Krieg ist Frieden
Die Welt muss sich nicht zwischen dem Taliban und der
U.S.-Regierung entscheiden. All die Schönheit der
Welt - Literatur, Musik, Kunst - liegt zwischen diesen
zwei fundamentalistischen Polen.
Arundhati Roy
Outlook. 18. Oktober
von der Znet Startseite
Als die Dunkelheit sich am Sonntag dem 7. Oktober 2001 über Afghanistan
verdichtete, begann die U.S. Regierung, unterstützt von der Internatio-
nalen Koalition gegen Terror (dieser neue, lenkbare Ersatz für die Ver-
einten Nationen), die Luftangriffe auf Afghanistan. TV-Kanäle verharrten
auf computeranimierten Bilder von Cruise Missiles, Stealth Bombern,
Tomahawks, 'bunkerknackende' Raketen, und Mar 82 Bomben. Auf der ganzen
Welt sahen kleine Jungs mit grossaufgerissene Augen zu, und hörten auf
nach neuen Videospielen zu quengeln.
Die UN, nun auf einer ineffektiven Abkürzung herabreduziert, wurde
noch nicht einmal danach gefragt, die Luftangriffe anzuordnen. (Wie
Madeline Albright einst sagte, "Die U.S. handeln multilateral wenn
sie es können, und unilateral wenn sie es müssen.") Die 'Beweise'
gegen die Terroristen wurden unter Freunden in der 'Koalition' ge-
teilt. Nach einer Beratung, verkündeten sie, dass es keine Rolle
spielte, ob die 'Beweise' vor einem Gericht glaubhaft wären oder
nicht. Und so wurden Jahrhunderte der Rechtswissenschaften in einem
einzigen Augenblick, sorglos zerschmettert.
Nichts kann einen Akt des Terrorismus entschuldigen oder rechtfertigen,
ob er nun von religiöse Fundamentalisten verübt wird, von privaten
Milizen, völkische Widerstandsbewegungen - oder von einer anerkannten
Regierung als Vergeltungskrieg verkleidet wird. Die Bombardierung
Afghanistans ist keine Rache für New York und Washington. Sie ist
nur ein weiterer Akt des Terrors gegen die Menschen dieser Welt. Jede
unschuldige Person die darin getötet wird, muss der entsetzlichen
Todeszahl der Zivilisten die in New York und Washington gestorben sind,
hinzugezählt, nicht entgegengehalten werden.
Menschen gewinnen nur selten Kriege, Regierungen verlieren sie nur
selten. Menschen werden getötet. Regierungen mausern und regruppieren
sich, wie eine geköpfte Hydra. Zuerst benutzen sie Flaggen, um den
Verstand der Menschen zu umwickeln und echtes Denken zu ersticken, und
dann als Leichentücher um die verstümmelten Körper der willigen Toten
zu verdecken. Auf beiden Seiten, in Afghanistan wie in Amerika, sind
die Zivilisten nun Geiseln der Handlungen ihrer eigenen Regierungen.
Ohne es zu wissen, haben die einfachen Menschen beider Länder eins
gemeinsam - sie müssen mit dem Phänomen des blinden, unberechenbaren
Terrors leben. Jeder Bombensalve, die auf Afghanistan abgeworfen wird,
folgt eine entsprechenden Eskalation der Massenhysterie in Amerika,
über Anthrax, noch mehr Flugzeugentführungen und andere terroristische
Anschläge.
Es gibt keinen leichten Ausweg aus diesem spiralartigen Morast des
Terrors und der Brutalität, mit der die Welt heute konfrontiert wird.
Es ist Zeit für die menschliche Rasse innezuhalten, und sich in die
tiefen Brunnen des kollektiven Wissens zu vertiefen, sowohl altes
auch als neues. Das, was am 11. September passiert ist, hat die Welt
für immer verändert. Freiheit, Fortschritt, Wohlstand, Technologie,
Krieg - diese Worte haben eine neue Bedeutung angenommen. Regierungen
müssen diese Verwandlung anerkennen, und ihre neuen Aufgaben mit
einem Mindestmass an Ehrlichkeit und Demut angehen. Bedauerlicherweise,
hat es bis jetzt kein Anzeichen irgendeiner inneren Selbstbetrachtung
von den Anführern der Internationalen Koalition gegeben. Oder vom
Taliban.
