Du sollst kein Mitleid kennen...

Die Religion der Todesstrafe


Worin sich die christliche Rechte der USA mit den Mullahs aus Iran und Pakistan einig weiss.


Göttliche Blutrache

Du sollst in dir kein Mitleid aufsteigen lassen, sollst keine Nachsicht für ihn kennen und die Sache nicht vertuschen. Sondern du sollst ihn anzeigen. Wenn er hingerichtet wird, sollst du als erster deine Hand gegen ihn erheben, dann erst das ganze Volk. Du sollst ihn steinigen, und er soll sterben.

Die Heilige Schrift
5. Mose 13

Die christliche Religion ist die wahrhaftige Religion der Todesstrafe: in symbolischer, in historischer, und in politischer Hinsicht. Keine andere Religion ist auf dem Fundament einer Exekution errichtet, keine andere Religion hat ein Hinrichtungsgerät - das Kreuz, mit dem im römischen Imperium verurteilte Aufrührer exekutiert wurden - zu ihrem Symbol gemacht.
Und tatsächlich, wäre Jesus (vorausgesetzt, es gab ihn tatsächlich) nicht exekutiert worden, hätte es damals keine Todesstrafe gegeben, es hätte niemals eine christliche Religion gegeben, das hätte einfach keinen Sinn gemacht, wie es so taktvoll 1962 der englische Geistliche und Befürworter der Todesstrafe L. Hughes formuliert hat. [PH197f]

Folgerichtig war in christlichen Ländern die Hinrichtung eines Verurteilten nicht mehr und nicht weniger als die Wiedereinführung der Menschenopferung, ein sakrales Reinigungsritual:

Für mich besitzt die Vorstellung eine eigene Faszination: hätten die Römer Jesus auf den elektrischen Stuhl gesetzt, baumelte am goldenen Halskettchen der heutigen Christen ein winziger, kunstvoll vergoldeter elektrischer Stuhl, und dasselbe Instrument wäre heute die stolze Zierde ihrer Kirchtürme. Ebenso vielsagend, und eigentlich auch ebenso angebracht, wären dann in christlichen Ländern die Wände von Gerichtssälen, Kindergärten, und Krankenhauszimmern dekoriert mit dem Abbild eines elektrischen Stuhls. Grabsteine hätten nicht die Form eines Kreuzes, sondern die eines Stuhls.


Volksbelustigung in christlicher Zeit

Auch für Rache und Bestrafung gibt es eine Grenze - ich bin nicht sicher, vielleicht genügt es ja schon, wenn den Übeltäter das begangene Unrecht reut, - in jedem Fall ist die Grenze dies: dass er zukünftig kein weiteres Unrecht dieser Art anrichtet, und dass andere weniger zu ähnlichen Übeltaten geneigt sein mögen.

Marcus Tullius Cicero
Altrömischer Rechtsanwalt,
Philosoph, und Politiker, 50 v.u.Z

Es dürfte kaum ein Zufall sein, dass es Christen waren, die nicht nur den elektrischen Stuhl erfanden, sondern auch - um nur einige Beispiele zu nennen - die Gaskammer, den Galgen, das Rad, das Fallbeil, die Garotte, die eiserne Jungfrau, das Schafott, die tödliche Injektion, und nicht zuletzt auch das Maschinengewehr, dessen erste Entwürfe dazu ausgelegt waren, Christen mit runden, Ungläubige und Heiden aber mit eckigen Projektilen zu beseitigen.

In historischer Perspektive zentriert sich das Christentum - wie keine andere Religion - um Exekutionen, Foltern, und Leichen. Keine andere Kultur hat je eine vergleichbare Vielfalt exquisiter Folter- und Hinrichtungsmethoden hervorgebracht.

Schon seit den frühesten Tagen des Christentums wurde nicht nur Christus auf dem Kruzifix, sondern so gut wie jedes christliche Ideal menschlichen Lebens, wie etwa die Märtyrer, in Kunst und auf Bildnissen als grotesk gefolterte, verstümmelte menschliche Körper dargestellt. Wer immer eine in barockem Prunk geschmückte Kirche von innen sah, weiß von Beispielen zu berichten.

