Die Mär vom Kirchenkampf und andere Legenden
Zum heute üblichen Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus gehört es, an die vielen Menschen zu erinnern, die als Widerstandskämpfer gegen die verbrecherische nationalsozialistische Politik opponierten und von denen viele mit ihrem Leben dafür bezahlen mußten. Besonders Kirchenvertreter und fromme Christen werden in diesem Zusammenhang gerne gerühmt. Doch nur wenige, deren Namen heute genannt werden, leisteten damals tatsächlich Widerstand.
So ist zum Beispiel wenig bekannt, daß die "Bekennende Kirche" lediglich in einer innerkirchlichen Auseinandersetzung zu den "Deutschen Christen" in Opposition stand, etwa in der Frage des Umgangs mit Deutschen jüdischer Herkunft, die Mitglied einer der evangelischen Kirchen waren, also eines Teils ihrer eigenen Klientel. Die nicht getauften Juden standen ohnehin nicht zur Debatte, und es war die "Bekennende Kirche" selbst, die sich gegen den Vorwurf mangelnder Loyalität gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland verwahrte.
Es ist charakteristisch für die evangelische Kirche, daß selbst die zu den "Deutschen Christen" theologisch in Opposition stehenden Pfarrer politisch ebenfalls Parteigänger der Nationalsozialisten sind. Ein Mann wie Wilhelm Niemöller zum Beispiel, der nach 1945 den Widerstand der Bekennenden Kirche in zahlreichen Veröffentlichungen dokumentieren wird, ist Mitglied der NSDAP seit 1923. Als er am 19. Juli 1933 wegen Verstoßes gegen die Parteidisziplin ausgeschlossen wird, weil er sich anläßlich der Kirchenwahlen gegen die "Deutschen Christen" ausgesprochen hat, prozessiert er mit Erfolg: Am 21. September 1934 verfügt ein Parteigericht die Rücknahme des Ausschlusses.
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Über eine Fahnenweihe - darunter die Fahne der Reichsbahn-SS Bielefeld - am 20. Mai 1933 heißt es in der "Westfälischen Zeitung":
"Dann weihte Parteigenosse Pfarrer Niemöller die drei neuen Hakenkreuzfahnen... Mit erhobenen Händen gelobte man dem Wahrzeichen der Einigkeit, der Hakenkreuzflagge, die Treue. Die Fahnenweihe klang aus im Horst-Wessel-Lied."
[KS113f]Auch Niemöllers Bruder Martin bekannte sich uneingeschränkt zu Führer und Reich. Nachdem Deutschland seinen Austritt aus dem Vökerbund erklärt hatte, erhielt Adolf Hitler am 15. Oktober 1933 ein u.a. von Martin Niemöller unterzeichnetes Telegramm mit dem Wortlaut:
"In dieser für Volk und Vaterland entscheidenen Stunde grüßen wir unseren Führer. Wir danken für die mannhafte Tat und das klare Wort, die Deutschlands Ehre wahren. Im Namen von mehr als 2500 evangelischen Pfarrern, die der Glaubensbewegung Deutsche Christen nichtangehören (!), geloben wir treue Gefolgschaft und fürbittendes Gedenken."
[BW4]In den folgenden Jahren veröffentlichte die Bekennende Kirche in ihrem offiziellen Organ, der Zeitschrift "Junge Kirche", unter anderem die folgenden Verlautbarungen:
- "Die Bekennende Kirche zur Saarabstimmung: ... Die Treue gegen unser Volk und Vaterland, die Treue gegen unseren Staat ist Gehorsam gegen Gottes Wort"
3. Jahrgang, 1935, 87.- Zum Jahrestag der Machtübernahme:
"Die Bekenntnisgemeinschaft der in der Deutschen Evangelischen Kirche hat an ihre Anhänger die Aufforderung gerichtet, aus Anlaß des zweiten Jahrestages der Machtübernahme durch den Führer und Reichskanzler am 30. Januar im Gottesdienst des vorhergehenden Sonntags fürbittend des Führers zu gedenken. In ihm soll der Dank für alles, was Gott dem Führer in diesen zwei Jahren zum Wohl unseres Volkes hat gelingen lassen, und die Bitte um weiteres Gelingen unter dem Segen Gottes zum Ausdruck gebracht werden."
3. Jahrgang, 1935, 133.- Zum Geburtstag des Führers 1937
"Es wird keine evangelische Gemeinde und kein evangelisches Haus geben, in dem nicht am 20. April in Fürbitte des Führers und Reichskanzlers gedacht worden ist. Die evangelischen Christen haben Gott, den Herrn, gebeten, das Werk des Führers mit seinem Segen zu lenken..."
3. Jahrgang, 1937, 354.
[BW24f]Nach einer weiteren, heute verbreiteten These haben sich die Kirchen nur zu Anfang des Dritten Reiches "blenden" und zur Unterstützung der Nazis "hinreißen" lassen, um später erst "das wahre Gesicht" der nationalsozialistischen Diktatur zu erkennen. Zu einem wirksamen Widerstand sei es dann zu spät gewesen. Richtig daran ist, daß Kirchenvertreter gegen nationalsozialistische Maßnahmen erst protestierten, als sie erkennen mußten, daß Hitler auch die ihren Kirchen gemachten Versprechungen nicht einzuhalten gedachte. Von einer durch breite Kirchenkreise getragenen Ablehnung des nationalsozialistischen Systems kann aber bis in die letzten Kriegsjahre überhaupt keine Rede sein.
