Wie gläubig sind die Deutschen wirklich?

 

Umfrage: 56,8 Prozent der Deutschen glauben an einen Gott

Hamburg, 17.6.97 (KNA) 56,8 Prozent der Deutschen glauben laut einer repräsentativen Umfrage an einen Gott. In den neuen Bundesländern bejahe nur jeder vierte diese Frage. Das ergab eine Emnid-Studie im Auftrag der Wochenzeitung "Das Sonntagsblatt". In der Umfrage mit dem Titel "Was glauben die Deutschen" hätten selbst 26 Prozent der evangelischen Christen und 16 Prozent der Katholiken gesagt, sie glaubten nicht an einen Gott.

Bei der Frage, was man sich unter göttlicher Kraft vorzustellen habe, hätten sehr allgemeine Bilder überwogen, heißt es weiter. Die Antwort "Gott ist in der Natur" hätten 48,5 Prozent geäußert, und 43,9 Prozent hätten gesagt, "Gott ist eine universale Kraft". Die christliche Vorstellung von Gott als persönlichem Gegenüber sei in Deutschland mit 17,3 Prozent in der Minderheitenposition. Auf die Frage, wie Gott sich zur Welt verhalte, hätten 44,9 Prozent gesagt, er zeige sich im Handeln der Menschen. Jeder dritte vermutet laut Umfrage, er schaue dem Weltgeschehen tatenlos zu. Nur 21,4 Prozent hätten ihm eine aktive Rolle zugewiesen. Das Interesse an religiösen und ähnlichen Fragen ist laut der Umfrage groß. In der Liste der die Bevölkerung interessierenden Themen seien Astrologie und Sterne mit 43,8 Prozent Spitzenreiter, gefolgt von Schicksal und Vorbestimmung (39,6 Prozent), Jesus als historischer Figur (37,9 Prozent) und Okkultismus (35 Prozent).

(Katholische Nachrichten Agentur v. 18.6.97, ungekürzte Meldung; Unterstreichungen im Text vom Bund für Geistesfreiheit bfg. Die zitierte Auftraggeberin ist eine inzwischen eingegangene evangelische Zeitung, früher bekannt als Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt. Wäre die Umfrage geschönt, dann also gewiß nicht zum Nachteil der Kirchen.)

 

Die Titelaussage ist irreführend, denn der Anteil der wirklich Gottgläubigen ist wesentlich geringer. Aussagen wie "Gott ist in der Natur", "Gott ist das Universum" oder "Gott ist die Summe von Energie und Materie" könnte auch jeder Agnostiker oder Atheist unterschreiben – mit der Einschränkung, daß Nichtgläubige den Begriff "Gott" in diesem Zusammenhang für mißverständlich halten und gleich von "Natur" oder "Energie und Materie" sprechen. Folgende Konsequenzen sind aber eindeutig:

  1. Selbst wenn die weitestmögliche Auslegung des Gottesbegriffs zugrunde gelegt wird, gibt es um über zehn Prozentpunkte weniger Gottgläubige als Kirchenmitglieder.
  2. Wenn bundesweit nur noch 17,3 Prozent an einen persönlichen Gott glauben (ohne den z.B. das Alte Testament und weite Teile des Neuen Testaments völlig unhaltbar wären), so sind darin auch gläubige Moslems und Juden erfaßt. Der Anteil der "unverkürzt" glaubenden Christen liegt unter einem Sechstel. Eine Umfrage von 1999 im Auftrag des Focus ergab sogar nur noch einen Anteil von 12 Prozent.
  3. Wie Nachfragen beim "Sonntagsblatt" ergeben haben, gibt es kein einziges Bundesland, in dem der Anteil der an einen persönlichen Gott Glaubenden ein Drittel erreicht. Die Behauptung der CSU, Bayern sei ein "christlich geprägtes Land", deckt sich daher nicht mit der tatsächlichen Einstellung der Bevölkerung.
  4. Dabei bleibt sogar noch außer Betracht, daß für die Bejahung des Christentums der Glaube an den "einen" Gott eine absolut notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung ist. Als weitere Mindestvoraussetzungen müssen der Glaube an Jesus als Gottessohn (und nicht nur als bedeutenden Menschen), an die göttliche Inspiration der Bibel (d.h. an die "Heilige Schrift" als direktes oder mittelbares Wort Gottes) und an eine Unsterblichkeit der Seele (als spezifische Form des Weiterlebens nach dem Tode) hinzukommen.

2002, Der Humanist
Gerhard Ramp