Der Humanist: Der Menschheit verpflichtet

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 21. Dezember 1999 · Wissenschaft: Sezieren verboten

Patricia Schlesinger
Moderatorin Patricia Schlesinger

"Seriöser Journalismus, das war es, was Patricia Schlesinger schon im Studium als Berufsziel vor Augen hatte." So die Website der ARD-Sendung Panorama. Und so begann Patricia Schlesinger den Panorama-Bericht am letzten Donnerstag [1], der schon im Vorfeld für Aufsehen gesorgt hatte: "Wenn ein Kind stirbt, ist das für die Eltern wohl das Schlimmste, was passieren kann. Wenn diese dann aber noch erfahren müssen, dass man ihr totes Baby wie ein Stück Vieh ausgenommen, dass man Gehirn, Herz und Leber herausoperiert hat, weil man die Organe für Forschungszwecke brauchte, das ist für viele Trauernde weder zu fassen noch zu verkraften."

Es geht um Forschungen, die an Organen von Kindern durchgeführt wurden, die dem mysteriösen plötzlichen Kindstod zum Opfer fielen. Allein 1998 starben daran 602 Kinder, ein Phänomen, das bislang völlig unerklärt ist. Das Bundesministerium für Forschung förderte (Panorama: verantwortete) deshalb endlich eine großangelegte Studie mit 7 Millionen Mark.

Doch Leichen sind für die Wissenschaft (nicht für Journalisten, die sie gerne auch mal auf Seite 1 präsentieren) tabu. Nachdem ein ähnlicher Fall in Großbritannien viel Aufregung verursacht hatte, witterte man offenbar bei Panorama eine heiße Story.

Unter dem Vorwand des Elternschutzes wurde in der Sendung über die Ärzte hergezogen, die toten Kindern Organe zur Untersuchung entnommen hatten – teils ohne das Wissen der Eltern. Tatsache ist aber, daß die Ärzte bei der derzeitigen Gesetzeslage gezwungen sind, so vorzugehen, wenn sie nicht die entsprechende Forschung ganz unterlassen wollen. Welcher Vater oder welche Mutter will schon nach dem Tod des Kindes gefragt werden, was mit den Organen geschehen soll und stimmt dann auch noch freiwillig der Verwendung für Forschungszwecke zu? Unterläßt man aber die entsprechende Forschung, ist nicht der Gesundheitszustand von Leichen, sondern der von richtigen Menschen in Gefahr.

Aus diesem Grunde war es bislang journalistischer Konsens, über die Thematik nicht zu berichten. Denn nicht durch die eigentliche Entnahme der Organe, sondern durch den Bericht darüber wurden die Eltern ja jetzt teilweise in die emotionale Krise gestürzt. Und natürlich wurden als Reaktion auf den reißerischen Bericht sogleich die Richtlinien für die Organentnahme verschärft. Man achtet ja auf die "öffentliche Meinung". Daß dadurch Forschung zur Verhinderung eines sinnlos verfrühten Todes von Kindern be- oder verhindert wird, ist nebensächlich. Schließlich hat jeder Staatsbürger das Recht, nach seinem Ableben alle einstmals lebenswichtigen Organe im eigenen Körper verwesen und verfaulen zu lassen.

Entsprechend emotional ist der Ton der Berichterstattung, die gezielt darauf ausgelegt ist, Ekel und Abscheu beim Zuschauer hervorzurufen. Einige Zitate: "Von ihrem Kind haben sie, ohne es zu wissen, nur die Hülle, den leeren kleinen Körper beerdigt." – "Leiter der Studie ist Professor Bernd Brinkmann. Von Melinda bekam er folgendes:" (Merke: Auch Leichen sind stets mit dem Vornamen anzusprechen.) – "... zumal ihm die Kinder oft wie leere Hüllen vorkommen" – " Auch aus seinem kleinen Körper wurden Organteile entnommen" – "Die Vorstellung, daß Teile von Timo zu wissenschaftlichen Zwecken benutzt wurden, ist der Mutter unerträglich." – "Melinda, Timo und Natalie stehen für viele: Kinder, denen Teile ihres Körpers weggenommen wurden." Dazu stets Einblendungen von Kinderbildern: Ähnlich wird bei der Berichterstattung über Sexualmörder gearbeitet.

Angesichts dieses Tenors fühlt man sich stark an vergangene Zeiten erinnert. "Anatomie, Chirurgie, das Sezieren von Leichen wie das Erkennen von Krankheitsherden [galten] bis ins 18. Jahrhundert hinein als Sünde, ja als todeswürdig." [2]

Das gleiche Dilemma gibt es übrigens bei der Frage der Organspende. Dort ist die Lage so schlimm, daß man zunehmend versucht, Tierorgane zu transplantieren. Die Gefahr, daß hierdurch eine Brücke für die Übertragung von Tierseuchen auf den Menschen geschaffen wird, ist immens – doch (Menschen-)Leichen sind tabu. Die Lösung des Dilemmas wäre einfach: Der gehirntote Körper geht in den Besitz des Staates über, der auf einzelne Organe Forschungs- und Spendeansprüche geltend machen kann, ohne daß Eltern kleiner Kinder hierbei mit Details belästigt werden. Für sie macht es keinen Unterschied, ob sie eine Leiche mit oder ohne Herz, Hirn und Leber beerdigen – wenn nicht irgendwelche Möchtegern-Journalisten glauben, daß da eine geile Geschichte drinsteckt.