Als er die Luftangriffe ankündigte, sagte Präsident George Bush, "Wir
sind eine friedliche Nation." Amerikas Lieblingsbotschafter, Tony Blair,
(auch als Erster Minister von Grossbritannien bekannt), klang wie ein
Echo: "Wir sind ein friedliches Volk."
Jetzt wissen wir es also. Schweine sind Pferde. Mädchen sind Jungen.
Krieg ist Frieden.
Bei einer Ansprache aus dem FBI Hauptquartier einige Tage später, sagte
Präsident Bush: "Dies ist unsere Berufung. Dies ist die Berufung der
Vereinigten Staaten von Amerika. Die freieste Nation der Welt. Eine
Nation, die auf fundamentale Werte erbaut ist, die Gewalt ablehnen,
Mörder ablehnt, und das Böse ablehnt. Wir werden nicht ermüden."
Hier ist eine Liste der Länder, gegen die Amerika seit dem 2. Weltkrieg,
Krieg geführt und bombardiert hat: China (1945-46, 1950-53); Korea
(1950-53); Guatemala (1954, 1967-69); Indonesien (1958); Kuba (1959-60);
der Belgische Congo (1964); Peru (1965); Laos (1964-73); Vietnam (1961-
73); Kambodscha (1969-70); Grenada (1983); Libyien (1986); El Salvador
(1980-er); Nicaragua (1980.er); Panama (1989), Irak (1991-99), Bosnien
(1995), Sudan (1998); Jugoslawien (1999). Und nun Afghanistan.
Ermüden tut sie ganz sicher nicht, diese Freieste Nation der Welt.
Welche Freiheiten hält sie aufrecht? Innerhalb ihrer Grenzen,
die Freiheit der Meinungsäusserung, der Religion, des Denekns,
des künstlerischen Ausdrucks, der Essgewohnheiten, der sexuellen
Orientierung (nun, bis zu einem gewissen Grad), und viele andere
beispielhafte, wunderbare Dinge. Ausserhalb ihrer Grenzen, die
Freiheit zu dominieren, zu erniedrigen und zu unterwerfen -
gewöhnlich im Dienste der wahren Religion Amerikas, dem 'freien
Markt. Wenn also die U.S. Regierung ein Krieg auf den Namen
'Operation Unendliche Gerechtigkeit', oder 'Operation Andauernde
Freiheit', fühlen wir in der Dritten Welt mehr als nur ein Zittern
der Furcht. Wir wissen nämlich, dass die Unendliche Gerechtigkeit
einiger, Unendliche Ungerechtigkeit für andere bedeutet. Und An-
dauernder Frieden für einige, bedeutet Aushalten der Unterwerfung
für andere.
Die Internationale Koalition gegen Terror, ist zum grössten Teil
eine Kabale der reichsten Länder dieser Erde. Unter sich, produzieren
und verkaufen sie fast die ganzen Waffen der Welt, sie besitzen den
grössten Vorrat an Massenvernichtungswaffen - chemische, biologische
und nukleare. Sie haben die meisten Kriege geführt, sind für die
meisten Völkermordem Unterwerfungen, ethnische Säuberungen und
Menschenrechtsverletzungen der modernen Geschichte verantwortlich,
und haben unzählige Diktatoren und Despoten gesponsert, bewaffnet
und finanziert. Unter sich, haben sie den Kult der Gewalttätigkeit
und des Krieges angebetet und fast vergöttlicht. Trotz all seiner
entsetzlichen Sünden, spielt der Taliban einfach nicht in die selbe
Liga.
Der Taliban erhob sich aus den zerfallenden Überreste aus Geröll,
Heroin und Landminen, nach dem Ende des Kalten Krieges. Seine ältesten
Anführer sind Anfang 40. Viele von ihnen sind entstellt oder ver-
stümmelt, ihnen fehlt ein Auge, ein Arm oder ein Bein. Sie wuchsen
in einer von Krieg vernarbten und verwüsteteten Gesellschaft auf.
Zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten, flossen in
einem Zeitraum von mehr als 20 Jahre, mehr als 45 Milliarden Dollar
an Waffen und Munition in den Afghanistan. Die neuesten Waffen, waren
der einzige Fetzen an Modernität, der in einer durch und durch mittel-
alterliche Gesellschaft eindrang. Kleine Jungen - viele von ihnen
Waisenkinder - die in dieser Zeit aufwuchsen, hatten Kanonen zum
Spielzeug, haben niemals die Sicherheit und den Schutz des Familien-
lebens kennengelernt, niemals die Gesellschaft von Frauen erfahren.
Nun, als Erwachsene und Herrscher, schlägt, steinigt, vergewaltigt
und brutalisiert der Taliban Frauen; sie scheinen nicht zu wissen, was
man sonst mit ihnen machen könnte. Jahre des Krieges, haben sie von
jeder Sanftheit entkleidet, Güte und menschlichem Mitgefühl gegenüber
unempfindlich gemacht. Sie tanzen zum Rhythmus der fallenden Bomben,
die um sie herum herabregnen. Nun haben sie ihre Monströsität gegen
ihre eigene Leute gerichtet.
Bei allem Respekt für Präsident Bush, die Menschen dieser Welt müssen
sich nicht zwischen dem Taliban und der U.S. Regierung entscheiden.
All die Schönheit der menschlichen Zivilisation - unsere Kunst, unsere
Musik, unsere Literatur - liegt zwischen diesen zwei fundamenta-
listischen, ideologischen Pole. Die Chance, dass alle Menschen dieser
Welt Mittelklassenkonsumenten werden können, ist genau so klein wie
die, dass sie alle ein und dieselbe Religion annehmen werden. Es geht
hier nicht so sehr um das Gute gegen das Böse, oder um den Islam gegen
das Christentum, als vielmehr als um Raum. Darüber wie man Diversität
unterbringen kann, wie man den Impuls zur Hegemonie unterdrücken kann -
jede Art von Hegemonie, wirtschaftliche, militärische, linguistische,
religiöse und kulturelle. Jeder Ökologe kann einem sagen, wie gefährlich
und verletzlich eine Monokultur ist. Eine hegemonische Welt ist genau
wie eine Regierung ohne eine gesunde Opposition. Sie entwickelt sich zu
einer Art Diktatur. Das ist so, wie der Welt eine Plastiktüte überzu-
stülpen und sie am Atmen hindern. Irgendwann, wird sie aufgerissen
werden.
Anderthalb Millionen Afghaner, haben in den 20 Jahren des Konfliktes,
der diesem neuen Krieg vorausging, ihr Leben verloren. Afghanistan
wurde zu Geröll reduziert, und nun wird das Geröll weiter zu Staub
zerstampft. Bereits am zweiten Tag der Luftangriffe, kehrten U.S.
Piloten zu ihren Basen zurück, ohne ihre festgesetzte Bombenlast
abgeworfen zu haben. Wie ein Pilot es ausdrückte, bietet Afghanistan
"kein zielreiches Umfeld". Bei einer Pressekonferenz im Pentagon,
wurde U.S. Verteidigungssekretär Donald Rumsfeld gefragt, ob Amerika
die Ziele ausgegangen wären.
"Erstens werden wir Ziele wiederholt treffen," sagte er, "und zweitens
gehen uns die Ziele nicht aus, Afghanistan ist..." Dies wurde mit
schallendem Gelächter im Konferenzraum begrüsst.
Am dritten Tag der Luftangriffe, brüstete sich das U.S. Verteidigungs-
ministerium damit "die Luftoberhoheit über Afghanistan erreicht zu
haben". (Meinten sie damit sie hätten damit beide, oder vielleicht alle
16 afghanische Flugzeuge zerstört?)
Am Boden in Afghanistan, bereitet sich die Nördliche Allianz - der alte
Feind des Talibans, und daher der neueste Freund der Internationalen
Koalition - darauf vor Kabul einzunahmen. (Für die Akten sei es gesagt,
dass das Verbrechensberzeichnis der Nördlichen Allianz sich von der
des Talibans nicht sehr unterscheidet. Aber einstweilen, und weil es
unbequem ist, wir dieses kleine Detail übergangen.) Der sichtbare,
gemässigte "akzeptable" Anführer der Allianz, Ahmed Shah Masood, wurde
in einem selbstmörderischen Bombenanschlag anfang September getötet.
