Die Reportage                 [Inhalt]

Der Humanist berichtet über Veranstaltungen und Aktionen


Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

 

Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung

in Osnabrück vom 2.09. - 31.10.99

[Info zur Ausstellung]


Die Ausstellung, die seit mehr als vier Jahren in verschiedenen Städten gezeigt wird, war an vielen Orten von rechtsradikalen Protesten und Anschlägen begleitet. Mit vielen Dokumenten und Fotos hat die Schau wesentlich dazu beigetragen, den Kenntnisstand über das Verhalten der Soldaten der Wehrmacht mit neuen Ergebnissen zu sichern und in der Öffentlichkeit zu verankern. Sie hat mit der Präsentation bislang unbekannter Fotos und deren Behandlung als historische Quelle statt purer Illustration Neuland betreten. Dabei wurden, wie es üblich ist, die Bildlegenden der jeweiligen Archive übernommen.

Aufgrund der Mitarbeit von Zeitzeugen und Wissenschaftlern konnten wichtige Präzisierungen vorgenommen werden. Es kann jetzt die Ermordung politischer Häftlinge durch den NKWD in Tarnopol und Zloczow genauso dokumentiert werden wie der nachfolgende Massenmord an der jüdischen Bevölkerung durch deutsche Besatzungsformationen und ihre einheimischen Helfer. In der Ausstellung wie im Katalog wird dieser neue Kenntnisstand Berücksichtigung finden.

Nun ist in den letzten Tagen der Austellung in fast allen deutschen Presseorganen über die Kritik berichtet worden, die in drei kürzlich publizierten wissenschaftlichen Aufsätzen an der Ausstellung geübt worden ist. Vor allem der Vorwurf der Unseriosität gegenüber den Verantwortlichen wurde erhoben. Der Unterschied zu den bisherigen Vorwürfen besteht darin, dass diesmal die Kritik auch aus Reihen der Historiker kommt. Einige Bilder waren offensichtlich falsch, was aber an der Hauptsache und der Dokumentation nichts ändert.

»Daß die Wehrmacht an Verbrechen, besonders im Gebiet der damaligen Sowjetunion und auf dem Balkan, zum Teil massiv beteiligt war, ist mittlerweile hinreichend belegt, wenngleich auch noch längst nicht flächendeckend erforscht.« So leitet der polnische Wissenschaftler Bogdan Musial, einer der Kritiker, seine Anmerkungen zur Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« in der jüngsten Ausgabe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte ein. Eine ähnliche Feststellung zur Forschungslage treffen die Autoren Krisztián Ungváry und Dieter Schmidt-Neuhaus in der Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht.

Folgendes wird vom Institut zu der Kritik an der Ausstellung gesagt:

  1. Wissenschaft ist immer auch Debatte; wissenschaftliche Fortschritte sind nur durch Kritik und Diskussion zu erreichen. Das Institut begrüßt darum die durch die Kritik an der von ihm erarbeiteten Ausstellung angestoßene Debatte - die Vorwürfe mögen im Einzelfall auch schmerzen.

  2. Das Institut hat von Anfang an die Ausstellung mit Veranstaltungen begleitet, die dazu dienen sollten, ihre Thesen zu diskutieren; bereits der zur Eröffnung publizierte Begleitband enthält unterschiedliche Deutungen der Ereignisse, nicht zuletzt der Motivation der fotografierenden Soldaten. Insbesondere wird auch auf die gemeinsam mit dem Bundesarchiv veranstaltete Tagung »Das Foto als historische Quelle« vom Mai dieses Jahres verwiesen. Es ist weiterhin - und nach der Kritik in der Presse um so mehr - daran gelegen, diese Diskussionen voranzutreiben.

  3. Den für die Ausstellung Verantwortlichen ist von Beginn an klar gewesen, daß es bei Bilddokumenten - zumal solchen der hier verwendeten Art - zu Kontroversen kommen kann, was Quellenlage, Deutung etc. angeht. Die Verbrechen der Wehrmacht sind auch mit anderen Dokumenten belegt. Wohl aber gehören die Bilder zur Darstellung und Dokumentation des Rekonstruierten. Von der Eröffnung der Ausstellung an haben die Ausstellungsmacher um Kritik und Hinweise gebeten, um die Ausstellung auch dem sich ändernden Forschungsstand anzupassen. So ist es im Laufe der Jahre zu einigen Korrekturen und Änderungen in der Ausstellung und im Katalog gekommen. Dennoch sind die für die Ausstellung Verantwortlichen nicht auf jeden Kritiker angemessen eingegangen. Insbesondere gilt dies für Bogdan Musial. Dies wird ausdrücklich bedauert.

  4. Es werden die falsch zugeordneten Fotos sowie solche mit unsicheren Zuschreibungen aus der Ausstellung entfernt und Bildunterschriften berichtigt.

  5. Das Institut und der Verein möchten – sobald wie möglich – ein wissenschaftliches Gremium bilden, das die Bilder und Dokumente der Ausstellung überprüft sowie die jetzt aufgeworfenen Forschungsperspektiven weiter diskutiert. Zu diesem Gremium werden selbstverständlich die wissenschaftlichen Kritiker eingeladen. Die Ergebnisse der Arbeit dieses Gremiums werden kontinuierlich veröffentlicht.