1993 wurde ein ähnlicher "Skandal" nicht vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen, sondern von der Bild-Zeitung "aufgeklärt", von der man so etwas wohl erwarten muß. Damals ging es um in Heidelberg durchgeführte Unfalltests, bei denen mit Kinderleichen gearbeitet wurde. Wegen des proportional größeren Gewichtes eines Kinderkopfes werden die Halswirbel von Kindern bei einem Frontalunfall wesentlich stärker belastet als die von Erwachsenen. Etliche Kinder sind deshalb in Unfällen regelrecht geköpft worden. Doch um bessere Kindersitze zu entwickeln, ist Leichenforschung essentiell. Nach dem Bild-Bericht war diese nicht mehr möglich. Kinderleichen zu Testzwecken eingesetzt? Dann doch lieber mehr tote Kinder. Denn Leichen, das sollte inzwischen klar sein, sind tabu. Der Spiegel zitierte damals einen Heidelberger Experten:

"Völlig lächerlich" findet der Berliner Rechtsmediziner Helmut Maxeiner die Aufregung um die fahrenden Leichen von Heidelberg. Bei einer Obduktion oder einer Organtransplantation, so Maxeiner, würden die leblosen Körper schließlich nicht minder gräßlich verunstaltet. "Und bislang hat ja wohl noch keiner gefordert, das Sezieren von Leichen zu verbieten." [3]

Noch nicht. Wenn sich aber die bisherige Entwicklung fortsetzt, werden viele Kinder und Erwachsene sterben, weil lebenswichtige Studien oder Transplantationen nicht durchgeführt werden können. Somit steuern wir auch im Bereich der Medizin langsam aber sicher auf ein postmodernes Mittelalter zu. (EMÖ)

[1] Panorama, ARD, 16.12.1999. WWW: http://www.ndrtv.de/panorama
[2] Hans-Jürgen Wolf: Sünden der Kirche, Hamburg 1998, S. 404.
[3] Alle Informationen über den Heidelberger Fall aus: Der Spiegel 48/1993, S. 210-211: "Rammbock in die Flanke"

 17. Dezember 1999 · Geld: Kirchenaustrittsgebühren: eine willkürliche Erschwernis

Egal, ob in einem Bundesland das Amtsgericht den Kirchenaustritt gebührenfrei beurkundet, oder in einem anderen das Standesamt dafür eine Gebühr von den Austretenden erhebt, in jedem Fall werden staatliche Behörden benötigt, um eine Angelegenheit der Mitgliederverwaltung der Kirchen zu organisieren.

Dies wird notwendig, weil aufgrund des staatlichen Kirchensteuereinzuges der Staat insgesamt mit der Mitgliederverwaltung der Kirche befasst ist. Für den Einzug behält der Staat jedoch von der Kirchensteuer eine (nie als tatsächliche Kosten ermittelte) Gebühr von je nach Bundesland 1-4% ein. Die evangelischen Kirchen haben 1996 einmal bekundet, eine kircheninterne Kirchensteuerverwaltung würde 20% des Kirchensteueraufkommens verschlingen. Insofern liegt - neben anderen Vorteilen für die Kirche - auch im staatlichen Einzug - eine indirekte Subventionierung der Kirchen.

Nach der Logik des Systems müsste der Verwaltungskostenaufwand des Kirchenaustrittes eigentlich von den Behörden nicht bei den Austretenden erhoben, sondern dem Staat von den Kirchen erstattet werden.

Dem ist aber nicht so. Recht willkürlich setzten die einzelnen Länder die Gebühren fest. In Bayern wurde in diesem Jahr die Gebühr von 42,- DM auf stolze 62,- DM erhöht. Für Schüler und Studenten gibt es keine Ermäßigungen. Selbst Sozialhilfeempfänger müssen noch die Hälfte bezahlen - falls der Amtsleiter diesen Nachlass genehmigt.

Humanist-Mitarbeiter Herbert Ferstl wollte es genauer wissen, wie es um die grundgesetzlich verbriefte Religionsfreiheit in Bayern bestellt ist. Seine Erfahrungen beim Nürnberger Standesamt und weitere Informationen über den Kirchenaustritt und seine Gebühren kann man im Text "Kirchenaustrittsgebühren: Wie einige Bundesländer den Austritt erschweren" nachlesen. (H.J.)

 17. Dezember 1999 · Kultur: Veranstaltungshinweise: Update

Wie bereits in unseren News erwähnt, führt das Stadttheater Heilbronn das Theaterstück "Corpus Christi" auf. "Special Guests" bei jedem Auftritt sind Protestierende der Partei Bibeltreuer Christen. Wer also keine Lust auf das sicherlich interessante Schauspiel hat, der mag sich vielleicht das "Theater" vor dem Theater anschauen...

Auch beim Staatstheater Braunschweig kommt es wegen der geplanten Aufführung von "Urbi et Orbi" - Uraufführung am 30. Dezember - zu Kritiken seitens der Katholischen Kirche. Der römisch-katholische Propst und Regionaldechant Wolfram Trojok sagte bei einer Podiumsdiskussion in Braunschweig, die Aufführung sei ein Beispiel dafür, wie der christliche Glaube "ein Stück lächerlich gemacht" werde. Die Sprecherin des Staatstheaters meinte dagegen, das Stück sei vielmehr eine pointiert-witzige Auseinandersetzung mit dem Gedankenspiel: "Was passiert, wenn Jesus auf seinen Stellvertreter auf Erden trifft?" Keineswegs handele es sich um Blasphemie. Also Gotteslästerung. [1]

Mehr Infos zu den Theaterstücken und die genauen Aufführungstermine finden sich in unseren Veranstaltungstipps.(H.J.)