Der Rest der Nördlichen Allianz, ist eine brüchige Konföderation
brutaler Kriegsherren, Ex-Kommunisten und unbeugsame Geistliche.
Es ist eine ungleiche, ethnisch gespaltene Gruppe, von denen einige
bereits in der Vergangenheit von der Macht in Afghanistan gekostet
haben.
Vor den U.S. Luftangriffen, kontrollierte die Nördliche Allianz etwa
5% des geographischen Gebietes von Afghanistan. Nun, mit der Hilfe und
den "Luftschutz" der Koalition, ist sie bereit den Taliban zu stürzen.
Währenddessen haben Talibansoldaten, die unmittelbare Niederlage
wahrnehmend, damit angefangen zur Allianz überzulaufen. So sind die
Kampfmächte damit beschäftigt, Seiten und Uniforme zu wechseln. Aber
bei einem derartig zynischen Unternehmen wie dieses, scheint das kaum
etwas auszumachen. Liebe ist Hass, Norden ist Süden, Frieden ist Krieg.
Unter den globalen Mächten, ist von der "Einsetzung einer repräsenta-
tiven Regierung" die Rede. Oder, andererseits von der "Wiedereinsetzung"
des 89-jährigen, ehemaligen Königs von Afghanistan, Zahir Shah, der
seit 1973 in Rom im Exil gelebt hat. So läuft das Spiel - Saddam Hussein
unterstützen, dann ihn "aus dem Verkehr ziehen"; die Mujahedeen finan-
zieren, dann sie zu Staub bombardieren; Zahir Shah einsetzen und sehen
ob er ein guter Junge sein wird (Ist es möglich eine repräsentative
Regierung "einzusetzen"? Kann man eine Bestellung für Demokratie auf-
geben - mit extra Käse und Peperoni?)
Berichte über zivile Verluste fangen an durchzusickern, über sich
leerende Städte, während die afghanischen Zivilisten zu den Grenzen
strömen, die verschlossen worden sind. Hauptstrassen sind in die
Luft gesprengt und dichtgemacht worden. Jene die mit der Arbeit in
Afghanistan Erfahrung haben, sagen dass ab Anfang November, Nahrungs-
konvoys nicht mehr in der Lage sein werden die Millionen von Afghaner
zu erreichen (7.5. Millionen nach Angaben der U.N), die unmittelbar
davon bedroht sind, im Laufe dieses Winter zu verhungern. Sie sagen,
in den wenigen Tage, die bis zum Einbruch des Winter noch übrig sind,
entweder ein Krieg stattfinden kann, oder ein Versuch Nahrung zu den
Hungrigen zu bringen. Nicht beides.
Als eine Geste der humanitären Hilfe, warf die U.S.-Regierung 37.000
Pakette mit Notrationen über Afghanistan ab. Sie sagt, sie plane einen
Abwurf von insgesamt 5.000.000 Pakette. Das wird trotzdem nicht mehr
als eine einzige Mahlzeit für eine Halbe Million Menschen von den
mehreren Millionen die dringend Nahrung benötigen ausmachen. Hilfsar-
beiter haben dies als eine zynische, gefährliches, public-relations
Veranstaltung verurteilt. Sie sagen, der Abwurf von Nahrungspakette
ist schlimmer als nutzlos. Erstens, weil die Nahrung niemals jene
erreichen wird, die sie wirklich brauchen. Gefährlicherer ist, dass
jene die den Paketten nachrennen Gefahr laufen von Landminen zerrissen
zu werden. Ein tragisches Wettrennen um Almosen.
Nichtsdestotrotz bekamen die Nahrungspakette alleine schon eine
Fotoaktion. Ihre Inhalt wurde in den wichtigen Tageszeitungen
aufgelistet. Sie waren vegetarisch Their contents were listed
in major newspapers. They were vegetarian, wurde uns mitgeteilt,
gemäss des muslimischen Diätgesetzes (!). Jede gelbe, mit einer
amerikanischen Flagge dekorierte Packung, enthielt: Reis, Erdnuss-
butter, Bohnensalat, Erdbeermarmelade, Kekse, Rosinen, Fladenbrot,
eine Apfelfruchtriegel, Gewürze, Streichhölzer, ein Plastikbesteck,
eine Serviette und eine illustrierte Anweisung zur Benutzung.