Eine keineswegs geringe Anzahl der berühmtesten Christen folterte oder verstümmelte sich selbst -- so zum Beispiel Origenes, der sich eigenhändig entmannte, oder die mittelalterlichen Heiligen und Mönche, die sich selbst geisselten und dabei sogar einem strengen Terminplan folgten. Um derartige Perversion zu illustrieren:

Weniger freiwillig erlitten Delinquenten im Strafvollzug die Folter im Angesicht eines Kruzifixes, und häufig besprenkelte man die Folterwerkzeuge zuvor mit Weihwasser. Es gab im christlichen Mittelalter mehr Grausamkeiten und Foltern als in irgendeiner anderen Kultur der Menschheitsgeschichte. [MC]

Wie bei den meisten abstossenden Zügen christlicher Frömmigkeit war auch hier die Heilige Schrift Quelle und Inspiration:

Viele Jahrhunderte lang konzentrierte sich die tägliche religiöse Praxis des Christenlebens um die Reliquien: Leichen, manchmal auch nur einige Knochen oder Zähne von Heiligen, hinter Glas in christlichen Kirchen zur Verehrung ausgestellt, wie man sie auch heute noch in den Kirchen mancher ländlichen Gegenden Spaniens oder Italiens findet.

Doch zu den anregendsten öffentlichen Schauspielen der christlichen Welt gehörten vom Hochmittelalter bis zum späten achtzehnten Jahrhundert die Hinrichtungen von Ketzern und Kriminellen, gleich ob die Delinquenten nun, wie im Falle der Opfer der Inquisition, auf dem Scheiterhaufen brannten, oder öffentlich gehenkt wurden wie Diebe und Räuber. Diese Exekutionen wurden -- zumeist an Markttagen -- geradezu als öffentliches Schauspiel wie eine Messe zelebriert, besonders im achtzehnten Jahrhundert. Häufig wurden sogar für die besten Plätze Karten verkauft, und Fensterplätze erzielten dabei die höchsten Preise.

Thomas Hardy, ein Zeitgenosse von Carles Dickens, beschrieb in seinem Tagebuch detailreich

Auch in den USA fanden Hinrichtungen gewöhnlich als öffentliche Darbietung statt: eine der letzten dieser Art im Jahre 1936 in Kentucky, als 20 000 Menschen dem Erhängen eines jungen Schwarzen beiwohnten. [TJ]

In der ganzen Menschheitsgeschichte gab es stets Einzelne, die sich um die Abschaffung der Todesstrafe bemühten, manchmal mit Erfolg, wie zum Beispiel in der römischen Republik [BF333], häufig jedoch erfolglos. Gleichwohl beschränkte sich in der Antike die Todesstrafe gewöhnlich auf ganz wenige, besonders abscheuliche Verbrechen wie Mord und Brandstiftung. Sowohl "Athen in seiner Blütezeit, als auch die römische Republik hatten milde Kapitalgesetze... In den Tagen der römischen Republik wurden Bürger eher verbannt als exekutiert, und Cicero konnte sogar damit prahlen, dass 'der verruchte Baum lang schon im Dunkel vergangner Zeiten verschwunden, vom Licht der Freiheit überstrahlt'," auch wenn zu seinem Entsetzen in der Frühzeit des Imperiums die Todesstrafe wiedereingeführt wurde. [PH1]

Im Gegensatz dazu wurde im christlichen Europa die Anwendung der Todesstrafe in einem Masse ausgeweitet wie bei keiner anderen Kultur, ganz besonders im Zeitalter des Protestantismus. So attackierte etwa Martin Luther den Brauch, "daß der Henker den Delinquenten vor der Vollstreckung des Urteils um Vergebung bat: Es war gar keine Entschuldigung nötig, der Henker war schließlich, wie der Magistrat, ein Instrument Gottes." [PH2]

Höhepunkt dieser Entwicklung war die englische Kriminalgesetzgebung des achtzehnten Jahrhunderts, die den treffenden Beinamen "The Bloody Code" (Der blutige Kodex) erhielt und die sogar die Hinrichtung hungriger Kinder vorschrieb, wenn sie ein Stück Brot stahlen. Selbstverständlich fand dieser Gesetzeskodex die Zustimmung so gut wie der gesamten englischen Geistlichkeit, insbesondere der anglikanischen Kirche. [PH16,99,106f].