[1] taz, 10.12.99

 15. Dezember 1999 · Politik: US-Bürgerrechtler Jesse Jackson festgenommen

Mitte November 1999 ist im Streit um den Ausschluss einer Gruppe schwarzer Schüler der US-Bürgerrechtler Jesse Jackson festgenommen worden. Die Festnahme erfolgte auf dem Gelände der Eisenhower-Schule in Decatur im US-Bundesstaat Illinois.
Jackson hatte versucht, die ausgeschlossenen Jugendlichen in die Schule zu geleiten, und dabei bewusst seine Festnahme riskiert. Die sechs Schüler waren wegen einer Prügelei bei einem Football-Spiel fuer zwei Jahre des Unterrichts verwiesen worden.

Dabei ist evident, dass mangelhafte Schulbildung die Jugendlichen unweigerlich in die Kriminalität treibt.
Teilnahme an Schulbildung ist ein Recht, welches keinem Menschen genommen werden, und schon gar nicht als Zucht und Strafmittel benutzt werden darf. Selbst Schwerverbrechern sollte das Recht auf schulische Bildung nicht als Strafmassnahme entzogen werden - auch nicht im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. (H.F.)

[Quelle: AFP vom 16.11.1999, und Peter Stoll]

 14. Dezember 1999 · Kultur: Medientipps & mehr: Update

Vorschau der TV- und Radiotipps bis zum 21. Dezember.

Morgen (21.00 Uhr, N 3) unterhalten sich in der Sendung "N 3 aktuell" auf dem Lübecker Weihnachtsmarkt mehrere Gäste über das Thema Weihnachten. Eingeladen sind der evangelische Bischof von Lübeck, der Einzelhandelspräsident, ein psychologisch geschulter 'Seelsorger', und auch um einen Ungläubigen hat man sich bemüht - Rudolf Ladwig, 2. Vorsitzender des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten IBKA e.V. , wird die Runde ergänzen

Eine Korrektur: Der an dieser Stelle angekündigte Spiegel-TV-Themenabend auf VOX "Jesus - Menschensohn" findet nicht Freitag, den 18. Dezember, sondern Freitag, den 17. Dezember, um 22.00 Uhr statt. (H.J.)

 13. Dezember 1999 · Religion: Ein Heidenspaß!

Anfang November fand in Duisburg nach dem Erfolg im letzten Jahr wieder eine "Antiklerikale Woche" in statt. Geladen waren einmal mehr erlesene Gäste. Der Humanist berichtet. (H.J.)

 10. Dezember 1999 · Religion: Kinderporno-Film auf www.kath.de!

Gefährliche Kinderpornographie!
Skandal! Gerade ist die deutsche Dezember-Ausgabe der Modezeitschrift Vogue wegen Kinderpornos auf dem Index gelandet [1], da demonstriert ausgerechnet die katholische Kirche – einstmals die oberste moralische Instanz in Deutschland nach dem BDI – in aufreißerischer Manier eine Haltung zum Thema Pädophilie, die man seit dem Ende der finsteren Antike und dem Beginn des goldenen Mittelalters überwunden glaubte.

Gleich auf der Hauptseite des Internet-Angebots der "Alleinseligmachenden" [2] befindet sich das fragwürdige Video: Ein Junge, höchstens drei Jahre alt, nicht nur sexuell, sondern auch körperlich mißbraucht mit an seinem Rücken befestigten Vogelflügeln, der apathisch lächelnd und nur mit einer Unterhose bekleidet (was in den fortschrittlichen USA immerhin zur Zensur von Calvin-Klein-Unterwäschewerbung reichte) rhytmische Bewegungen eindeutig sexueller Natur durchführt. Die wirklichkeitsnahe Darstellung (im Sinne des § 184 StGB ausreichend zum Verbot wegen Kinderpornographie) ist zweifellos geeignet, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren!

Noch skandalöser ist die Tatsache, daß das Motiv eindeutig darauf ausgerichtet ist, pädophile Käuferschichten innerhalb des Mitgliederkreises der Sekte anzulocken: "SPEZIAL" steht über dem Bild in Großbuchstaben, und auf der nächsten Seite wird dem heiß gemachten Internet-Surfer eine CD zum Verkauf angeboten, welche sich mit dem sekteneigenen Ritual "Weihnachten" (oft eine Gelegenheit, die eigenen Kinder mit Geschenken gefügig zu machen) befaßt. Kinderpornos als Lockvogel für den Kommerz, das hatten wir doch in anderer Form schon beim Stern! Gerade das feministische Bollwerk gegen den neuen Pornographismus, die Emma, ist nun aufgefordert, einen Prozeß anzustrengen!

Auch die engelhafte Darstellung entspricht dem pädophilen Interessenprofil, ist doch bei kinderpornographischen Darstellungen immer wieder das Kind als gott- oder engelsgleich abgebildet, das "Kind als König", in Wahrheit natürlich als jederzeit bereites (wie auch die nicht endenden wollenden rhythmischen Bewegungen des "Engels" ausdrücken sollen) Sexualobjekt für den Pädophilen oder Päderasten.