Nach drei Jahren ständiger Dürre, eine abgeworfene Fluglinienmahlzeit
in Jalalabad! Der Ausmass an kultureller Ignoranz, die Unfähigkeit zu
verstehen was Monate des unaufhörlichen Hungers und erdrückender Armut
wirklich bedeuten, der Versuch der U.S.-Regierung sogar diesen Elend
zu benutzen um ihr Image aufzubessern, spottet jeder Beschreibung.
Drehen wir dieses Szenario für einen Moment mal um. Stellen wir uns
vor wie es wäre, wenn die Taliban Regierung New York City bombardieren
würde, während sie die ganze Zeit über sagen würde, ihr eigentliches
Ziel sei die U.S. Regierung und ihre Politik. Und stellen wir uns vor,
dass der Taliban in den Pausen zwischen den Bombenangriffen, ein paar
Tausend Pakete, mit Fladenbrot und Kebab und einer aufgesteckten afgha-
nischen Flagge abwerfen würde. Könnten es die guten Menschen von New
York jemals über sich bringen der afghanischen Regierung zu verzeihen?
Auch wenn sie hungrig wären, auch wenn sie die Nahrung bräuchten, auch
wenn sie sie essen würden, wie könnten sie jemals die Beleidigung, die
Herablassung vergessen? Rudy Giuliani, der Bürgermeister von New York
City, lehnte ein Geschenk von 10 Millionen Dollar von einem Saudi-
Arabischen Prinzen ab, weil es von einigen freundlichen Worte des Rat-
schlages über die amerikanische Politik im Mittleren Osten begleitet
wurde. Ist Stolz ein Luxus auf den nur die Reichen Anspruch haben?
Weit davon entfernt sie auszulöschen, ist es die Anfachung dieser
Art von Wut, die Terrorismus kreiert. Hass und Vergeltung gehen nicht
zurück in die Ecke, nachdem man sie einmal herausgelassen hat. Für
jeden 'Terroristen', oder 'Unterstützer' der getötet wird, werden
hunderte unschuldiger Menschen ebenfalls getötet. Und für jede hundert
Unschuldige die getötet werden, stehen die Chancen gut, das mehrere
künftige Terroristen geschaffen werden.
Wohin wird das alles führen?
Die Rhetorik für einen Augenblick beiseitelassend, bedenken wir, dass
die Welt noch keine akzeptable Definition dafür gefunden hat, was
'Terrorismus' eigentlich ist. Die Terroristen eines Landes sind zu oft
die Friedenskämpfer eines anderen. Am Wurzel des Problems liegt die
tiefsitzende Ambivalenz der Welt gegenüber Gewalt. Sobald Gewalt als
ein legitimes politisches Instrument akzeptiert wird, wird die Moralität
und die politische Akzeptanz von Terroristen (Aufständische oder
Friedenskämpfer) zo strittigem, holprigem Terrain. Die U.S. Regierung
selbst hat zahlreiche Rebellen und Aufständische rund um die Welt
finanziert, bewaffnet und beschützt. Die CIA und die pakistanische ISI,
trainierten und bewaffneten die Mujahedeen, die in den 80 er Jahren
von der Regierung des sowjetisch besetzten Afghanistans als Terroristen
angesehen wurden. Während Präsident Reagen mit ihnen für ein Gruppenfoto
posierte, und sie als das moralische Äquivalent zu den amerikanischen
Gründungsvätern bezeichnete. Heute sponsort Pakistan - Amerikas
Verbündeter in diesem neuen Krieg - Aufständische, die die Grenze
nach Kashmir in Indien überschreiten. Pakistan lobt sie als 'Friedens-
kämpfer', Indien nennt sie 'Terroristen'. Indien selbst denunziert
Länder die Terrorismus sponsern und begünstigen, aber die indische
Armee hat in der Vergangenheit separatistische tamilische Rebellen
ausgebildet, die ein Heimatland in Sri Lanka forderten - die LTTE, die
für unzählige blutige Akte des Terrorismus verantwortlich sind. (Genau
wie die CIA die Mujahedeen aufgegeben hat, nachdem sie ihren Zweck
erfüllt hatten, kehrte Indien der LTTE aus hunderten politischen
Gründen, abrupt den Rücken zu. Es war ein zorniger LTTE Selbstmord-
bomber, der den ehemaligen indischen Ersten Minister Rajiv Gandhi in
1991 ermordete.)
