Wissenschaft: Philosophie - Arthur Schopenhauer |
Kurzbiographie
Arthur Schopenhauer wurde am 22.02.1788 als Sohn eines wohlabenden Kaufmanns und der Schriftstellerin Johanna Schopenhauer in Danzig geboren. 1793 zog die Familie nach Hamburg um, wo Schopenhauer Kaufmann werden sollte. Nach dem Tode seines Vaters brach er die Kaufmannsausbildung ab und studierte ab 1809 zunächst Naturwissenschaften, dann hauptsächlich Philosophie in Göttingen, ab 1811 in Berlin. Nach einer Italienreise (1818) wurde er 1820 Privatdozent in Berlin und siedelte wegen der Cholera-Epidemie 1831 nach Frankfurt um, wo er als Privatgelehrter lebte. Arthur Schopenhauer starb am 21.09.1860 in Frankfurt am Main.
Ausgewählte Texte aus dem Werk Schopenhauers:
Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich an einem kalten Wintertag recht nahe zusammen, um, durch die gegenseitige Wärme, sich vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln; welches sie dann wieder von einander entfernte. Wann nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusammen brachte, wiederholte sich jenes zweite Übel, so daß sie zwischen beiden Leiden hin und her geworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung von einander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten. - So treibt das Bedürfnis der Gesellschaft. aus der Leere und Monotonie des eigenen Innern entsprungen, die Menschen zueinander; aber ihre vielen widerwärtigen Eigenschaften und unerträglichen Fehler stoßen sie wieder von einander ab Die mittlere Entfernung, die sie endlich herausfinden, und bei welcher ein Beisammensein bestehen kann, ist die Höflichkeit und feine Sitte. Dem, der sich nicht in dieser Entfernung hält, ruft man in England zu: keep your distance! - Vermöge derselben wird zwar das Bedürfnis gegenseitiger Erwärmung nur unvollkommen befriedigt, dafür aber der Stich der Stacheln nicht empfunden. -
Wer jedoch viel eigene, innere Wärme hat, bleibt lieber aus der Gesellschaft weg, um keine Beschwerde zu geben noch zu empfangen.
Um über dasselbe gerecht zu
urtheilen, muß man auch betrachten was vor ihm dawar und von ihm
verdrängt wurde. Zuvörderst das Griechisch-Römische Heidenthum:
als Volks-Metaphysik genommen, eine höchst unbedeutende
Erscheinung, ohne eigentliche, bestimmte Dogmatik, ohne
entschieden ausgesprochene Ethik, ja, ohne wahre moralische
Tendenz und ohne heilige Urkunden; so daß es kaum den Namen
einer Religion verdient, vielmehr nur ein Spiel der Phantasie und
ein Machwerk der Dichter aus Volksmährchen ist, zum besten Teil
eine augenfällige Personifikation der Naturmächte. Man kann
sich kaum denken, daß es mit dieser kindischen Religion jemals Männern
Ernst gewesen sei: dennoch zeugen hievon manche Stellen der Alten,
vorzüglich das erste Buch des Valerius Maximus. In spätern
Zeiten und bei fortgeschrittener Philosophie war dieser Ernst
freilich verschwunden; wodurch es dem Christenthum möglich wurde,
jene Staats-Religion, trotz ihrer äußern Stützen, zu verdrängen.
Daß jedoch dieselbe, sogar in der besten Griechischen Zeit,
keineswegs mit dem Ernst genommen worden sei, wie in der neuern
die Christliche, oder in Asien die Buddhaistische, Brahmanische,
oder auch die Mohammedanische, daß mithin der Polytheismus der
Alten etwas ganz Anderes gewesen sei, als der bloße Plural des
Monotheismus, bezeugen genugsam die Frösche des Aristophanes, in
denen Dionysos als der erbärmlichste Geck und Hasenfuß, der
sich nur denken läßt, auftritt und dem Spotte Preis gegeben
wird: und Das wurde an seinem eigenen Feste, den Dionysien, öffentlich
dargestellt. - Das Zweite, was das Christenthum zu verdrängen
hatte, war das Judenthum, dessen plumpes Dogma durch das
christliche sublimirt und stillschweigend allegorisirt wurde.