Gerade angesichts der Prävalenz pädophiler Netzwerke innerhalb der katholischen Kirche (man denke an die zahllosen Skandale im In- und Ausland, bei denen Kinder durch Priester sexuell mißbraucht wurden) ist dieses Vorgehen der Kirche eine Unverfrorenheit und ein Schlag mit der hohlen Faust von hinten durch die Brust ins Auge aller Kinderschützer. Jetzt ist der Staat gefordert, einzuschreiten. Pornographische Propagandaschriften der Sekte sind zu verbieten (z.B. der gewaltpornographische Klassiker der sekteneigenen Literatur, die sog. "Bibel", in der Männer, Frauen und Kinder zu Tausenden abgeschlachtet werden), und der Webserver ist zumindest zeitbegrenzt zu schließen.

Alle Gebäude der Sekte und ihrer Mitglieder sollten nach kinderpornographischem Material, insbesondere den euphemistisch als "Engelsfiguren" bezeichneten sexuell aufreißerischen Darstellungen wie der hier abgebildeten, durchsucht werden. Im Interesse der Kinder sollten die entsprechenden Personen bei erwiesenem Besitz kinderpornographischen Materials sofort in Haft genommen werden. Zum Schutze der Gesellschaft ist möglicherweise die chemische Kastration aller Katholiken langfristig erstrebenswert. Kirche, Du hast den Bogen überspannt! (EMÖ)

[1] dpa, 8.12.1999
[2] www.kath.de

 10. Dezember 1999 · Kultur: Medientipps & mehr: Update

Vorschau der TV- und Radiotipps bis zum 18. Dezember.

Ein Thema des morgigen "Länderspiegels" (17.05 Uhr, ZDF) ist das "Kapital für Kirche und Politik".

Am Donnerstag, den 17. Dezember, befasst sich ARTE bei einem Themenabend ab 20.45 Uhr mit der Frage: "Stammt der Mensch vom Affen ab?" Vor rund 100000 Jahren tauchte der Homo sapiens auf. In drei Dokus stellt ARTE Anfänge und Entwicklung des modernen Menschen dar und geht der Frage nach, ob wir unsere Existenz nur dem Zufall zu verdanken haben.

Bereits jetzt möchte ich auf einen Themenabend in VOX in einer Woche, Freitag, den 18. Dezember, hinweisen. Spiegel-TV bringt um 22.00 Uhr die Sendung "Jesus - Menschensohn". Milleniumsvorbereitungen auch bei christlichen Kirchen: Ein Ansturm wie nie zuvor wir im "Heiligen Jahr" an den Stätten erwartet, an denen Christus gewirkt haben soll. Ob Jesus indes wirklich um das Jahr null in Bethlehem geboren wurde, so lebte und handelte, wie die Evangelien berichten, und in Golgatha am Kreuz starb, ist umstritten. Die Doku bringt uns auf den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Leben-Jesu-Forschung.

Rudolf Augstein, der Herausgeber des Spiegel, hat in diesem Herbst eine Neu-Auflage seines Bestsellers "Jesus Menschensohn" im Hoffmann und Campe-Verlag herausgebracht. Aus dem Klappentext: Wer war Jesus? Was bedeutet er uns heute? Rudolf Augstein zieht eine kritische Bilanz der neueren Jesus-Forschung. Sein Fazit: Der Mensch Jesus, wenn es ihn denn gab, hat mit der Kunstfigur des Christus nicht zu tun. Nicht was ein Mensch namens Jesus gedacht, gewollt, getan hat, sondern was nach seinem Tode mit ihm gedacht, gewollt, getan worden ist, hat die christliche Religion und die Geschichte des christlichen Abendlandes bestimmt. Was immer Jesus war, ein Mann des Abendlandes war er nicht. Die Kirchen stehen vor der radikalen Alternative, sich endlich den wissenschaftlichen Ergebnissen und unbequemen Wahrheiten ihrer eigenen Theologen zu stellen oder, trotz besseren Wissens, die offiziellen Lehren der Kirchen weiterhin zu predigen. (H.J.)

 10. Dezember 1999 · Religion: Stille Nacht, Heilige Nacht, alles schießt ...

In London grassiert das Weihnachtsfieber. Cliff Richards stürmt - trotz Boykotts der Radiosender und seiner Plattenfirma - mit seinem "Millenium-Prayer", ein musikalisch grauenvolles Vater-Unser, die Charts. Und das zwingt die britische Intelligentsia in einschlägigen Zeitungen und Fernsehsendungen erschrocken zu der Frage, wie der massenmediale Wiederaufstieg des fundamental-christlichen Schlagerstars, wiedergeborener Christ und Freund Billy Grahams, mit dem Image eines modernen liberalen Großbritannien in Einklang gebracht werden kann. Um die Gunst der Stunde zu nutzen, ruft Sir Cliff jetzt ganz Britannien zum Gottesdienst auf. [1]

