Kreuze in der Schule ?
vom Bund für Geistesfreiheit (bfg)
In Bayern hat eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs die Gemüter bewegt. Das höchste bayerische Verwaltungsgericht gab zu Jahresbeginn einem Lehrer Recht, der die Anbringung eines Kreuzes in seinen Unterrichtsräumen ablehnt.
Bei nüchterner Betrachtung und der Kenntnis der bisherigen Rechtsprechung konnte die Kammer zu gar keinem anderen Urteil gelangen. Das Bundesverfassungsgericht hatte bekanntlich 1995 entschieden, daß eine Anbringung religiöser Symbole in staatlichen Räumen die Grundrechte von Nichtgläubigen oder Andersdenkenden verletzt. Daraufhin hatte der bayerische Landtag gesetzlich Kreuze in den Klassenzimmern von Volksschulen vorgeschrieben, gleichzeitig aber betroffenen Eltern ein Widerspruchsrecht eingeräumt. Im April 1999 hatte das Bundesverwaltungsgericht ergänzt, daß ein solcher Widerspruch nicht detailliert begründet werden muß. Bereits der Hinweis, dass Eltern oder ein betroffener Schüler keiner Kirche angehört, reicht aus.
Jetzt ging es nur noch um die Frage, ob auch Lehrer als Staatsbeamte ein solches Widerspruchsrecht haben. Die bayerische Regierung sowie die CSU-Landtagsmehrheit vertraten bisher die Auffassung, die Dienstpflicht der Beamten schließe die volle Wahrnehmung der Grundrechte aus. Die Schulbehörde hatte ebenso wie das Kultusministerium vorgebracht, wer in den bayerischen Schuldienst trete, wisse genau, worauf er sich einlasse, und müsse dessen "christliche Prägung" angesichts seiner Treuepflicht als Beamter akzeptieren.
Diese Meinung erschien schon bisher recht befremdlich. Der sonst eher konservative Beamtenbund wie auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft meinten, die Grundsätze des preußischen Berufsbeamtentums aus der wilhelminischen Kaiserzeit könnten nicht ohne weiteres in die vom Grundgesetz geprägte Demokratie übertragen werden. Dort seien Beamte keine willenlosen und rechtlosen Untertanen mehr. Selbst das Kultusministerium hatte sich 1988 dieser Auffassung angeschlossen. Damals wollte das Schulamt im Bezirk Schwaben die Volksschullehrer verpflichten, Schüler in den Schulgottesdienst als Aufsicht zu begleiten. Das Ministerium kassierte diese Anweisung aber mit dem Hinweis, die Religionsfreiheit des Lehrers habe Vorrang vor der Dienstpflicht als Aufsichtsperson. In den übrigen Bundesländern und im Bund war dies schon lange unstrittig.
Nun stellte das Gericht klar, dass dies auch für Bayern gilt. Allein das ist ein großer Erfolg, mit dem der Kläger einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Bürgerrechte geleistet hat.
Umso unverständlicher erscheinen daher einzelne polemische Reaktionen aus der Politik. So forderte der CSU-Generalsekretär den klagenden Lehrer auf, aus dem Schuldienst auszuscheiden, weil er das in der Bayerischen Verfassung genannte Bildungsziel "Ehrfurcht vor Gott" nicht zu beachten gewillt sei. Dabei verschwieg der Parteifunktionär allerdings, daß das Bundesverfassungsgericht schon 1975 diese Passage für "unbeachtlich" erklärt hatte. Das oberste deutsche Gericht hatte damals für Recht befunden, dass christliche Bezüge in Länderverfassungen nicht schlechthin verboten seien, dass sie sich aber nur auf das Christentum als prägenden Kultur- und Bildungsfaktor beziehen, nicht aber auf Glaubensinhalte. Daher entschied auch der bayerische Verfassungsgerichtshof 1988, das Bildungsziel "Ehrfurcht vor Gott" gelte nicht für alle. Der Bund für Geistesfreiheit [er unterstützte den Kläger; die Red.] stellt die Frage, was ein solches Bildungsziel überhaupt zu suchen hat in der Verfassung eines säkularen Staates der Bayern ja zweifellos ist. Der Gläubige braucht ein solches Bildungsziel nicht, denn ihm ist die Ehrfurcht vor Gott selbstverständlich. Vom Ungläubigen hingegen kann man eine solche Ehrfucht nicht erzwingen, denn wer Gott für ein Phantom hält, kann dafür begreiflicherweise nichts empfinden. Richtig und wichtig ist allerdings das unmittelbar folgende Bildungsziel "Achtung vor der religiösen Überzeugung Aller", das nach unbestrittener Rechtsauffassung auch die rein diesseitigen humanistischen Überzeugungen mit einschließt.