Auch die Bekennende Kirche ließ sich von der Kriegsbegeisterung erfassen. Und obwohl Martin Niemöller 1939 verhaftet worden war, huldigte man weiterhin dem Führer. In der "Jungen Kirche" ließ die Bekennende Kirche die folgenden Erklärungen abdrucken:Am 15. März 1939 besetzen deutsche Truppen rechtswidrig die restliche Tschechoslowakei.
Elf Tage später, am 26. März 1939, unterzeichnen Vertreter der "Nationalkirchlichen Einigung Deutsche Christen" sowie Pfarrer und Laien aus den verschiedensten Kreisen die "Godesberger Erklärung". Darin heißt es: "Indem der Nationalsozialismus jeden politischen Machtanspruch der Kirchen bekämpft und die dem deutschen Volke artgemäße (!) nationalsozialistische Weltanschauung für alle verbindlich macht, führt er das Werk Martin Luthers nach der weltanschaulich - politischen Seite fort und verhilft uns dadurch in religiöser Hinsicht wieder zu einem wahren Verständnis christlichen Glaubens."
[KS138f]Am 1. September 1939 wird Polen überfallen. Stolz meldet Feldbischof Franz Justus Rarkowski, schon bei den ersten Kriegshandlungen seien die katholischen - so wörtlich - "Kriegspfarrer" dabei gewesen. Sehr viele "Welt- und Ordensgeistliche aus allen Diözesen (!) des Reichsgebiets" hätten sich sogar "ohne Genehmigung der zuständigen kirchlichen Vorgesetzten für den Seelsorgedienst im Feldheere" gemeldet.
[KS141f]
- "Kriegsgebet. ... Schütze und schirme die deutsche Kriegsmacht; rüste alle, die ihr angehören, aus mit tapferem Mut... Segne und behüte mit starkem Arm unseren Führer wider alle ihn umringenden Gefahren..."
8. Jahrgang, 1940, 45.- (nach dem Angriff auf Norwegen:)
"Dankbar richten wir unsere Augen auf den Führer und seine Wehrmacht, die wieder einmal im richtigen Augenblick die Gefahr gebannt hat"
8. Jahrgang, 1940, 217.- (Angriff auf Frankreich)
"Gebetsgemeinschaft. ... Wie du der Väter Opfermut und Treue bis in den Tod gesegnet hast, so segne jetzt die Erhebung unseres Volkes zum Schutze des deutschenLandes (!) und zur Abwehr der Feinde, die sich wider uns verbunden haben. Habe Dank für allen Waffenerfolg, den du uns schon geschankt hast; hilf uns weiter, du treuer Gott..."
"Der ungeahnte, gewaltige Siegesmarsch... es ist die Stunde des Frontsoldaten... Die Nation verlangt den letzten Einsatz aller für den Endsieg! Niemand darf in dieser Stunde beiseite stehen."
8. Jahrgang, 1940, 278.- "Die Stunde des Sieges... Das deutsche Volk jubelt dem Führer und seinen Soldaten in tiefer Bewegung zu ... die Welt steht unter den Gesetzen Gottes. Seine Gebote ... sind die großen Gesetze, welche den Lauf der Weltgeschichte bestimmen. Das gilt auch für unsere Gegenwart..."
8. Jahrgang, 1940, 312.- (Der Sieg über Frankreich)
"... ist ein Ruhmesblatt, welches das deutsche Volk wirklich mit Stolz in das Buch der Geschichte einheften kann... Das deutsche Volk beugt sich in dieser Stunde in tiefer Dankbarkeit und Demut vor Gott..."
8. Jahrgang, 1940, 341.[BW25f]
Zu den Folgen der Kriegsereignisse gehörte auch die immer grösser werdende Zahl von Kriegsgefangenen aus osteuropäischen Ländern, die im Gegensatz zu englischen und amerikanischen Gefangenen nicht auf menschenwürdige Behandlung hoffen durften. Und wiederum waren es nicht die grauenhaften Umstände, unter denen sie - zumeist als Zwangsarbeiter - leben mußten, die deutsche Oberhirten dazu nötigte, Stellung zu beziehen.
Der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Adolf Bertram, argumentiert ähnlich wie im Falle der KZ-Häftlinge. Am 17. Januar 1941 schreibt er dem Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, den staatlichen Stellen könne es nicht gleichgültig sein, ob die außerordentlich große Zahl von Polen, die sich im deutschen Lebensraum und unter deutschen Bürgern bewegten, durch bewährte seelsorgerliche Mittel - gemeint ist die Beichte!- "möglichst intensiv zur sittlich-anständigen Haltung beeinflußt werden, oder ob sie mangels hinreichender Seelsorge um so leichter der sittlichen Verwilderung verfallen."
Noch am 5. August 1944 heißt es in einem Schreiben Bertrams an den deutschen Episkopat, die Zahl der wilden Ehen und unehelichen Geburten bei den polnischen Zwangsarbeitern sei gestiegen. "Auch sind sonstige sittliche Mißstände aufgetreten." Kein Wort, daß die Polen zwangsverschleppt sind und wie Arbeitssklaven gehalten werden. Bertram interessiert die Sittlichkeit der Opfer.
[KS141]Diese Haltung erscheint nur konsequent, unterstellt man, daß er sich nach dem Wortlaut seiner Heiligen Schrift zu richten hat; an den Stellen, an denen konkret von Zwangsarbeit die Rede ist, kann von Kritik an dieser Praxis keine Rede sein [BD185-189]. In der Bibel steht freilich das Wort Sklave, in modernen Ausgaben oft ersetzt durch harmloser wirkende Worte wie etwa "Knecht".
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