Aber was erwartet die Christen in der Kirche? In der St. Mary's Bredin-Kirche in Canterbury zum Beispiel wird ein modernes Krippenspiel aufgeführt: Die Engel, dargestellt von Kindern der Gemeinde, schießen mit Spielzeugpistolen in James-Bond-Manier auf alle, die sich einer Verbreitung der Weihnachtsgeschichte von der Geburt Jesu in den Weg stellen. Der Pfarrer meinte, durch die 40 "wild um sich schießenden Kinder" in dem Stück "Secret Angels" werde die Geschichte auch für Zehn- bis 14-Jährige "relevant". Die "Regisseurin" der Aufführung, Alis Vile, selbst Mutter zweier Kinder, ist über den Protest des zuständigen Erzbischofs, der eine Untersuchung eingeleitet hat, verwundert: "In der Bibel wird ganz deutlich, dass die Engel Funken sprühende Schwerte tragen - und Pistolen sind dazu nur das moderne Gegenstück." Engel seien "die Kämpfer Gottes und nicht mit Lametta und Ballettröckchen bekleidete Figuren", meinte sie.

Die Idee der mit Waffen ausgerüsteten Agenten-Engel soll übrigens von den Kindern selbst stammen. Da scheint doch die Ausgabe des "Wort Gottes" als spezielle Kinderbibel, in der alles Gewalttätige der Bibel herausgeschnitten wurde bzw. umformuliert wurde, überflüssig zu werden. [2]

[1] Berliner Zeitung, 08.12.99
[2] dpa, 07.12.99

 7. Dezember 1999 · Religion: Alles nur geklaut...

Im November referierte Helmut Steuerwald beim Bund für Geistesfreiheit Fürth über den "Mythos Weihnachten - Geburt des Jesus-Kindes?". Er zeigte auf, dass die Geburtslegenden nicht originär christlich sind, und erklärte, warum Weihnachten ausgerechnet am 25. Dezember gefeiert wird. Der Humanist berichtet. (H.J.)

 6. Dezember 1999 · Kultur: Medientipps & mehr: Update

Vorschau der TV- und Radiotipps bis zum 13. Dezember.

Die wenig erquickliche "Doku"-Reihe "2000 Jahre Christentum" hat Kummer um ihre Sendetermine. Bereits zweimal wurde Sport vorgezogen. Beim ersten Mal noch planmäßig, doch letzten Sonntag hat die ARD die Sendung ganz kurzfristig für Skisport aus dem Programm geschmissen. Da waren selbst die Kirchenleute überrascht und sind bitter enttäuscht von ihrem doch vorher so gelobten öffentlich-rechtlichen Medienverbundpartner in Sachen Christentum.

Wer sich für die Darstellung der Jesusfigur im Film interessiert, kann sich morgen (9.30 Uhr, HR 2 RADIO) auf die Radiosendung "Rebell, Clown und Hippie - Jesus im Film" freuen. Bald - passend zur Weihnachtszeit - wird sicher auch wieder der Kultfilm "Das Leben des Brian" gesendet. Wer sich jetzt schon einstimmen möchte - sämtliche Dialoge des Film kann man auf dieser Website nachlesen: Always look on the bright side of life... (H.J.)

 4. Dezember 1999 · Kultur: Veranstaltungshinweise: Update

Bereits jetzt möchte ich auf eine Großveranstaltung im Februar aufmerksam machen. Am 5. Februar 2000 ab 14.00 Uhr soll in Berlin eine bundesweite Solidaritätsdemonstration stattfinden: "Für das Leben und die Freiheit von Mumia Abu-Jamal". Mehr zu den Hintergründen und den Planungen finden sich in unseren Veranstaltungstipps.(H.J.)

 1. Dezember 1999 · Kultur: Medientipps & mehr: Update

Vorschau der TV- und Radiotipps bis zum 8. Dezember.

Auf zwei aktuelle TV-Tipps möchte ich für morgen, 2. Dezember, hinweisen:

Monitor greift um 21.00 Uhr, ARD, das Thema "Christen gegen Rom: Frauen machen mobil gegen den Papst" auf.

Um 21.20 Uhr, BR, berichtet die Kultursendung Capriccio u.a. über "Die Bibel als irrwitzige Theaterrevue".

In Heilbronn steht seit September das Stück "Corpus Christi" des amerikanischen Dramatikers Terrence McNally auf dem Plan. Erzählt wird die Geschichte von Jesus Christus im modernen Rahmen einer schwulen Gemeinschaft im heutigen Amerika.

Der Partei Bibeltreuer Christen gefällt diese "Blasphemie" ganz und gar nicht und mobilisiert für jede Vorstellung eine Mahnwache. Die meisten dieser frommen Christen, die auch ihre kleinen Kinder zum Protest mitschleppen, kennen das Stück allerdings gar nicht. Dafür singen sie während der Spielzeit vor dem Theaterportal drei Stunden lang Kirchenlieder. Aber ihre Gebete um Erleuchtung der angeblich teuflischen Theatermacher wurde nicht erhört, Intendant Klaus Wagner hat den Spielplan zwar geändert, aber nicht im Sinne der Protestierenden. Die Spielzeit von "Corpus Christi" wurde bis Februar verlängert. Der Aufruhr, der auch Leserbriefspalten der Lokalpresse füllt, brachte dem Theater volle Ränge ein. "Wir sind immer ausverkauft", freut sich der Dramaturg James McDowell, "das Stück ist der absolute Renner." Die aufgebrachten Christen, die auch schon mal Drohbriefe schrieben - so wurde einem Akteur anonym gedroht: "Wir werden dein Haus abbrennen." - suchen Beistand vor Gericht. Aber Strafanzeigen wegen Gotteslästerung wurden abgelehnt, ebenso Anträge auf Einstweilige Verfügungen gegen das Stück.