Ebenso selbstverständlich wurde dieser exzessive Gebrauch der Todesstrafe mit Hinweis auf die Bibel und die Gesetze des Mose gerechtfertigt:

So argumentierte beispielsweise Reverend George Barrell Cheerer, ein prominenter kalvinistischer Geistlicher aus New York, ein "Vorkämpfer für die Heilige Sache des Hängens", dessen Schriften in England großen Einfluß hatten,

Ein Senator aus Massachusetts, ein Rev. Charles Hudson, hatte darauf hingewiesen, daß

Man sollte sich bei all dem vor Augen halten, daß die Gehenkten überall im Lande für jedermann offen sichtbar waren. Man ließ sie hängen, bis sie soweit verwesten, daß sie von selbst von ihren Galgen herabfielen.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Anekdote von jenen Schiffbrüchigen, die, an unbekannter Küste gestrandet, auf einen frisch Gehenkten am Galgenbaum stießen. Sie sanken in die Knie, um erleichtert auszurufen: "Dem Allmächtigen sei Dank, wir sind in christlichen Landen."

Keine andere Religion hat je das menschliche Leben in vergleichbarer Weise geringgeschätzt (aus nicht pekuniären Blickwinkel freilich: die ausgedehnteste Sklavengesellschaft war keineswegs das antike Rom, sondern die christliche Welt der frühen Neuzeit).

Es gab noch nicht einmal eine Debatte über die Abschaffung der Todesstrafe -- nicht bevor 1764 der italienische Anwalt Cesare Beccaria sein Werk Dei Delitti e delle Pene (Von Verbrechen und Strafen) veröffentlichte. Selbstverständlich setzte die Kirche das "gottlose Werk" sofort auf den Index verbotener Schriften, doch die Diskussion ließ sich nicht mehr ersticken, wie es in füheren Jahrhunderten Brauch gewesen war, als Waldenser und andere Gegner der Todesstrafe noch auf dem Scheiterhaufen brennen mußten. Doch auch in den folgenden Jahrhunderten wurden diejenigen, die sich gegen die Todesstrafe aussprachen, als "Gottlose" und "Atheisten" beschimpft und verfolgt, und das waren sie in der Tat auch unverhältnismäßig oft, so zum Beispiel J. Bentham and P. B. Shelley - als bedeutende Ausnahme können hauptsächlich die Quäker gelten. [PH58, 62, 206]

Selbst noch in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts, als die Abschaffung der Todesstrafe auch in England offenkundig nur noch eine Frage der Zeit war, prägten biblische Themen noch immer die politische Debatte: noch im zwanzigsten Jahrhundert gründen sich Entscheidungen solcher Tragweite nicht allein auf Vernunft oder Erfahrungen aus dem Strafvollzug, sondern stehen immer noch unter dem Einfluß der Moralvorstellungen von Ziegenhirten, die drei Jahrtausende füher gelebt hatten. [PH167-203].



Heimlich aufgenommen: Exekution auf dem Stuhl.

Ingenieure des Todes

Beim Rächen, (das ist, die Vergeltung von Bösem mit Bösem,) soll der Mensch nicht auf das Maß des begangenen Übels sehen, sondern auf die Größe des daraus folgenden Nutzens. Wodurch es uns verboten ist, Bestrafung zu irgend einem anderen Zwecke zu vollziehen, als der Besserung des Übeltäters, und der Belehrung anderer.

Thomas Hobbes
über das Gesetz der Natur, Leviathan, 1651

Anders als in den meisten zivilisierten Nationen wird in den USA auch heute noch die Todesstrafe vollzogen. Wie es sonst nur noch in wenigen anderen Ländern der Fall ist, in der Regel solchen, die unter starkem Einfluß religiöser Extremisten stehen wie etwa Pakistan oder Iran, können in den USA sogar Kinder, bzw. Teenager ab dem Alter von sechzehn Jahren, theoretisch in einigen Staaten sogar unter elf Jahren, sowie Personen geistiger Unzurechnungsfähigkeit hingerichtet werden, wie es erst vor kurzem Urteile von höchsten Gerichten der USA bestätigten.

Obwohl längst erwiesen ist, daß die Todesstrafe in den USA rassistisch und sexistisch diskriminiert, höhere Kosten verursacht als die lebenslängliche Freiheitsstrafe, und dabei keinen Einfluß auf die tatsächliche Zahl der Gewaltverbrechen erkennen läßt, hat ihr Gebrauch - entgegen Vernunftgründen und den Bedürfnissen der Gerechtigkeit - in der vergangenen Dekade stetig zugenommen.

