Opus Magnum

von
Christian Barduhn

 

This is the end, beautiful friend
This is the end, my only friend
It hurts to set you free,
but you’ll never follow me
(The Doors: The End)

 

Neil McCauley ist kein gewöhnlicher Verbrecher. Er ist die fleischgewordene Präzision. Perfekter Haarschnitt, perfekt gestutzter Bart, perfekt sitzender Anzug. Mit der gleichen präzisen Perfektion plant er seine Überfälle und Einbrüche. Seine Philosophie ist, sich an nichts zu hängen, daß man nicht nach 30 Sekunden problemlos wieder verlassen kann. Dies gilt für seine kriminellen Aktivitäten wie für sein Privatleben. Doch seine Achillesferse ist die Einsamkeit.
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Lieutenant Vincent Hanna ist kein gewöhnlicher Polizist. Er lebt nur für seinen Beruf. Einer der nie aufgibt, der nie schläft, wenn er die Witterung aufgenommen hat. Sein Privatleben ist das reinste Chaos. Meist registriert er es völlig emotionslos. „You walk through our life dead“, sagt seine dritte Frau Justine resigniert zu ihm. Hanna wird auf McCauley aufmerksam und am Ende stehen sich beide mit gezogenen Waffen gegenüber...
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Michael Mann, einer der wenigen wahren Ästheten innerhalb des gleichgeschalteten Hollywoodsystems, der mit MANHUNTER (Jahre bevor der hype einsetzte) einen der vielschichtigsten Serienkiller-Filme und mit THE LAST OF THE MOHICANS eine geradezu schwindelerregende Studie über Bewegung und Stillstand lieferte, geht mit jedem Film unbeirrt seinen Weg.
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Die Credit-Sequenz beginnt mit einer Einstellung, in der eine S-Bahn ins Bild einfällt. Diese Einstellung ist Teil der Filmgeschichte und wird seit L’ARRIVÉE D’UN TRAIN EN GARE DE CIOTAT der Gebrüder Lumière nahezu unverändert übernommen. Die Verwendung dieser Einstellung ist durchaus als Anspielung zu verstehen, denn Mann war sich bewußt, daß er mit HEAT Filmgeschichte schreiben wird, weil er Robert De Niro und Al Pacino zur ersten gemeinsamen Szene verhalf (beide spielten zwar in Coppolas THE GODFATHER, Part 2, trafen aber nie aufeinander). Die Credits selber werden nach kurzer Zeit unscharf und verschwimmen ins Nichts. Schon die Credit-Sequenz macht deutlich: Es geht ums Verschwinden in diesem Film. Die unscharf werdenden Credits sind auch eine vortreffliche Allegorie für die Optik dieses Films: Dante Spinotti verzichtet fast vollständig auf Tiefenschärfe. Der Hintergrund ist ständig verschwommen, der Ort der Handlung völlig unwichtig. Mit zu den betörendsten Momenten in HEAT zählen jene Szenen, in denen im out of focus-background das fiebrig-pulsierende Flimmern der nächtlichen Großstadt zu sehen ist..
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Wie in seinen früheren Werken arbeitet der Regisseur auch in HEAT wieder mit einer ausgeprägten Farbdramaturgie. Blau und Gelb sind die Primärfarben: Wasser und Feuer. Und immer wieder prallen McCauley und Hanna mit der akkumulierten Energie zweier Naturgewalten aufeinander. Doch noch nie waren die Farbverhältnisse dermaßen ambivalent wie in HEAT. Beide Protagonisten wechseln chamäleonhaft ihre Farben, von Blau nach Gelb, von Gelb nach Blau. „All I am is what I'm going after“, sagt Vincent Hanna einmal. Eine charakteristische Szene: Während eines Bruchs steht McCauley Schmiere und ist in eine gelbliche Aura gehüllt. Aber Hanna kann ihn nur auf einem blaustichigen Monitor beobachten. Die Gleichheit von Jäger und Gejagtem – ein immer wiederkehrendes Motiv in Manns Gesamtwerk – wird in vielen Szenen herausgearbeitet. Beide betonen z.B. ständig, daß sie keine Zeit hätten oder daß ihre Zeit kostbar wäre. Und McCauley beginnt den Spieß umzudrehen, holt Informationen über Hanna ein, als er bemerkt, daß er von der Polizei beobachtet wird.