Nun haben sich auch noch Islamisten den Protestierenden zugesellt. "Möge Allah diesen Ketzern Unglück bescheren", heißt es in einem per Internet verbreiteten Appell. "Im Namen des Erhabenen" wettert eine nicht namentlich bekannte, aber als radikal eingeschätzte Muslim-Organisation gegen "Corpus Christi". In London sprach Scheich Omar Bakri Muhammed, ein Islam-Führer, nach der dortigen Aufführung gegen den Autor die Fatwa sprach. Diese solle allerdings nur in islamischen Ländern ausgeführt werden, schränkte er gnädigerweise sein Urteil ein.

[Quelle: Südwest Presse, 30.11.99]

 1. Dezember 1999 · Politik: Welt-Aids-Tag

Aids = Acquired Immune Deficiency Syndrom
HIV = Human Immunedeficiency Virus

1998 geschahen 70% der HIV-Neuinfektionen (bei den Kindern sogar 90%) in Afrika. Mehr als 2 Mio. der 2,5 Mio. AIDS-Toten des Jahres 1998 waren Afrikaner/innen - 5500 Tote pro Tag. Insgesamt sind 83% der bisher an den Folgen von AIDS Verstorbenen und mindestens 95% der AIDS-Waisen hier zu verzeichnen.

Doch das religiöse Verhütungsmittelverbot der katholischen Kirche baut lieber auf die dogmatischen Moralvorstellungen der zweijahrtausende alten Bibel als auf Wissen und verhindert Schutzmöglichkeiten vor dem HI-Virus. In der "Ecclesia In Africa" (1995) schreibt Papst Johannes Paul II. u.a.: "Die Söhne und Töchter Afrikas brauchen verständnisvolle Präsenz und pastorale Sorge." Ich meine das dies wenig zur Entwicklung in Afrika beitragen wird. Ebenso schreibet er: "Die Geißel AIDS 116. Vor diesem Hintergrund allgemeiner Armut und unzulänglicher Gesundheitsdienste befaßte sich die Synode mit AIDS, jener tragischen Geißel, die in zahlreichen Zonen Afrikas Schmerz und Tod sät. Die Synode stellte fest, welche Rolle unverantwortliches sexuelles Verhalten bei der Verbreitung jener Krankheit spielt, und formulierte folgende entschlossene Empfehlung: "Das Gefühl, die Freude, das Glück und der Friede, wie sie die christliche Ehe und die Treue erzeugen, sowie die von der Keuschheit gewährte Sicherheit müssen den Gläubigen, vor allem den Jugendlichen, ständig vor Augen geführt werden".
Der Kampf gegen AIDS muß von allen aufgenommen werden..."

Wenn der Papst von den afrikanischen Menschen verantwortliches sexuelles Verhalten im Sinne christlicher Keuschheit fordert und damit den Kampf gegen AIDS aufnehmen will, dann ist das wirlich einen Lacher wert, wie ich finde.

Die Welt (15. 2. 96) berichtete von einer französischen Bischofskonferrenz, bei der die Bischöfe zu folgender Studie gelangten: "Viele kompetente Ärzte sehen das Präservativ als einzig wirksame Vorbeugemaßnahme an. In diesem Zusammenhang ist es notwendig." Und das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt (4.10. 91) berichtete: New York. Nach einer vom Jesuiten-Magazin America veröffentlichten Umfrage läßt die vom Vatikan verordnete Sittenlehre die meisten US-Katholiken kalt. Nur 7 % der Befragten sind der Meinung, Abtreibung solle grundsätzlich verboten werden, Verhütung sei sündhaft und Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe immer falsch. Die zwischen 1985 und 1990 durchgeführte Befragung zeigte, daß die konservativen Katholiken älter sind und eine schlechtere Ausbildung haben als die liberalen.

Das es auch erhebliche Probleme bei den protestantischen Kirchen im Umgang mit AIDS gibt, zeigt fogende Seite der Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kirchenmusik in der Ev.-luth. Landeskirche Hannover:

AIDS. Was muß die evangelische Kirche tun?

Die Übertragungswege und damit die Risiken einer Ansteckung mit dem HI-Virus haben sich nicht geändert. Mit dem richtigen Wissen kann sich daher jeder selbst schützen. Dieses wird durch die umfassende Aufklärungs- und Informationsarbeit der Aids-Hilfen vermittelt, z. B.:
Deutsche AIDSHilfe
(G. S.)

[Quellen: www.aidshilfe.de; www.aidshilfe.at; http://www.nrw.de/aktuell/presse/pm99/385_990603.htm (Pressearchiv der nordrhein-westfälischen Landesregierung); das Neue Groschenblatt, September 1998 (30 Jahre "Humanae vitae"); DIE WELT, Donnerstag, 15. Februar 1996; ECCLESIA IN AFRICA von Papst Johannes Paul II. (14. September 1995), Herausgeber: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstraße 163, 53113 Bonn; Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 4.10.91]

 29. November 1999 · Kultur: Deschner in Nürnberg

Im Jubeljahr 2000 will sich der Papst in einem Großen Bußakt für seine Organisation entschuldigen bei all den Millionen Opfern der im Namen Christi per saecula saeculorum begangenen Verbrechen. Der Kirchenhistoriker Karlheinz Deschner ("Kriminalgeschichte des Christentums") hilft dem Heiligen Vater bei der katholischen Gewissensforschung.