Regierungen und Politiker müssen begreifen, dass die Manipulation
dieser gewaltigen, rasenden menschlichen Empfindungen für ihre eigene
engstirnige Ziele, zwar unmittelbare Resultate erzielen kann, die aber
letztendlich und unvermeidlich, verheerende Konsequenzen haben. Das
Schüren und die Ausbeutung religiöser Gefühle aus politischen Gründen,
ist das gefährlichste Vermächtnis, das Regierungen oder Politiker
irgendeinem Volk hinterlassen können - einschliesslich ihres eigenen.
Menschen, die in von religiöser oder kommunaler Bigotterie verwüsteten
Gesellschaften leben, wissen, dass alle religiöse Texte - von der
Bibel bis zur Bhagwad Gita - so zurechtgemünzt und missinterpretiert
werden können, um alles zu rechtfertigen, vom nuklearen Krieg zum
Völkermord und Wirtschaftsglobalisierung.
Das hier soll nicht andeuten, dass die Terroristen, die die Greueltaten
des 11. Septembers verübt haben nicht gejagt und ihrer gerechten Strafe
zugeführt werden müssen. Das müssen sie. Aber ist Krieg der beste Weg um
sie zu fassen? Wird das Verbrennen des Heuhaufens dabei finden den Nadel
zu finden? Oder wird es den Zorn zur Eskalation bringen und die Welt für
uns alle in eine Hölle verwandeln?
Wie viele Menschen kann man letzten Endes ausspionieren, wie viele
Bankkontos einfrieren, wie viele Unterhaltungen belauschen, wie viele
E-mails abfangen, wie viele Briefe öffnen, wie viele Telefone anzapfen?
Sogar noch vor dem 11. September, hatte die CIA mehr Informationen
zusammengesammelt als auszuarbeiten möglich wäre. (Manchmal können zu
viele Daten den Nachrichtendienst behindern - kein Wunder, dass die
U.S. Spionagesatelliten die Vorbereitungen, die den indischen Nuklear-
tests in 1998 vorangingen, vollkommen übersehen haben)
Die blossen Ausmasse der Überwachung, wird zu einem logistischen,
ethischen und zivilrechtlichen Alptraum werden. Es wird alle schlichtweg
in den Wahnsinn treiben. Und Freiheit - dieses kostbarste aller Dinge -
wird das erste Opfer sein. Sie ist bereits verwundet worden und ist
gefährlich nahe am Verbluten.
Regierungen rund um die Welt benutzen auf zynischer Weise das vor-
herrschende Paranoia, um ihre eigenen Interessen zu fördern. Alle
Arten von unberechenbare politische Kräfte werden entfesselt. In
Indien wurden zum Beispiel Angehörige des Indischen Volkswider-
standsforum, die Antikriegs- und Anti-U.S. Pamphlete verteilten,
eingesperrt. Sogar der Drucker der Flugbläter wurde verhaftet. Die
rechtsgerichtete Regierung (die hinduistische Extremistengruppen
wie die Vishwa Hindu Parishad und die Bajrang Dal beschützt) hat
die Indische Islamische Studentenbewegung verboten, und versucht
ein Antiterrorgesetz zu reaktivieren, das zurückgezogen worden war,
nachdem die Menschenrechtskommission berichtet hatte, dass es mehr
missbraucht als gebraucht worden ist. Millionen indischer Bürger
sind Muslime. Ist man durch ihre Entfremdung irgendetwas zu gewinnen?