Nur etwa ein Prozent der Todeskandidaten in amerikanischen Gefängnissen sind weiblich, obwohl im Schnitt fünfzehn Prozent aller vorsätzlichen Morde von Frauen begangen werden.
Eine Studie unter der Leitung von Professor David Baldus von der Universität Iowa, vielleicht die bislang umfangreichste Untersuchung des Einflusses der Rasse auf das amerikanische Justizsystem, ergab, daß Angeklagte, denen Mord an einem Weißen zur Last gelegt wurde, mehr als viermal so häufig zum Tod verurteilt wurden wie des Mordes an einem Schwarzen Angeklagte. Waren die Angeklagten selbst schwarz, war die Wahrscheinlichkeit ihrer Hinrichtung sogar noch höher.

Clarence Brandley, der schwarze Hausmeister einer High School in Texas, und sein weißer Kollege fanden 1980 die Leiche eines vermißten, fünfzehnjährigen Schulmädchens. Beim Verhör durch die Polizei sagte man ihnen: "einer von euch beiden wird dafür hängen.". Mit Blick auf Brandley sagte der Beamte: "Du bist der Nigger, du bist auserwählt". In einem geradezu klassischen Fall von Schnellverfahren wurde Brandley angeklagt, für schuldig befunden, und zum Tode verurteilt. Die Beweise gegen ihn waren dürftig, andere Spuren wurden von der Polizei ignoriert, und die Atmosphäre im Gerichtssaal stank geradezu nach Rassismus. Brandley wurde erst 1990 freigelassen. [DW]

Stellt man alle tatsächlich relevanten Kosten zusammen, "ist die Todesstrafe weder heutzutage, noch war sie es jemals, eine ökonomischere Alternative zur lebenslänglichen Haft." [SW47]

Darüber hinaus ist in jenen Bundesstaaten der USA, die die Todesstrafe anwenden, keineswegs eine geringere Verbrechensrate zu verzeichnen als in den übrigen Staaten. In den achtziger Jahren lag die Mordrate in US-Staaten mit Todesstrafe bei jährlich 7,5 vorsätzlichen Morden je 100 000 Einwohner, in Staaten, in denen die Todesstrafe abgeschafft war, kam der Durchschnitt auf 7,4. [BP]
Auf der Straße erschossen zu werden gehört zu den häufigsten Todesursachen für amerikanische Teenager. Obwohl jedoch die meisten europäischen Nationen die Todesstrafe seit Jahrzehnten abgeschafft haben, gibt es in den meisten Städten Europas kaum einen Ort, an dem man sich nicht mehr oder weniger sicher aufhalten kann, selbst nachts, zumindest wenn man es mit amerikanischen Metropolen vergleicht.

Dieser bizarre Gegensatz läßt sich überhaupt nicht erklären, wenn man den für europäische Augen unverständlichen Einfluß übersieht, den in den USA die Religion - besonders die christliche - auf politische Entscheidungen noch immer ausübt. Wie erst kürzlich Umfragen zeigten, glaubt ein Drittel der amerikanischen Bürger, daß die Bibel wahr ist, Wort für Wort. Es dürfte kaum Zufall sein, daß die US-Staaten mit der höchsten Anzahl von Hinrichtungen - ein Gebiet, das von Aktivisten gegen die Todesstrafe als "Todesgürtel" (death belt) bezeichnet wird - mehr oder weniger mit dem kongruent ist, was andere den "Bibelgürtel" nennen.

Der elektrische Stuhl war in diesem Jahrhundert die häufigste Hinrichtungsmethode in den USA. Der Delinquent wird an diesen Stuhl geschnallt und man befestigt Elektroden an den Beinen und seinem Kopf. Wenn der Stom eingeschaltet wird, verkrampft sich der Körper, zuckt hin und her, je nachdem die Spannung steigt und fällt. Häufig steigt Rauch vom Kopf des Verurteilten auf (die lederne Haube über dem Kopf soll dabei verhindern, daß die Augäpfel aus dem Schädel quellen). Ein übler Geruch nach verbranntem Fleisch liegt im Raum, und oftmals ist die Leiche des Hingerichteten zu heiß, um angefaßt zu werden. Niemand weiß, wie lange der Delinquent bei Bewußtsein ist. Ein Augenzeuge beschrieb 1983 die Hinrichtung von John Evans in Alabama:

Die neueste Methode, die Todesstrafe zu vollziehen, die breits fast zwei Dutzend Staaten gesetzlich eingeführt haben, ist die Giftspritze, die erstmals 1977 in Oklahoma, seit 1982 in Texas verwendet wurde. Es ist leicht, die "Humanität" und Effizienz dieses Verfahrens zu überschätzen. Niemand kann sicher sein, daß es wirklich schmerzlos ist. Wie das Apellationsgericht in Alabama festhielt, gibt es

Auch verläuft die Hinrichtung keineswegs immer so glatt wie geplant. 1985 stachen die Behörden wiederholt in die Arme von Stephen Morin: "Man hatte Schwierigkeiten, eine brauchbare Vene zu finden, denn er war ein Drogenabhängiger gewesen." 1988, bei der Exekution von Raymond Landry, "begann ein Schlauch an der Nadel im rechten Arm des Insassen zu lecken, und so spritzte die giftige Mixtur quer durch die Todeskammer in Richtung der Zeugen." [NT]

Der Mann, der für die Konstruktion und Wartung des hierbei verwendeten Hinrichtungsapparats verantwortlich ist, ein gewisser Fred Leuchter, der behauptet, daß in Auschwitz niemals Juden vergast wurden (der sogenannte "Leuchter-Report"), darf deutsches Territorium nicht betreten, da in Deutschland derartige Nazipropaganda als "Auschwitzlüge" strafbar ist.

Bei manchen Menschen scheinen Hinrichtungen allerdings seltsame, abartige Impulse wachzurufen, und als Ventil für sadistische Bedürfnisse zu fungieren. Der Gefängnisdirketor Lewis Lawes beschrieb die vielen Anfragen, die er von Menschen erhielt, die bei Hinrichtungen auf dem elektrischen Stuhl zusehen wollten, und berichtet, als der Posten des Henkers frei wurde: "Ich erhielt mehr als siebenhundert Bewerbungen für den Posten, und viele davon erboten sich sogar, auf das Gehalt zu verzichten." [LL]

Ironischerweise gehören zu den herausragendsten Verfechtern der Todesstrafe in Amerika jene Gruppen von Abtreibungsgegnern, die als "Pro-Lifer" bekannt sind und aus deren Kreisen gelegentlich Terroristen hervorgehen, die auf Klinikpersonal schießen. Wie eine ehemals recht naive kanadische Aktivistin einer solchen Gruppe erinnert,

Nun hat die Ansicht, daß Menschen, die die Bibel lesen und jedes Wort glauben, "bösartige Männern und Frauen" sind, ja durchaus etwas für sich.


Exekution als Gottesdienst

Daß die Todesstrafe in den USA eng mit dem Einfluß des Christentums verknüpft ist, ja, daß eine Hinrichtung geradezu einem religiösen Ritual gleichkommt, zeigt besonders deutlich das nachfolgend in Auszügen wiedergegebene Interview mit dem Polizeibeamten Mike Varnado über die Hinrichtung des Sexualmörders Robert Willie auf dem elektrischen Stuhl (einer der beiden authentischen Fälle, die dem Film "Dead Man Walking" zugrunde liegen).
F: Bedenkt man, wie schrecklich das Verbrechen war, gibt das jemandem das Recht, dem Täter das Leben zu nehmen?

Varnado: Absolut! Absolut! [...] Ich sehe nicht Falsches daran, ihn hinzurichten. Er wird für das bestraft, was er getan hat. [...] Wie schon gesagt, ich habe da mit mir gekämpft. Ich bin Polizeibeamter, nicht ein Mann Gottes. Doch unser Chief Deputy ist Baptistenprediger und er weist mir oft den rechten Weg, und hier hat er mich eindeutig anhand der Bibel, Römer 13, dazu autorisiert. [...]

F: Welche Stelle gibt Ihnen speziell in diesem Fall ein gutes Gefühl in der Frage der Todesstrafe ?