Morgen, am 30.11.99 um 19.30 Uhr, liest Karlheinz Deschner in Nürnberg in der Buchhandlung Edelmann (Kornmarkt 8 im "Maximum") u.a. aus seinem neuen Buch "Memento!". Aus jedem Beispiel seiner erschütternden Fallsammlung dringt der Schrei:

"Gedenke!" - "Memento!"

 27. November 1999 · Kultur: Medientipps & mehr: Update

Vorschau der TV- und Radiotipps bis zum 3. Dezember.

Drei Sendungen beschäftigen sich in den nächsten Tagen mit der Situation von Menschen in diskriminierenden Gesellschaften.

Am Sonntag (15.05 Uhr, WDR 3 RADIO) beschäftigt sich eine Sendung mit dem Titel "Dunkle Augen still verborgen" um Frauen in Afghanistan. Im Land unter den Bergen des Hindukusch dürfen Frauen nur in Begleitung eines männlichen Blutsverwandten das Haus verlassen. Ihre Augen und Haare, ihr Gesicht, ihre Körperformen müssen sie hinter Schleiern verbergen. So wollen es die Taliban - mit ihren radikalen Gesetzen und ihrer willkürlichen Interpretation des Islam. Frauen ist es verboten zu arbeiten, in die Schule oder die Universität zu gehen. Mit der Machtübernahme der Taliban ist Afghanistan zum frauenfeindlichsten Land der Welt geworden. Um so überraschender ist es von den betroffenen Frauen selbst zu hören, dass ihr Leben ruhiger geworden ist. [1]

Ebenfalls am Sonntag (18.00 Uhr, ZDF) behandelt ML Mona Lisa das Thema "Für immer entstellt - Säureattentate in Bangladesh". Es geht um junge Frauen, die einer neuen grausamen Art von männlicher Gewalt ausgesetzt sind. Die Frauen und Mädchen zwischen 12 und 25 haben sich dem Willen eines Mannes widersetzt. Sie haben ihn verschmäht, verlassen oder gekränkt. Oder die Eltern konnten die Mitgift nicht bezahlen. Die Zahl dieser brutalen Überfälle steigt ständig.

Am Montag (20.15 Uhr, ARTE) geht es in einer Dokumentation noch einmal um das "Reich der Taliban". Die Reportage zeigt zwar die bekannten Menschenrechtsverletzungen, zeigt aber auch, dass die religiösen Vorstellungen der Taliban es nicht vermocht haben, alle Bereiche des Lebens zu durchdringen. Noch immer arbeiten Krankenschwestern in den Hospitälern; die humanitären Organisationen, höchst medienwirksam im vergangenen Jahr aus dem Land gejagt, sind zurückgekehrt; und die kleinen Leute haben ihren Weg gefunden, den neuen Zwängen zu trotzen: Erstaunlich etwa zu sehen, wie die 'Tugendpolizei' die Zuschauer vor einem Fußballspiel auffordert zu beten, wie dann aber die Hälfte der Leute sitzen bleibt und die Tugendwächter so der Lächerlichkeit preisgibt. Dies ist eine Reportage mit außerordentlich seltenen Bildern, eine Reportage, die nichts weniger vorhat, als dem Regime der Taliban ein Gütesiegel zu verleihen: Es ist eine Reportage, die uns zeigt, wie da ein Volk hier und da, offen und verborgen, dem religiösen Wahn seiner neuen schrecklichen Herren zu widerstehen beginnt. (H.J.)

[1] www.wdr.de
[2] www.zdf.de
[3] www.wdr.de

 26. November 1999 · Religion: Unsere Zitatensammlung wächst weiter

"Das ethische Verhalten des Menschen ist wirksam auf Mitgefühl, Erziehung und soziale Bindung zu gründen und bedarf keiner religiösen Grundlage. Es stünde traurig um die Menschen, wenn sie durch Furcht, durch Strafe und Hoffnung auf Belohnung nach dem Tode gebändigt werden müssten. Es ist also verständlich, dass die Kirchen die Wissenschaft von jeher bekämpft und ihre Anhänger verfolgt haben." (Albert Eistein, Physiker, 1879-1955)

Diese und viele andere Zitate finden sich in unserer umfangreichen Zitatensammlung. (H.J.)

 26. November 1999 · Religion: Christenfundis nehmen ihr Kinder aus bayerischen Grundschulen

Über eine Stunde dauerte die mündliche Urteilsbegründung von Amtsrichter Helmer Heinke am Montag Abend: Der Vorrang der Schulpflicht vor dem Elternrecht sei durch das Wohl des Kindes gerechtfertigt, sagte der Vorsitzende, nachdem er nach umfangreicher Beweisaufnahme den Bussgeldbescheid des Landratsamtes Roth gegen ein Elternpaar aus der Gemeinde Kammerstein bestätigt hatte.
Das christliche Ehepaar weigert sich beharrlich, ihre drei Kinder in die Grundschule zu schicken. Hintergrund: Die tief religiösen Eltern haben angeführt, in bayerischen Schulen würden spiritistische und okkultische Inhalte vermittelt, außerdem gebe es Gewalt und sexuelle Belästigung.
Die Schule, so argumentierte der Richter aber in seinem Urteil, werde von allen Tendenzen menschlichen Zusammenlebens erfasst und müsse sich damit auseinander setzen, stehe allem nicht ohnmächtig gegenüber. Die gläubigen Eheleute haben bislang ihren Nachwuchs nicht zum Unterricht geschickt und haben damit gegen Bestimmungen des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes verstossen, das eine Schulpflicht begründet. Das zuständige Landratsamt reagierte mit Bußgeldbescheiden, die die Eltern jedoch nicht akzeptierten, so dass es zur Verhandlung vor dem Schwabacher Amtsgericht kam.