Jeden Tag an dem dieser Krieg weitergeht, werden tobende Emotionen
in die Welt freigesetzt. Die internationale Presse hat wenig bis gar
kein unabhängiger Zugang zum Kriegsgebiet. Auf jeden Fall, haben sich
die Massenmedien, besonders in den Vereinigten Staaten, mehr oder
weniger auf den Rücken gewälzt, und lassen sich mit Presseverlaut-
barungen von Militärs und Regierungsbeamte am Bauch kraulen. Afghanische
Radiostationen wurden in den Bombardierungen zerstört. Der Taliban war
der Presse gegenüber schon immer zutiefst misstrauisch. Im Propaganda-
krieg gibt es keine akkurate Schätzungen darüber wie viele Menschen
getötet worden sind, oder wieviel Zerstörung stattgefunden hat. Mangels
verlässlicher Informationen, verbreiten sich wilde Gerüchte.
Legt euer Ohr in diesen Teil der Welt am Boden, und ihr könnt das
Hämmern, das tödliche Trommeln der knospenden Wut hören. Bitte, bitte,
beendet diesen Krieg jetzt. Es sind genug Menschen gestorben. Die Smart
Missiles sind einfach nicht smart genug. Sie sprengen ganze Warenhäuser
an unterdrücktem Zorn in die Luft.
Präsident George Bush prahlte kürzlich: "Wenn ich Massnahmen ergreife,
werde ich keine 2. Millionen Dollar Rakete auf ein leeres 10 Dollar
Zelt abfeuern und ein Kamel am Hintern treffen. Sie werden entscheidend
sein." Präsident Bush sollte wissen, dass es in Afghanistan keine Ziele
gibt, die das Geld seiner Raketten wert sein werden. Vielleicht sollte
er nur um seine Ausgabenbücher zu balancieren, ein paar billigere
Raketen entwicklen, um sie auf billigere Ziele und billigere Leben in
den verarmten Länder der Welt zu verwenden. Aber das würde wohl für
die Waffenhersteller der Koalition geschäftlich nicht viel Sinn machen.
Es würde zum Beispiel für die Carlyle Gruppe überhaupt keinen Sinn
machen - die von dem Industry Standard als 'das weltgrösste private
Billigkeitsunternehmen' mit einem Budget von 12 Milliarden Dollar
beschrieben wurde. Carlyle investiert im Verteidigungssektor, und
verdient sein Geld mit militärische Konflikte und Waffenausgaben.
Carlyle wird von Männer mit makellosen Zeugnisse geleitet. Der
ehemalige U.S. Verteidigunsminister Frank Carlucci ist Vorsitzender
und leitender Direktor von Carlyle (er war im College ein Zimmergenosse
von Donald Rumfeld). Zu den anderen Partner von Carlyle gehören der
ehemalige U.S. Innensekretär James A. Baker III, George Soros und
Fred Malek (Der Wahlkampagnenleiter von George Bush Senior). Wie
eine amerikanische Zeitung - die Baltimore Chronicle and Sentinel -
schreibt, strebt der frühere Präsident George Bush Senior Investitonen
für die Carlyle Gruppe aus dem asiatischen Markt an. Er hat Berichten
zufolge keine geringen Summen für 'Präsentationen' für potentielle
Regierungskunden ausgegeben.
Hm, hm. Wie man so schön sagt, es liegt alles in der Familie.
Dann gibt es da diesen anderen Zweig des traditionellen Familienge-
schäfts - Erdöl. Erinnern wir uns, dass sowohl Präsident George Bush
(Jr) als auch Vizepräsident Dick Cheney ihr Vermögen in der U.S.
Erdölindustrie gemacht haben.
Turkmenistan, das im Nordwesten Afghanistans angrenzt, besitzt
das drittgrösste Erdgasvorkommen der Welt, und Erdölreserven von
schätzungsweise sechs Milliarden Barrels. Genug, um Experten zufolge
die Energiebedürfnisse der Vereinigten Staaten für die nächsten 20
Jahren (oder die Energieanforderungen eines Entwicklungslandes für
einige Jahrehunderte) abzudecken. Die U.S. haben Erdöl schon immer
als eine Frage der Sicherheit betrachtet, und es mit allen ihnen
notwendig erscheinenden Mitteln beschützt. Wenige von uns bezweifeln,
dass ihre militärische Präsenz am Golf wenig mit ihrer Sorge für die
Menschenrechte zusammenhängt, als mit ihrem strategischen Interesse
am Erdöl.