Ueberhaupt ist das Christenthum durchaus allegorischer Natur:
denn was man in profanen Dingen Allegorie nennt heißt bei
Religionen Mysterium. Man muß zugeben, daß das Christenthum,
nicht nur in der MORAL, wo die Lehren von der Caritas, Versöhnlichkeit,
Feindesliebe, Resignation und Verleugnung des eignen Willens ihm,
- versteht sich, im Occident, - ausschließich eigen sind,
sondern selbst in der DOGMATIK, jenen beiden frühern Religionen weit überlegen
ist. Was aber läßt dem großen Haufen, welcher die Wahrheit
unmittelbar zu fassen denn doch unfähig ist, sich Besseres geben,
als eine schöne Allegorie, die als Leitfaden für das praktische
Leben und als Anker des Trostes und der Hoffnung vollkommen
ausreicht. Einer solchen aber ist eine kleine Beimischung von
Absurdität ein nothwendiges Ingrediens, indem es zur Andeutung
ihrer allegorischen Natur dient. Versteht man die Christliche
Dogmatik sensu proprio; so behält Voltaire Recht.
Hingegen allegorisch genommen, ist sie ein heiliger Mythos, ein
Vehikel, mittelst dessen dem Volke Wahrheiten beigebracht werden,
die ihm sonst durchaus unerreichbar wären. Man könnte dieselbe
den Arabesken von Raphael, wie auch denen von Runge, vergleichen,
welche das handgreiflich Widernatürliche und Unmögliche
darstellen, aus denen aber dennoch ein tiefer Sinn spricht. Sogar
die Behauptung der Kirche, daß in den Dogmen der Religion die
Vernunft völlig inkompetent, blind und verwerflich sei, besagt
im innersten Grunde Dies, daß diese Dogmen allegorischer Natur
und daher nicht nach dem Maaßstabe, welchen die Vernunft, die
Alles sensu proprio nimmt, allein anlegen kann, zu
beurtheilen seien. Die Absurditäten im Dogma sind eben das Stämpel
und Abzeichen des Allegorischen und Mythischen; obwohl sie, im
vorliegenden Falle, daraus entspringen, daß zwei so heterogene
Lehren, wie die des A.T. und N.T. zu verknüpfen waren. Jene große
Allegorie ist erst allmälig zu Stande gekommen, auf Anlaß äußerer
und zufälliger Umstände, mittelst Auslegung derselben, unter
dem stillen Zuge tief liegender, nicht zum deutlichen Bewußtsein
gebrachter Wahrheit, bis sie vollendet wurde durch AUGUSTINUS, der in
ihren Sinn am tiefsten eindrang und sodann sie als ein
systematisches Ganzes aufzufassen und das Fehlende zu ergänzen
vermochte. Demnach ist erst die Augustinische, auch von Luther
bekräftigte Lehre das vollkommene Christenthum, nicht aber, wie
die heutigen Protestanten, die "Offenbarung" sensu
proprio nehmend und daher auf Ein Individuum beschränkend,
meynen, das Urchristenthum; - wie nicht der Keim, sondern die
Frucht das Genießbare ist. - Jedoch der schlimme Punkt für alle
Religionen bleibt immer, daß sie nicht eingeständlich, sondern
nur versteckterweise, allegorisch seyn dürfen und demnach ihre
Lehren, alles Ernstes, als sensu proprio wahr, vorzutragen
haben; was bei den wesentlich erforderten Absurditäten in
denselben einen fortgesetzten Trug herbeiführt und ein großer
Uebelstand ist. Ja, was noch schlimmer ist, mit der Zeit kommt es
an den Tag, daß sie sensu proprio nicht wahr sind: dann
gehn sie zu Grunde. Insofern wäre es besser, die allegorische
Natur gleich einzugestehn. Allein, wie soll man dem Volke
beibringen, daß etwas zugleich wahr und nicht wahr seyn könne?
Da wir nun aber alle Religionen, mehr oder weniger, von solcher
Beschaffenheit finden; so müssen wir anerkennen, daß dem
Menschengeschlechte das Absurde, in gewissem Grade, angemessen,
ja, ein Lebenselement und die Täuschung ihm unentbehrlich ist; -
wie Dies auch andere Erscheinungen bestätigen.