Ein besonders beeindruckendes Beispiel für Manns atemberaubende Farbästhetik findet sich gegen Ende des Films: McCauley und Eady befinden sich bereits auf einem sicheren Fluchtweg. Sie fahren in einen Tunnel und das gleißende Weiß blendet geradezu. Ein Moment der Reinheit und die Chance für einen Neuanfang. McCauley überlegt lange, ob er sich nicht doch noch an einem Verräter rächen soll. Das Weiß schlägt um in Blau, die Entscheidung ist gefallen und der Tunnel führt geradewegs in die Katastrophe. Manchmal wirft Mann ein rötliches Licht auf die Gesichter von Hanna und McCauley: die Farbe des Lebens und des Todes. Melancholische Hinweise auf das kommende, das blutige Finale.

Die erste Hälfte des Films bewegt sich wie ein Wirbelsturm in konzentrischen Kreisen auf die Begegnung zwischen McCauley und Hanna zu. Und dann: Zwei Welten im Auge des Tornados. Wenn McCauley und Hanna sich endlich gegenübersitzen, unterhalten sie sich über die unerträgliche Schwierigkeit des Seins, über die Einsamkeit, die Liebe; begegnen sich mit lauerndem Respekt und abschätzendem Verständnis für die Profession des Gegners, stellen aber auch unmißverständlich klar, daß sie gegebenenfalls den anderen, ohne zu zögern, erschießen werden. Die Spur der Verwüstung, die der Sturm hinterlassen wird, ist hier bereits abzusehen. Michael Mann ist mit HEAT näher an Sam Peckinpah als jeder andere US-Regisseur.

In den 1990er Jahren gab es eine große filmische Strömung, die viele hervorragende Filmemacher weltweit verarbeitet haben: Die trotz der immer zahlreicheren Kommunikationsmöglichkeiten stetig schneller voranschreitende Kommunikationsunfähigkeit des Menschen. Wem fiele da nicht sofort Wong Kar-wai mit CHUNGKING EXPRESS und FALLEN ANGELS (für mich der beste Film der 1990er Jahre) ein? Da war Tsai Ming-Liangs großartiger VIVE L’AMOUR (Taiwan 1994) und DREI TAGE des litauischen Regisseurs Sarunas Bartas (ich liebe diesen geradezu zerschmetternden Film). Bartas brachte diese Strömung dann an ihren konsequenten Endpunkt und schuf mit WIR SIND WENIGE ein grandioses Drama ganz ohne Dialoge.

Auch Michael Mann greift diese Thematik in HEAT, der 1995 entstand, auf und macht das an Vincent Hanna und seiner frustrierten Ehefrau Justine fest, die an der Kommunikationsunfähigkeit ihres Mannes scheitert. Überhaupt ist HEAT ganz großes Schauspielerkino. Jon Voight als Nate, der hinter den Kulissen alle Fäden in der Hand hält, der Deals vorbereitet und Informationen sammelt. Wortkarg bleibt er im Hintergrund, aber sein Blick – dieser unglaublich traurige Blick – schweift immer wieder in die Ferne und läßt wissen, daß sein Leben längst zur Sackgasse geworden ist. Ihm bleibt nichts, außer weiterzumachen und auf den Tod zu warten. Tom Noonan hat einen wunderbaren kleinen Auftritt. Und Amy Brenneman verschafft mit ihrer Darstellung der scheuen Eady Neil McCauley flüchtige Augenblicke der Glückseligkeit, in denen sich die Einsamkeit der beiden lost souls gegenseitig aufhebt.


HEAT (USA, 1995)
Regie: Michael Mann
Drehbuch: Michael Mann
Kamera: Dante Spinotti
Länge: 164 Minuten (DVD RC2/D)
Darsteller: Robert DeNiro, Al Pacino, Tom Sizemore, Diane Venora, Amy Brenneman, Ashley Judd, Mykelti Williamson, Jon Voight, Wes Studi, Ted Levine, Val Kilmer, Tom Noonan u.a.


© Christian Barduhn, im September 2003    Index    Der Humanist