und nur glauben kann, was belegbar ist und damit die Wunder als Tatsache ablehne: "Mir ist ja noch niemals ein von den Toten Auferstandener begegnet!", also könne ich logischerweise ja auch nicht an das größte aller Wunder glauben!
Alea iacta est: Nach ein paar Tagen des Nachdenkens war mir klar: mein Christsein ist nicht mehr. Denn ich glaubte der Bibel nicht mehr und konnte tatsächlich nicht an den auferstandenen Christus glauben. Und merkte, dass ich mir zumindest die letzten zwei Jahre etwas vorgemacht hatte, weil ja nicht sein kann, was nicht sein kann.
Fazit:
"Und dann kommen auch die großen Tröster
Mit den neusten Plänen in der Hand
Dann wird diskutiert
Und dann wird reflektiert
Und danach konstatiert
Dass man dich angeschmiert"
(H.D. Hüsch; Den möcht ich sehn..., heyne-verlag)
Alles in allem fühlte ich mich nicht unbedingt verarscht; ich glaube, ich habe mir all die Jahre selbst etwas vorgemacht. Kein Blick zurück im Zorn; nein, die frommen Menschen, die mir begegnet sind, glauben alle aufrichtig. Soweit ich das beurteilen kann. Und sie bemühen sich, ihr Leben entsprechend auszurichten.
Ich habe meinen Glaubensweg mit wenigen Worten nachgezeichnet, meinen Weg zum Glauben und wieder weg. Damit möchte ich nur in etwa meinen Denkprozess deutlich machen. Es ist keine theologische Abhandlung.
Manche Christen werden behaupten, ich war ja nur ein Scheinchrist gewesen. Dass ich die Gnade nie wirklich erfahren habe. Dem ist aber nicht so. Ich habe lange Jahre an Jesus Christus geglaubt und mich selbst dabei verleugnet. Nun, da ich wirklich frei bin, sehe ich das so.
Ein neues Leben, als Mensch, der sich der Verantwortung des Lebens stellt und diese nicht mehr an einen imaginären Gottessohn abgibt. Ich fühle mich frei, glücklich und freue mich auf das, was noch kommt.
Manfred Oppdehipt, im januar 2001
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Manfred Oppdehipt, Januar 2001 Der Humanist
erstellt von Heike
Jackler