Ein Beispiel und Beleg zu der oben erwähnten, aus der Verbindung
des A. und N.T. entspringenden Quelle des Absurden, liefert uns,
unter Anderm, die Christliche, von Augustinus, diesem Leitsterne
Luther's, ausgebildete Lehre von der Prädestination und Gnade,
der zufolge Einer vor dem Andern die Gnade eben voraus hat,
welche sonach auf ein, bei der Geburt erhaltenes und fertig auf
die Welt gebrachtes Privilegium, und zwar in der allerwichtigsten
Angelegenheit, hinausläuft. Die Anstößigkeit und Absurdität
hievon entspringt aber bloß aus der Alttestamentlichen
Voraussetzung, daß der Mensch das Werk eines fremden Willens und
von diesem aus dem Nichts hervorgerufen sei. Hingegen erhält, -
im Hinblick darauf, daß die ächten moralischen Vorzüge
wirklich angeboren sind, - die Sache schon eine ganz andere und
vernünftigere Bedeutung, unter der Brahmanischen und
Buddhaistischen Voraussetzung der Metempsychosis, nach welcher
was Einer, bei der Geburt, also aus einer andern Welt, und einem
früheren Leben mitbringt und vor den Andern voraushat, nicht ein
fremdes Gnadengeschenk, sondern die Früchte seiner eigenen, in
jener andern Welt vollbrachten Thaten sind. - An jenes Dogma des
Augustinus schließt sich nun aber gar noch dieses, daß aus der
verderbten und daher der ewigen Verdammniß anheimgefallenen
Masse des Menschengeschlechts nur höchst Wenige, und zwar in
Folge der Gnadenwahl und Prädestination, gerecht befunden und
demnach seelig werden, die Uebrigen aber das verdiente Verderben,
also ewige Höllenquaal, trifft.* - Sensu
proprio genommen wird hier das Dogma empörend. Denn nicht
nur läßt es, vermöge seiner ewigen Höllenstrafen, die
Fehltritte, oder sogar den Unglauben, eines oft kaum zwanzigjährigen
Lebens durch endlose Quaalen büßen; sondern es kommt hinzu, daß
diese fast allgemeine Verdammniß eigentlich Wirkung der Erbsünde
und also nothwendige Folge des ersten Sündenfalls ist. Diesen
nun aber hätte jedenfalls Der vorhersehn müssen, welcher die
Menschen erstlich nicht besser, als sie sind, geschaffen, dann
aber ihnen eine Falle gestellt hatte, in die er wissen mußte, daß
sie gehn würden, da Alles miteinander sein Werk war und ihm
nichts verborgen bleibt. Endlich kommt noch hinzu, daß der Gott,
welcher Nachsicht und Vergebung jeder Schuld, bis zur
Feindesliebe, vorschreibt, keine übt. Denn so betrachtet
erscheint in der That das ganze Geschlecht als zur ewigen Quaal
und Verdammniß geradezu bestimmt und ausdrücklich geschaffen, -
bis auf jene wenigen Ausnahmen, welche, durch die Gnadenwahl,
gerettet werden. Diese aber bei Seite gesetzt, kommt es heraus,
als hätte der liebe Gott die Welt geschaffen, damit der Teufel
sie holen solle; wonach er denn viel besser gethan haben würde,
es seyn zu lassen. - So geht es mit den Dogmen, wenn man sie sensu
proprio nimmt: hingegen sensu allegorico verstanden,
ist alles Dieses noch einer genügenden Auslegung fähig. Zunächst
aber ist, wie gesagt, das Absurde, ja, Empörende dieser Lehre
bloß eine Folge des Jüdischen Theismus, mit seiner Schöpfung
aus nichts und der damit zusammenhängenden, wirklich paradoxen
und anstößigen Verleugnung der natürlichen, gewissermaaßen
von selbst einleuchtenden und daher, mit Ausnahme der Juden, fast
vom gesammten Menschengeschlechte, zu allen Zeiten, angenommenen
Lehre von der Metempsychose. Eben um den hieraus entspringenden
kolossalen Uebelstand zu beseitigen und das Empörende des Dogma's
zu mildern hat, im 6.Jahrhundert, Papst Gregor 1, sehr weislich,
die Lehre vom Purgatorio, welche im Wesentlichen sich schon beim
Origines findet, ausgebildet und dem Kirchenglauben förmlich
einverleibt, wodurch die Sache sehr gemildert und die
Metempsychose einigermaaßen ersetzt wird; da das Eine wie das
Andere, einen Läuterungsproceß giebt. In derselben Absicht ist
auch die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge (apokatastasis
pantohn) aufgestellt worden, durch welche, im letzten Akte
der Weltkomödie, sogar die Sünder, sammt und sonders, in
integrum restituirt werden. - Bloß die Protestanten, in
ihrem starren Bibelglauben, haben sich die ewigen Höllenstrafen
nicht nehmen lassen. Wohl bekomm's, - könnte sagen wer boshaft wäre:
allein das Tröstliche dabei ist, daß sie eben auch nicht daran
glauben, sondern die Sache einstweilen auf sich beruhen lassen,
in ihrem Herzen denkend: nun, es wird ja wohl so schlimm nicht
werden.