Das Erdöl und das Gas aus der Kaspischen Region fliesst gegenwärtig
nach Norden auf dem europäischen Markt. Geographisch und politisch,
stellen Russland und der Iran grosse Hindernisse für amerikanische
Interessen dar. 1998 sagte Dick Cheney - damaliger CEO von Halliburton,
einer der wichtigsten Spieler in der Erdölindustrie: "Ich kann mich
keiner Zeit entsinnen, in der sich eine Region so plötzlich als
strategisch signifikant herausgestellt hat, wie der Kaspische Raum. Es
ist als ob die Möglichkeiten über Nacht erschienen wären." Wie wahr.
Seit nunmehr einigen Jahren, hat ein amerikanischer Ölgigant namens
Unocal mit dem Taliban über die Erlaubnis zum Bau einer Ölpipeline
durch Afghanistan nach Pakistan und runter zum Arabischen Meer
Verhandlungen geführt. Von hier aus hofft Unocal zu den lukrativen
'aufkommenden Märkte' in Süd- und Südostasien Zugang zu erlangen.
In Dezember 1997, reiste eine Delegation talibanischer Mullahs nach
Amerika, und traf sich sogar mit Beamten des U.S. State Departments
und Geschäftsführer von Unocal in Houston. Zu dieser Zeit wurde
die Neigungen des Talibans zu öffentliche Hinrichtungen und seine
Behandlung der afghanischen Frauen noch nicht als die Verbrechen
gegen die Menschheit hingestellt die sie heute sind.
Für die nächsten sechs Monate prasselte der Druck hunderter empörten
amerikanischen Frauengruppen auf die Clinton Regierung nieder.
Glücklicherweise schafften sie es das Geschäft zu verhindern. Und
nun kommt die grosse Chance der U.S. Erdölindustrie.
In Amerika werden die Waffenindustrie, die Erdölindustrie, die
wichtigsten Mediennetzwerke, und auch die U.S.-Aussenpolitik von
denselben Geschäftskonzernen kontrolliert. Deshalb wäre es naiv
zu erwarten, dass Fragen zu Waffen, Erdöl und Geschäfte der
Verteidigungsindustrie von den Medien je wirklich angesprochen
werden würden.
Auf jeden Fall, kommen diese leere Phrasen über den 'Krieg der
Zivilisationen' und 'Gut gegen Böse' Diskurs, bei einem besorgten
verwirrten Volk, dessen Stolz gerade verletzt worden ist, dessen
Lieben auf tragische Weise getötet worden sind, dessen Wut frisch
und scharf ist, unweigerlich gut an. Sie werden auf zynischer
Weise von Regierungssprecher wie eine täglich Dosis Vitamine oder
Antidepressiva ausgeteilt. Regelmässige Medikamenteneinnahme sorgt
dafür, dass Amerika weiterhin das Geheimnis bleibt, das es schon
immer gewesen ist - ein seltsam insulares Volk, verwaltet von einer
pathologisch zudringlichen, zügellosen Regierung.
Und was ist mit dem Rest von uns, die stummen Empfänger dieses
Sturmangriffes dessen, was wir als groteske Propaganda erkennen?
Die täglichen Verbraucher der Lügen und der Brutalität, die auf
Erdnussbutter und Erdbeermarmelade geschmiert, genau wie diese
gelben Nahrungspakete auf unseren Verstand abgeworfen werden.
Sollen wir wegsehen und essen, weil wir hungrig sind, oder sollen
wir die grimmige Vorstellung, die in Afghanistan stattfinden,
unverwandt anstarren, bis wir kollektiven Brechreiz kriegen und
mit einer Stimme sagen, dass wir genug hatten?
Während das erste Jahr des neuen Jahrtausends sich dem Ende naht,
fragt man sich - haben wir unser Recht zu träumen verwirkt? Werden
wir jemals wieder in der Lage sein uns wieder Schönheit vorzustellen?
Wird es je wieder möglich sein, sich das langsame, verwunderte Blinzeln
eines neugeborenen Gecko in der Sonne anzusehen, oder dem Murmeltier,
das gerade in unser Ohr geraunt hat hat eine Antwort zuraunen - ohne an
das World Trade Center und Afghanistan zu denken?
*