Varnado: [...] ich kämpfe mit mir, wenn ich in der Bibel lese. Ich verstehe wirklich nicht besonders viel davon. Manchmal denke ich ich weiß was da gemeint ist, und wenn ich mit ihm [dem Chief Deputy] gesprochen habe bedeutet es etwas ganz anderes. Aber Römer 13 ist so eindeutig; ich habe zu meiner Frau gesagt, ich glaube Gott hat das so gemacht, damit ich es verstehen kann. Es ist so simpel und klar: "Jede Seele unterwerfe sich den übergeordneten [staatlichen] Mächten; denn es ist keine [staatliche] Macht außer von Gott, und die bestehenden sind von Gott verordnet." [...] Und Gott autorisiert uns nicht einfach dazu, nein, er fordert, daß wir es tun. Es gibt mir einfach ein gutes Gefühl bei der Sache. Und Chief Wood wußte, ich hatte meine Bedenken und wollte in religiöser Hinsicht auf festem Boden stehen, seit ich die Gewaltverbrechen bearbeite [...]

F: Kurz vor der Hinrichtung, was ging da in Ihnen vor?

Varnado: [...] ich habe mich gefragt, was ich empfinden würde. [...]

F: Haben Sie zu Gott gesprochen? Haben Sie gebetet?

Varnado: Ich habe gebetet. Ich meine, die ganze Zeit. Ich bin sicher, ich habe mehr gebetet als sonst jemand im Gebäude. Immer wieder fragte ich Gott ob ich in diesem Verfahren etwas ans Licht bringen sollte, irgendwelche Fragen, die ich dem Staatsanwalt vorlegen konnte, so daß die Sache gestoppt werden würde. Meine Konversation mit Gott war vielleicht die intensivste und tiefste die ich je hatte. Ich fühlte mich fast wie bei der Kommunion. Manchmal wenn ich bete, habe ich nicht das Gefühl daß ich durchkomme zu Gott oder so. Aber diesmal sehr gut. Und die Anwort die ich bekam war, es gibt kein Problem, das ist... das ist eben der Weg den ich gehen muß, und es muß getan werden. Glauben Sie mir, wenn ich nur für eine Minute gedacht hätte, es hätte den geringsten Grund gegeben, die Hinrichtung aufzuhalten, oder wenigstens meine Meinung dazu zu äußern, oder mich anders zu entscheiden, ich hätte es getan [...]

F: Haben Sie damals mit sich gekämpft oder mit Gott?

Varnado: Ich habe damit gerungen: ist die Todesstrafe richtig? Ich hatte einen schrecklichen Kampf mit mir auszustehen. Ich habe in jener Nacht keine Antwort gefunden. Nicht in jener Nacht. Ich war 25 oder 26 als diese Sache passierte, und es war vier Jahre darauf, als man ihn exekutierte. Ja, ich habe mit mir gerungen. Und wie gesagt, ich habe so sehr gebetet, daß es mir geholfen hat. Es hat mein Gewissen ein wenig beruhigt, so daß ich mich ein wenig wohler fühlte bei dem Gedanken ich hätte die Exekution bestimmt aufhalten können, durch den Staatsanwalt, wenn ich Zweifel an der Richtigkeit gehabt hätte. Und Gott hat entschieden, daß damit fortgefahren werden sollte, aufgrund meiner Gebete. Also fühle ich mich, naja, so wohl wie man sich bei einer solchen Sache eben fühlen kann.

[...]

F: Kann jemand wie Robert Willie Vergebung finden?

Varnado: Ich glaube schon, daß da eine gewisse Vergebung möglich ist. Ich denke aber das wäre ein harter Weg für ihn. Ich glaube -- wissen Sie, die haben da eine extra große Bürde zu überwinden, und zu glauben, daß -- naja, daß sie sagen, na schön dann fange ich eben an, an Jesus zu glauben, an Gott, für alle Fälle eben, und ich sehe eine Menge Leute, sobald sie im Gefängnis sind [merken sie] Gott ist der einzige Weg. Aber ich glaube nicht, daß Robert Willie Vergebung fand. Ich hab' ihn da auf dem Podium stehen sehen, er sah uns an und sagte, wenn Sie glauben daß töten falsch ist, was denken Sie denn, was Sie mit mir machen? Und ich sah, wie er Faith's Mutter und Vater [Eltern des Opfers] anblickte, und er sagte ich hoffe, das wird Ihnen eine gewisse Genugtuung verschaffen. Das war eben der Ton. Er hätte um Vergebung bitten sollen, weinen und bitte sagen, und da er das nicht getan hat, ist er bestimmt in der Hölle. Das muß er sein.

[...]