Die an sich richtige Augustinische Auffassung, von der übergroßen
Zahl der Sünder und der äußerst kleinen der die ewige
Seeligkeit Verdienenden, findet sich auch im Brahmanismus und
Buddhaismus wieder, giebt aber daselbst, in Folge der
Metempsychose, keinen Anstoß, indem zwar der erstere die
endliche Erlösung (final emancipation) und der letztere
das NIRWANA (Beides das Aequivalent unsrer ewigen Seeligkeit)
auch nur höchst Wenigen zuerkennt, welche jedoch nicht etwan
dazu privilegirt, sondern mit in früheren Leben aufgehäuften
Verdiensten schon auf die Welt gekommen sind und nun auf dem
selben Wege weitergehn. Dabei werden aber alle Uebrigen nicht in
den ewig brennenden Höllenpfuhl gestürzt, sondern nur in die,
ihrem Thun angemessenen Welten versetzt. Wer demnach die Lehrer
dieser Religionen früge, wo und was denn jetzt alle jene
Uebrigen, nicht zur Erlösung Gelangten, seien, Dem würde die
Antwort werden: "siehe um dich, hier und Dies sind sie: dies
ist ihr Tummelplatz, dies ist SANSARA, d.h. die Welt des Verlangens, der Geburt, des
Schmerzes, des Alterns, der Krankheit und des Todes." -
Verstehen wir hingegen das in Rede stehende Augustinische Dogma,
von der so kleinen Zahl der Auserwählten und der so großen der
ewig Verdammten, bloß sensu allegorico, um es im Sinne
unserer Philosophie auszulegen; so stimmt es zu der Wahrheit, daß
allerdings nur Wenige zur Verneinung des Willens, und dadurch zur
Erlösung von dieser Welt gelangen (wie bei den Buddhaisten zur
Nirwana). Was hingegen das Dogma als ewige Verdammniß
hypostasirt, ist eben nur diese unsere Welt: DER fallen jene
Uebrigen anheim. Sie ist schlimm genug: sie ist Hölle, sie ist
Purgatorium.
Aber wahrlich, wenn mich ein Hochasiate früge, was Europa sei;
so müßte ich ihm antworten: es ist der Welttheil, der gänzlich
von dem unerhörten und unglaublichen Wahn besessen ist, daß die
Geburt des Menschen sein absoluter Anfang und er aus dem Nichts
hervorgegangen sei. -Ein anderer, bei dieser Gelegenheit zu erwähnender,
aber nicht weg zu erklärender Grundfehler des Christenthums ist,
daß es widernatürlicherweise den Menschen losgerissen hat von
der THIERWELT, welcher er doch wesentlich angehört, und ihn nun
ganz allein gelten lassen will, die Thiere geradezu als SACHEN betrachtend;
- während Brahmanismus und Buddhaismus, der Wahrheit getreu, die
augenfällige Verwandtschaft des Menschen, wie im Allgemeinen mit
der ganzen Natur, so zunächst und zumeist mit der thierischen,
entschieden anerkennen und ihn stets, durch Metempsychose und
sonst, in enger Verbindung mit der Thierwelt darstellen. Jenen
Grundfehler zu beschönigen, wirklich aber ihn vergrößernd,
finden wir den so erbärmlichen, wie unverschämten, bereits in
meiner Ethik S.244 gerügten Kunstgriff, alle die natürlichen
Verrichtungen, welche die Thiere mit uns gemein haben und welche
die Identität unserer Natur mit der ihrigen zunächst bezeugen,
wie Essen, Trinken, Schwangerschaft, Geburt, Tod, Leichnam u.a.m.
an ihnen durch ganz andere Worte zu bezeichnen, als beim Menschen.