  6. Zu den Vorwürfen im Einzelnen:

  1. Der Aufsatz von Bogdan Musial thematisiert einige Fotos aus Ausstellung und Ausstellungskatalog. Bei zwei Fotos ist die Kritik berechtigt, diese werden entfernt. Fünf Fotos sind bereits aus der Ausstellung entfernt bzw. korrigiert worden.

  2. Auch Bogdan Musial geht von Verbrechen der Wehrmacht aus. Allerdings wirft er der Ausstellung vor, »Opfer der Sowjets [wurden] zu Opfern der Wehrmacht gemacht.« Das sei nicht der Fall, meinen die Aussteller. Wo es hingegen sicher ist, dass auf Fotos in der Ausstellung nur Opfer des NKWD zu sehen sind, seien diese Fotos entfernt worden bzw. werden entfernt..

  3. Bei den von Dieter Schmidt-Neuhaus kritisierten Bildern handelt es sich um vier Fotos zu Tarnopol. Eines ist in der Interpretation unstrittig. Die Auseinandersetzung um die Deutung der drei übrigen Fotos zu Tätern und Opfern zeigt die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Diskussion gerade zu Bilddokumenten.

  4. Zu der Kritik von Krisztián Ungváry ist generell zu sagen, dass seine These, innerhalb der Wehrmacht seien allein Feldgendarmerie und Geheime Feldpolizei für Exekutionen zuständig gewesen (und diese Truppenteile hätten 1% der Wehrmacht ausgemacht) im Widerspruch zur anerkannten Forschung (vgl. Krausnick/Wilhelm, Messerschmidt) steht. Das ändert aber nichts daran, dass das Institut seiner Kritik an einer Fotoserie und einem Foto folgt und sie aus der Ausstellung entfernt. Die Kritik an sieben weiteren Fotos bzw. Fällen erscheint dem Institut allerdings als nicht stichhaltig. Einige weitere Fotos bedürfen auf Grund der Kritik der Überprüfung.

  1. Das Institut hat immer wieder betont, daß sie von Verbrechen der Wehrmacht dann sprechen, wenn die Verbrechen in den Verantwortungsbereich der Wehrmacht fallen, sei es, dass sie von der Wehrmacht ohne Beteiligung anderer durchgeführt worden sind, sei es, dass Wehrmachtseinheiten oder -angehörige als Mittäter bei Verbrechen von SS, SD etc. mitgewirkt haben, sei es, daß die Verbrechen von nicht der Wehrmacht angehörigen Einheiten, die aber unter dem Kommando der Wehrmacht standen, verübt worden sind. Bei der Kritik von Krisztián Ungváry geht es vor allem um eine Kritik an dieser Position. Der Verfasser will als »Verbrechen der Wehrmacht« nur solche Verbrechen gelten lassen, die direkt und nur von Wehrmachtsangehörigen verübt worden sind - und als Fotodokumente nur solche, die Täter bei der Tat zeigen. Auf diese Weise kommt er zu der Behauptung, nur 10% der Ausstellungsfotos zeigten Verbrechen der Wehrmacht bzw. von Wehrmachtsangehörigen. Demgegenüber geht es der Ausstellung um die Dokumentation der institutionellen Verantwortung und Mitverantwortung der Organisation Wehrmacht für den Genozid an der jüdischen Bevölkerung auf dem Balkan und in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion, die Massenmorde unter der nichtjüdischen Zivilbevölkerung sowie an der Ermordung von Millionen sowjetischer Kriegsgefangener.

Um die genannten Kritikpunkte an der Ausstellung nun ausführlich untersuchen zu können, hat nun der Leiter des Hamburger Istituts, Jan Phillip Reemtsma, in einer Pressekonferenz am 4. November 1999 bekanntgegeben, dass die Wehrmachtsausstellung mindestens drei Monate nicht zu sehen sein wird. Ein unabhängiges Gremium von Wissenschaftlern soll die Dokumentation überprüfen und überarbeiten, darunter der Kritiker Musial, mit dem der Streit mittlerweile beigelegt sei.

Reemtsma rechnet damit, dass danach die Ausstellung wieder gezeigt wird. Reemtsma: "Der Glaubwürdigkeitsverlust ist nicht rückgängig zu machen durch Nacharbeiten im Detail. Die Fehler müssen korrigiert werden". Er hält allerdings weiter an der Grundthese der Ausstellung, an der Mitverantwortung der Wehrmacht für die Vernichtung der jüdischen und nichtjüdischen Bevölkerung im Osten, fest.

[Quellen: Presseerklärungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung vom 20. und 27.10.99; Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 05.11.99]


Wir werden Sie in unseren Veranstaltungshinweisen über die nächsten Ausstellungstermine und -orte informieren. Die geplanten Ausstellungen in Braunschweig und New York fallen vorerst aus.


Copyright © November 1999  Der Humanist
erstellt von Heike Jackler