F: Manche Leute sagen, die Regierung tötet diese Leute, und sie sagen, die Regierung hätte nicht das Recht dazu. Wenn sie Regierung sagen, meinen sie Menschen wie Sie.

Varnado: [...] Das klingt so, als wäre das jemand in Washington, D.C., der uns die Befehle dazu erteilt. Das war nicht die Regierung. Es war Mike, es war Bill, und es war Willie J., Herb und andere. Wirklich, ich mag nicht, wenn [Ordensschwester] Helen Prejean das Wort Regierung benutzt. Aber wenn sie es schon tut, soll sie sich eben Römer 13 ansehen. Genau das. Und das wird sie erleichtern.

F: Weshalb?

Varnado: Ich meine das heißt es doch -- das 'sich den übergeordneten staatlichen Mächten unterwerfen.' Es beschreibt genau mit welcher Autorität wir arbeiten. Ich meine, es beschreibt es so klar und eindeutig. Mir geht es gut, seit mein Prediger mir das zeigte, geht es mir wirklich gut. Es ist als ob er [Gott] uns die Anweisung erteilt zu dem was wir tun. Und das ignoriert sie einfach vollständig. Aber wenn sie den Begriff Regierung verwenden will, dann soll sie eben. Aber es war nicht die Regierung.

F: Beschreiben Sie, was es für Sie genau bedeutet hat, jemanden sterben zu sehen. Versetzen Sie sich zurück in jenen Augenblick, was waren Ihre Gedanken?

Varnado: Was ich wirklich dachte vor 12 Jahren -- woran ich mich vor allem erinnere, nachdem wir in jenen Raum betreten hatten, daß ich gebetet habe. Ich will sagen, ich habe gebetet wie nie zuvor. Und ich bin sicher, daß jeder in diesem Raum gebetet hat. Mein Herz wollte fast aus der Brust springen. Und eins der Dinge, die mich an Helen Prejean stören, ich meine, ich sprach ja direkt zu Gott. Ich meine so direkt wie ich eben konnte. Sie kommt rein, steht genau hinter mir, sie fängt an, mein Gebet zu stören. Sie fängt an, laut zu beten. Vergib ihnen, daß sie diesen Menschen morden. Solches Zeug. Nun, das lenkt mich ja wirklich ab von dem was ich tue. Und ich nehme das dieser Dame übel. Es war nicht die rechte Zeit und der rechte Ort für sowas. Wenn sie schon beten wollte, warum nicht auch für uns. Wir brauchten es doch.

Solange jedenfalls die Mehrheit der Befürworter der Todesstrafe in den USA mit der Bibel, mit "Auge um Auge, Zahn um Zahn," argumentieren, haben die USA mit dem Iran und anderen, von Ayatollahs regierten Ländern einiges gemein.

Aktuelle Links

Todesstrafe? Nein Danke!
Abolition Now!
Geogia will Guillotine wiedereinführen.
Geschichte des elektrischen Stuhls


Nachweise

(Alle Übersetzungen aus dem Englischen vom Autor).
[BF]
P.A.Brunt, The Fall of the Roman Republic, Oxford 1988.
[BP]
Bowers and Pierce, Deterrence or Brutalization, in Crime & Delinquency 1980.
[CH]
Chaney v. Heckler, 718 F.2d 1174, 1983.
[DR]
B.M.Montgomery, Save the Unborn, but kill them when they have grown up,
The Death Row Forum, Vol. II, Miami 1996.
[DW]
Davies, White Lies, 1991.
[GA]
U S. Govt. Accounting Office, Limited Data Available on Costs of Death Sentences, 1989.
[GL]
Glass v. Louisiana, 471 U.S. 1080, 1985.
[LL]
L.Lawes, Life and Death in Sing Sing 1928.
[MC]
J.McCabe, The History of Torture, Reprint Austin, 1982.
[MH]
Miami Herald, July 10, 1988.
[NT]
The New York Times, December 14, 1988, p. A29.
[PH]
H.Potter, Hanging in Judgment, New York 1993.
[RP]
A.Rousselle, Porneia. On desire and the Body in Antiquity, Oxford: Blackwell 1988.
[SW]
Spangenberg and Walsh, in: Loyola of Los Angeles Law Review, 1989.
[TJ]
Teeters, in: Journal of the Lancaster County Historical Society, 1960.

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