Dies ist wirklich ein niederträchtiger Kniff. Der besagte
Grundfehler nun aber ist eine Folge der Schöpfung aus nichts,
nach welcher der Schöpfer, Kapitel 1 und 9 der Genesis, sämmtliche
Thiere, ganz wie Sachen und ohne alle Empfehlung zu guter
Behandlung, wie sie doch meistens selbst ein Hundeverkäufer,
wenn er sich von seinem Zöglinge trennt, hinzufügt, dem
Menschen übergiebt, damit er über sie HERRSCHE, also mit ihnen
thue was ihm beliebt; worauf er ihn, im zweiten Kapitel, noch
dazu zum ersten Professor der Zoologie bestellt, durch den
Auftrag, ihnen Namen zu geben, die sie fortan führen sollen;
welches eben wieder nur ein Symbol ihrer gänzlichen Abhängigkeit
von ihm, d.h. ihrer Rechtlosigkeit ist. - Heilige Ganga! Mutter
unsers Geschlechts! dergleichen Historien wirken auf mich, wie
Judenpech und foetor Judaicus! Aber leider machen die
Folgen davon sich bis auf den heutigen Tag fühlbar; weil sie auf
das Christenthum übergegangen sind, welchem nachzurühmen, daß
seine Moral die allervollkommenste sei, man eben deshalb ein Mal
aufhören sollte. Sie hat wahrlich eine große und wesentliche
Unvollkommenheit darin, daß sie ihre Vorschriften auf den
Menschen beschränkt und die gesammte Thierwelt rechtlos läßt.
Daher nun, in Beschützung derselben gegen den rohen und gefühllosen,
oft mehr als bestialischen Haufen, die Polizei die Stelle der
Religion vertreten muß und, weil das nicht ausreicht, heut zu
Tage Gesellschaften zum Schutze der Thiere, überall in Europa
und Amerika, sich bilden, welche hingegen im ganzen UNBESCHNITTENEN
Asien die überflüssigste Sache von der Welt seyn würden, als
wo die Religion die Thiere genugsam schützt und sogar sie zum
Gegenstand positiver Wohlthätigkeit macht, deren Früchte wir z.B.
im großen Thierspital zu Surate vor uns haben, in welches zwar
auch Christen, Mohammedaner und Juden ihre kranken Thiere
schicken können, solche aber, nach gelungener Kur, sehr richtig,
nicht wiedererhalten; und ebenfalls wann, bei jedem persönlichen
Glücksfall, jedem günstigen Ausgang, der Brahmanist, oder
Buddhaist nicht etwan ein te Deum plärrt, sondern auf den
Markt geht und Vögel kauft, um vor dem Stadtthore ihre Käfige
zu öffnen; wie man Dies schon in Astrachan, wo Bekenner aller
Religionen zusammentreffen, zu beobachten häufig Gelegenheit hat;
und noch in hundert ähnlichen Dingen. Dagegen sehe man die
himmelschreiende Ruchlosigkeit, mit welcher unser Pöbel gegen
die Thiere verfährt, sie völlig zwecklos und lachend tödtet,
oder verstümmelt, oder martert, und selbst die von ihnen, welche
unmittelbar seine Ernährer sind, seine Pferde, im Alter, auf das
Aeußerste anstrengt, um das letzte Mark aus ihren armen Knochen
zu arbeiten, bis sie unter seinen Streichen erliegen. Das sind
die Folgen jener Installations-Scene im Garten des Paradieses.
Denn dem Pöbel ist nur durch Gewalt, oder durch Religion
beizukommen: hier aber läßt das Christenthum uns schmählich im
Stich. Ich habe, von sicherer Hand, vernommen, daß ein
protestantischer Prediger, von einer Thierschutzgesellschaft
aufgefordert, eine Predigt gegen die Thierquälerei zu halten,
erwidert habe, daß er, bei dem besten Willen, es nicht könne,
weil die Religion ihm keinen Anhalt gebe. Der Mann war ehrlich
und hatte Recht. Der Schutz der Thiere fällt also den ihn
bezweckenden Gesellschaften und der Polizei anheim, die aber
Beide gar wenig vermögen gegen jene allgemeine Ruchlosigkeit des
Pöbels, hier, wo es sich um Wesen handelt, die nicht klagen können,
und wo von hundert Grausamkeiten kaum Eine gesehn wird, zumal da
auch die Strafen zu gelinde sind. In England ist kürzlich Prügelstrafe
vorgeschlagen worden, die mir auch ganz angemessen scheint.