Erfreulicherweise haben die meisten Kirchenvertreter bei der Kommentierung des Urteils weit mehr Respekt erkennen lassen für die säkulare Position des Bundes für Geistesfreiheit als die offiziellen Vertreter der CSU, denen der Vorwurf einer gewissen Heuchelei nicht erspart werden kann. Immerhin war es ja gerade diese Partei, die in ihrem Gesetzentwurf ein Widerspruchsrecht gegen die Anbringung von Kreuzen in staatlichen Klassenzimmern eingeräumt hat und die sich nun aufregt, wenn jetzt immer mehr Eltern, Schüler und Lehrer von diesem Recht auch Gebrauch machen. Außerdem hat die Landtagsmehrheit von Anfang an diese "Kreuz-Pflicht" auf die Volksschulen beschränkt. An Realschulen, Gymnasien oder Berufsschulen gibt es keinerlei Rechtsgrundlage für die Anbringung von Kreuzen. Theoretisch dürfte dort jeder Lehrer zu Beginn seines Unterrichts religiöse Symbole entfernen, die die vom Grundgesetz und der bayerischen Verfassung gebotene weltanschauliche Neutralität des Staates verletzen. Der Bund für Geistesfreiheit hält es allerdings für besser, wenn auch dort das Gespräch mit der Schulleitung gesucht wird. Das hat den Nebeneffekt, dass dort die Rechtslage erst einmal bewusst gemacht wird. Der Schulleiter des Gymnasiums Schrobenhausen berief sich zum Beispiel kürzlich bei dem Antrag eines Schülervaters auf eben jenes Gesetz, verschwieg aber, dass es nur für Volksschulen gilt. Ob in diesem Fall Unkenntnis oder bewusste Täuschung das Motiv ist, wird noch zu klären sein.
Von Heuchelei in der CSU spreche ich auch deshalb, weil es im Bundestag seit jeher für Abgeordnete die Möglichkeit zur Teilnahme an einer Morgenandacht gibt. Obwohl dieser Raum in unmittelbarer Nähe zum Plenarsaal des Bundestags liegt und die Andachten in der Viertelstunde vor Beginn der Sitzungen stattfinden also zu extrem günstigen Zeiten nehmen daran täglich zwischen einem und drei Abgeordneten teil, und keineswegs alle sind von der CSU. Pfarrer Wolfgang Ullmann, der jahrelang für die Grünen im Bundestag saß und der aus Gründen der Gerechtigkeit vehement für die konsequente Trennung von Staat und Kirche eintritt, hielt diese Andachten oft selbst und berichtete, dass vielfach der Teilnehmerkreis nur aus Bediensteten oder Besuchern bestand, aber außer ihm kein einziger Parlamentarier anwesend war. Wenn sich also die CSU so sehr als christliche Partei darstellen will, dann möge doch die Landesgruppe erst einmal ihre eigenen Mitglieder zur religiösen Praxis verpflichten, bevor sie das bei anderen tut.
Angesichts der klaren Rechtslage stellt sich die Frage, warum sich dann in wochenlangen Leserbriefschlachten [zu dem o. g. Urteil und dem Begehren des Lehrers als Kläger und des Bundes für Geistesfreiheit; die Red.] neben Zustimmung auch so viel Unmut entladen hat. Sind sie der Gruppe der unverbesserlichen Fanatiker zuzuordnen, die schon die Verfassungsgerichts-Entscheidung von 1995 nicht akzeptieren wollten und nun ausrasten, wenn sich ein Lehrer darauf beruft? Sicher gibt es solche Fälle. Aber auch die sehr persönliche Begründung des Klägers gab Anlass zu Missverständnissen.
Dr. Konrad Riggenmann aus Pfaffenhofen bei Neu-Ulm [der Kläger; die Red.] hatte nämlich ausführlich begründet, warum er das Kreuz als Symbol der Grausamkeit und als "Pfahlwurzel des Holocaust" versteht. Angesichts der geschichtlichen Bedeutung des Kreuzes als Gewalt-Symbol sei ihm der Unterricht unter einem Kruzifix unerträglich. Seine ausführliche Begründung hat Dr. Riggenmann in seinem Buch "Kruzifix und Holocaust" dargestellt, das im Berliner Espresso-Verlag erschienen ist.
Viele gläubige Menschen haben wohl aus der in der Presse verkürzten Begründung geschlossen, der Kläger halte seine Auffassung für die allgemein gültige. Das Gegenteil ist der Fall. Obwohl er Mitglied im Bund für Geistesfreiheit ist, weiß er sehr wohl, dass es auch dort unterschiedliche Auffassungen zu seiner Sicht des Kreuzes gibt. Die Mehrheit stört sich wohl weniger am Kreuz als an der Missachtung der weltanschaulichen Neutralität durch den Staat. Dieser hat sich unparteiisch zu verhalten und jede Werbung für ein bestimmtes Bekenntnis zu unterlassen. In kirchlichen Räumen hingegen halten wir das Kreuz für absolut in Ordnung.