Insgesamt vier Verhandlungstage und die Vernehmung einer Vielzahl von Zeugen waren erforderlich, ehe Richter Heinke das Urteil verkündete. Gegen dieses können die Eltern nun nur noch Rechtsbeschwerde zum Bayerischen Obersten Landesgericht einlegen.

Nach umfangreicher Beweisaufnahme verwarf Amtsrichter Helmer Heinke jedoch die Begründung der Eltern für ihre Weigerung. Die Kinder seien verpflichtet, die Schule zu besuchen und die Erziehungsberechtigten müssten dafür Sorge tragen, dass ihre Kinder dieser Schulpflicht nachkommen. Der Besuch der Regelschule könne nur umgangen werden, wenn die Kinder zum Besuch einer staatlich anerkannten Privatschule angemeldet seien. Doch dies sei hier nicht gegeben. Die Privatschule, die die Beschulung der drei betroffenen Kinder vornehme, sei im Bundesland Bayern nicht anerkannt, führte Richter Heinke aus. Weiterhin stellte der Richter in der Urteilsbegründung nicht in Abrede, dass es an Schulen Gewalt, Drogenmissbrauch oder sexuelle Belästigung gebe. Dies seien Erscheinungen der Gesellschaft und des Zusammenlebens. Der Staat habe aber Sanktionsmöglichkeiten. Die Schule sei beileibe kein Ort gesteigerter Gewalttätigkeit. Damit könne den Eltern aber auch keine „rechtfertigende Pflichtenkollission“ zugebilligt werden, so der Richter.

Das Grundgesetz fordere keine Toleranz gegenüber einer bestimmten religiösen Überzeugung, sondern allgemein gegenüber religiösen Überzeugungen, leitete Richter Heinke zum Komplex Okkultismus und Spiritismus in der Schule über. Toleranz könne man aber nur üben, wenn man auch von anderen Überzeugungen gehört habe, so der Vorsitzende. Um unterstellen zu können, dass Schamanismus, Hinduismus und Buddhismus an bayerischen Schulen gelehrt würden, müsste man davon ausgehen, dass dies auf meditative und spirituelle Art geschehe. Doch dafür habe die Beweisaufnahme keinerlei Anhaltspunkte ergeben. Als einziges sei dabei in Erscheinung getreten, dass möglicherweise harmlose Elemente daraus in bayerischen Schulen angetastet worden seien.

Elternrecht sei auch Elternpflicht, so der Richter, und dieses reiche auch in die Schule hinein. Es gebe kein ausschließliches Erziehungsrecht der Eltern. Das Elternrecht werde durch die allgemeine Schulpflicht verfassungsgemäß eingeschränkt. Wenn sich Eltern der Schulpflicht ihrer Kinder widersetzten, gefährdeten sie den weiteren Lebensweg der Kinder auf das allerschwerste, so Richter Heinke.
Da der Richter die „christlichen“ Motive der Eltern durchaus anerkannte, reduzierte er die Höhe der Geldbuße deutlich. Während das Landratsamt Roth 1000 Mark für jedes Kind gefordert hatte, müssen die Eltern nun eine Buße von 250 Mark je Kind bezahlen. In seinem Schlusswort hatte der Vater nochmals darauf hingewiesen, dass man die Kinder im Glauben an Gottes Sohn, Jesus Christus erziehen wolle und dabei das Wohl der Kinder im Auge habe. Man müsse feststellen, so der Mann, dass Esoterik schleichend Einzug in die Schulen halte, Sexualerziehung geschehe in der Schule auf eine immer schamlosere Art und Weise, klagte der religiöse Familienvater.

Man wolle, dass die Kinder im Glauben aufwachsen und nach dem Evangelium erzogen würden. „Wir handeln aus Gewissensgründen und können nicht anders handeln als wir bisher handeln“, fügte der Vater noch an.
Das Landratsamt wartet nun ab, ob das Urteil des Schwabacher Amtsgerichts Rechtskraft erlangen wird. Auf jeden Fall werde man dann die Schulpflicht der Kinder durchsetzen. Das kann nach den Worten des juristischen Vertreters des Landratsamtes auch so weit gehen, dass man eine Beschränkung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Dauer des vormittäglichen Unterrichts gegenüber den Eltern durchsetzen wolle.

Werden durch Religionslose aus weltanschaulichen und bundesverfassungskonformen Gründen einzelne Kruzifixe aus bayerischen Schulen entfernt, geht ein Aufschrei durch das Bayernland – werden Kinder durch gläubige Elten aus dem Schulpflichtsystem entfernt, findet dies gerade ´mal ein Echo in der Lokalpresse. (H.F.)

[Quelle: "Schwabacher Tagblatt" vom 24.11.1999]

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