Jedoch, was soll man vom Pöbel erwarten, wenn es Gelehrte und
sogar Zoologen giebt, welche, statt die ihnen so intim bekannte
Identität des Wesentlichen in Mensch und Thier anzuerkennen,
vielmehr bigott und bornirt genug sind, gegen redliche und vernünftige
Kollegen, welche den Menschen in die betreffende Thierklasse
einreihen, oder die große Aehnlichkeit des Schimpansees und
Orangutans mit ihm nachweisen, zu polemisiren und zelotisiren.
Aber wirklich empörend ist es, wenn der so überaus christlich
gesinnte und fromme JUNG-STILLING, in seinen "Scenen aus dem Geisterreich"
Bd.2. Sc.1. S.15, folgendes Gleichniß anbringt: "plötzlich
schrumpfte das Gerippe in eine unbeschreiblich scheußliche,
kleine Zwerggestalt zusammen; so wie eine große Kreuzspinne,
wenn man sie in den Brennpunkt eines Zündglases bringt und nun
das eiterähnliche Blut in der Glut zischt und kocht." Also
eine solche Schandthat hat dieser Mann Gottes verübt, oder als
ruhiger Beobachter mit angesehn, - welches, in diesem Falle, auf
Eins hinausläuft; - ja, er hat so wenig ein Arges daraus, daß
er sie uns beiläufig, ganz unbefangen erzählt! Das sind die
Wirkungen des ersten Kapitels der Genesis und überhaupt der
ganzen Jüdischen Naturauffassung. Bei den Hindu und Buddhaisten
hingegen gilt die Mahavakya (das große Wort) "Tat-twam asi"
(Dies bist du), welches allezeit über jedes Thier auszusprechen
ist, um uns die Identität des innern Wesens in ihm und uns
gegenwärtig zu erhalten, zur Richtschnur unser Thuns. - Geht mir
mit euerer allervollkommensten Moral.
Der AUGUSTINISMUS, mit seinem Dogma von der Erbsünde und was sich daran knüpft, ist, wie schon gesagt, das eigentliche und wohlverstandene Christenthum. Der PELAGIANISMUS hingegen ist das Bemühen, das Christenthum zum plumpen und platten Judenthum und seinem Optimismus zurückzubringen. Den die Kirche beständig theilenden Gegensatz zwischen Augustinismus und Pelagianismus könnte man, als auf seinen letzten Grund, darauf zurückführen, daß Ersterer vom Wesen an sich der Dinge, Letzterer hingegen von der Erscheinung redet, die er jedoch für das Wesen nimmt. Z.B. der Pelagianer leugnet die Erbsünde; da das Kind, welches noch gar nichts gethan hat, unschuldig seyn müsse; - weil er nicht einsieht, daß zwar als Erscheinung das Kind erst anfängt zu seyn, nicht aber als Ding an sich. Eben so steht es mit der Freiheit des Willens, dem Versöhnungstode des Heilands, der Gnade, kurz mit Allem. - In Folge seiner Begreiflichkeit und Plattheit herrscht der Pelagianismus immer vor: mehr als je aber jetzt, als Rationalismus. Gemildert pelagianisch ist die Griechische Kirche, und seit dem Concilio Tridentino ebenfalls die katholische, die sich dadurch in Gegensatz zum Augustinisch und daher mystisch gesinnten Luther, wie auch Kalvin, hat stellen wollen: nicht weniger sind die Jesuiten semipelagianisch. Hingegen sind die Jansenisten augustinisch und ihre Auffassung möchte wohl die ächteste Form des Christenthums seyn. Denn der Protestantismus ist dadurch, daß er das Cölibat und überhaupt die eigentliche Askese, wie auch deren Repräsentanten, die Heiligen, verwarf, zu einem abgestumpften, oder vielmehr abgebrochenen Christenthum geworden, als welchem die Spitze fehlt: es läuft in nichts aus.
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erstellt von Frank Welker