Wer die subjektive Auffassung von Dr. Riggenmann allerdings als "abstrus" abqualifiziert, tut ihm unrecht. Der erfolgreiche Kläger gilt in seinem Heimatort als hervorragender Pädagoge, der sich weit über seine Pflicht hinaus in außerschulischen Veranstaltungen engagiert, zum Beispiel in Theatergruppen. Als ehemaliger katholischer Priesterkandidat kennt er sich auch weit besser in der Materie aus als die allermeisten seiner Kritiker.
Das Kreuz wurde in der Geschichte immer sehr unterschiedlich wahrgenommen. Bis zum 8. Jahrhundert galt es bei Christen als Symbol der Schmach, und auch später meldeten sich immer wieder Stimmen, die das Kreuz als Hinrichtungsinstrument sahen. Kürzlich riet die Unternehmensberatungsfirma Mc Kinsey der Münchner evangelischen Kirche, sie solle das Kreuz nicht zu sehr in den Vordergrund stellen, denn es werde als Symbol für Tod und Düsternis gesehen und sei kein werbewirksames Logo.
Selbstverständlich kann das Kreuz, auch nach Auffassung des Bundes für Geistesfreiheit, völlig anders interpretiert werden, und wir hoffen, dass diese Klarstellung manche Fehldeutungen bei beunruhigten Gläubigen wieder korrigiert.
Nicht akzeptieren kann der bfg allerdings die immer wieder vorgebrachte Behauptung, hier setze sich die Minderheit über die Mehrheit hinweg.
Der Vorsitzende der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, sagte in einem Interview mit der Katholischen Nachrichten Agentur 1995 wenige Tage nach dem Schulkreuz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts auf die Frage nach "Demokratie in der Kirche": "Die Kirche ist keine Demokratie und kann sich überhaupt nicht an eine Verfassung oder ein einziges Regierungssystem binden. ... Freilich kann auch in einer Demokratie nicht über alles durch bloßen Mehrheitsbeschluss abgestimmt werden, zum Beispiel über die Grundrechte." Hier offenbart sich der Theologe als guter Kenner des Wesens der Demokratie, die sich eben nicht immer nach dem Mehrheitsprinzip richtet.
Aber selbst wenn es darauf ankäme: Woher wollen wir eigentlich wissen, was die Mehrheit wirklich denkt?
Die formale Kirchenzugehörigkeit kann kein Maßstab sein, solange die große Mehrzahl nur deshalb Mitglied ist, weil sie im Säuglingsalter ohne eigenes Zutun in die Kirche hineingetauft worden ist. Wie viele würden noch Kirchenmitglied, wenn dafür neben der Taufe auch eine eigenhändige Beitrittserklärung im Erwachsenenalter Voraussetzung wäre?
Wir können das nur vermuten anhand aussagekräftiger Tatsachen. Religionssoziologen ziehen dafür den Besuch der Sonntagsgottesdienste heran. Bei den bayerischen Katholiken ist diese Quote seit 1990 von 26 auf 19 Prozent gesunken, bei den Protestanten von 8 auf 7. Insgesamt gehen 13 Prozent aller Bayern sonntags in die Kirche nicht gerade eine eindrucksvolle Mehrheit!
Nicht besser steht es mit der Gläubigkeit. Dazu gibt es verschiedene kirchliche Umfragen. Die genaueste und umfangreichste wurde 1997 im Auftrag einer evangelischen Wochenzeitung durchgeführt. Demnach glaubten nur noch 31 Prozent der Bayern an einen persönlichen Gott gemäß dem biblisch-christlichen Weltbild, also weniger als ein Drittel, und günstiger sind die Daten für die Kirchen in den letzten fünf Jahren gewiß nicht geworden. [siehe auch: Wie gläubig sind die Deutschen wirklich?; die Red.]
Bestenfalls ein Drittel der Bayern ist als "christlich" zu bezeichnen, wenn wir diesen Begriff und die damit verbundene Lehre auch nur einigermaßen ernst nehmen. Ein weiteres Drittel ist noch in einem sehr äußerlichen Sinne religiös, bastelt sich aber oft den persönlichen Glauben aus Restbeständen diverser Religionen zusammen, nicht zuletzt aus Elementen des Buddhismus und esoterischer Strömungen. Und das letzte Drittel ist schlicht ungläubig, gehört teilweise aber noch der Kirche an.
Religionssoziologen und auch sehr gläubige Kirchenvertreter sprachen bereits von einer nachchristlichen Gesellschaft. So gesehen kann der Hinweis auf das Mehrheitsprinzip schnell zum Eigentor werden. Der Bund für Geistesfreiheit wird aber die Rechte religiöser Minderheiten immer achten. Auch deshalb tritt er für die Unparteilichkeit des Staates ein.
Internet-Adresse:
e-mail: presse@bfg-bayern.de
[Musterbrief an die Schulleitung, entworfen von der Arbeitsgemeinschaft "Trennung von Staat und Kirche"]
Februar 2002, Der
Humanist
erstellt von Heike Jackler